Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wo steht Popper politisch?

Popper enttäuscht also auch und gerade dann, wenn man ihn an den Maßstäben seiner eigenen Me­ta­the­orie misst. Eine fallibilistische Methodologie ließe sich die Erarbeitung dieser Pro­blem­stel­lung und eine Konfrontation mit Metatheorien und politischen Konzeptionen ange­le­gen sein. Pop­per kennt jedoch nur seine persönliche gesellschaftspolitische Grund­über­zeu­gung, die für ihn Ein­fachheits hal­ber mit der des freiheitlichen Westens gleichzusetzen ist und welche er unvermit­telt dem Totalitaris­mus eines Hitler und Stalins gegenüberstellt. So kann Poppers Verortung [1]) auf der Links-Rechts-Skala [2]), wie sie Jarvie u. Shearmur vor­zu­nehmen versuchen, kaum einen Anhaltspunkt liefern. Ich halte es im übrigen für unser Er­kennt­nisziel wenig er­sprieß­lich, eru­ie­ren zu suchen, ob Poppers Anhänger oder er selber seine po­liti­schen Ansichten besser verstanden haben. Wir sollten uns auf Poppers Texte selbst und de­ren theoretische Impli­ka­tionen konzen­trie­ren und erst aufgrund der Textanalyse unsere ei­ge­nen politischen Schluss­fol­gerungen daraus zie­hen. Die vo­rangegangene Darstellung der vom Autor intendierten Zielgruppe und der von sol­chen Intentio­nen abdriftenden an­schlie­ßen­den Rezeptionsgeschichte [3]) wären je­doch wohl wis­sen­schaftssoziolo­gisch interessant, mit dem Schicksal von Hegels Rechtsphi­lo­so­phie zu verglei­chen. Vielleicht hat doch nicht immer je­der Autor die Anhänger, die er verdient bzw. die er sich gewünscht hat. Umso mehr er­scheint es aber dann wichtig, die Interpretation des authentischen Wer­kes von den posthum hi­sto­risch wirksam werdenden Interpretationen durch die Nachfolger deut­lich zu un­ter­schei­den. Wie Spinner im Falle Poppers klar herausge­ar­bei­tet hat, hängt das, was von ei­ner Philosophie von politisch interessierter Seite rezipiert wird, mehr von diesen poli­ti­schen In­ter­essen und der ent­sprechend wahrgenommenen Situation ab als von der objektiven Ge­stalt der betreffenden Philoso­phie bzw. von den jeweiligen Intentionen des be­treffenden Autors:

„Die deutschen Politiker und Parteien haben den Popper, den sie verdienen. Es ist Jedermannspopper: für alle nützlich, aber niemandem hilfreich und zu nichts wirk­lich zu gebrauchen!“ (Spinner 1978a:56)

Jedoch beim piece-meal engineering, welches zwar Günther (1984a:104) mit einem gewissen Recht als „herrschaftskonservativ“ [4]) einordnet, erscheint Poppers Sozialphilosophie in ent­schei­den­den Hin­sich­ten als Theorie oder schon als Text logisch unterbestimmt zu sein. Solange nicht klar gemacht wird, auf welche Ge­sell­schafts­ordnung oder -theorie sich der Gradualismus der kleinen Schritte be­zieht, lässt sich dar­über kaum sinnvoll diskutieren. Es ist wohl kaum anzu­nehmen, dass Popper die deutsche Wie­dervereinigung als revolutionär politisch verdam­men woll­te, ob­wohl sie sicherlich als ein gro­ßer Schritt bezeichnet werden muss. Wenn nicht, erhebt sich jedoch die Frage, woher Popper die unterschiedlichen Maßstäbe hernimmt und diese zu be­stimmen ge­denkt. Mit vagen Flos­keln [5]) wer­den konkrete politische Fragen scheinbar allgemein gültig be­ant­wortet. Wenn er sich gar zur Be­haup­tung versteigt, große Schritte seien schon logisch unmög­lich, so ist die­se seine Aussage nicht nur ohne Ge­halt, sondern schlechthin unwiderlegbar (Gün­ther 1984a:102). Die Ent­gegensetzung von Reform und Revolution lässt auf eine durch und durch es­sentialistische Be­griffslogik schließen (Günther 1984a:103). Wenn dem nicht der Fall sein sollte, dann wäre noch viel weniger ersichtlich, wovon Popper eigentlich zu sprechen versucht. Reich­lich un­be­stimmt verbleibt Poppers Idee eines „negativen Utilitarismus(Günther 1984a:82).[6])



[1]) „One particular group Popper hoped to appeal to was what is loosely known as the left - so­cial demo­crats and social liberals. By pointing to problems in the understanding of science and ra­ti­o­nality, he hoped to show why a li­berationist movement like Marxism had spawned a totalitarian form with close connection to fascism. His ar­gu­ments, he believed, could place social and political libe­ra­lism on less shaky philosophical ground. Instead, he was attacked by a post-war Stalinist left, then again by a 1950s revisionist New left, then again by an Hegelian ir­rationalist left of the 1960s and beyond. It was classic economic liberals, libertarians, and minimalists who clai­med adherence to his social and political thought. Their allegiance was clear eviden­ce that he had not been read ca­re­fully enough, though one of us (Shearmur) has argued that the logic of Popper’s own political prin­ciples should have led him to economic liberalism." (Jarvie u. Shearmur 1996a:446f)

[2]) Die Idee des politischen Raums des Rechts-Links-Spektrums mittels semantischen Differen­ti­als und anderen so­zialpsychologischen Skalierungsmethoden sucht Laponce (1972a) zu einem em­pi­rischen For­schungs­in­stru­ment weiter zu entwickeln.

[3]) vgl. z.B. die Popper-Rezeption durch deutsche Parteistrategen, wie sie Spinner (1978a:42ff) resümiert hat - eine durchweg bemerkenswerte Offenbarung spinnerscher okkasioneller Vernunft.

[4]) Wenn man sieht, auf welchen Akteur Poppers Vorschläge für das postsozialistische Osteu­ro­pa zielen, stellt sich Poppers Zielgruppenorientierung als ebenso gouvernementalistisch heraus wie sei­nerzeit Hegels: "Die schreckliche Tradition zurechtzurücken und den Rechtsstaat zu ver­wirk­li­chen, ist die schwere Aufgabe der neuen Staatsorgane. Dazu muss der Staat ..." (Popper 1992a:XII) Er formuliert so flugs eine Wunschliste von Forderungen, die der Staat er­füllen soll, um den An­schluss der Gesellschaft an die Wirtschaftsent­wick­lung des Westens zu erreichen. Dabei macht er aber weder deutlich, wer den Staat zu dieser Politik bringen soll, noch wel­cher Stellenwert etwa sein Abwählbar­keits­prinzip zukommt, worauf manche Popperianer so große Stücke halten.

[5]) „In these circumstances one can do one of the following two things. One can stop appealing to perma­nent stan­dards which remain in force throughout history and govern every single period ... Or one can retain such standards as a verbal ornament ..." (Feyerabend 1970a:215)

[6]) Übrigens wurde die­se Idee (in ähnlich vager Weise) auch schon von Feuerbach propagiert.

1 Kommentar:

meffo hat gesagt…

„Unumstritten ist dagegen der zweite Generalstaatsanwalt, Christoph Schaefgen. Der neue Leiter der Staatsanwaltschaft II beim Landgericht, zuständig für Regierungs- und Vereinigungskriminalität und Rechtsbeugungsfälle, hat vorher die Ermittlungsgruppe DDR-Regierungskriminalität geleitet. In seiner gestrigen Rede zitierte er den im letzten Jahr verstorbenen Philosophen Karl Popper: ‚Optimismus ist Pflicht.’“ (Bollwahn 1995a)

Blog-Archiv