Einen rationalen Kern enthält Poppers Essentialismus-Kritik: Die oben genannten Fragen sind auch in den herkömmlichen philosophischen Kontexten oft genug miteinander vermengt worden oder haben für Konfusion gesorgt. Vor allem sind diese Fragen im Sinne der Rechtfertigungsstrategie ausgebeutet worden, so als ob es nur eine wahre Sprache, eine wahre Theorie, nur eine wahre Darstellung der Wirklichkeit gäbe! Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Essentialismus „von Natur aus" mit der Rechtfertigungsstrategie im Bunde stehen müsse. Das ist der grobe Interpretationsfehler, der Popper aber systematisch unterläuft, dass er nämlich den angegriffenen Systemen eine größere logische Konsistenz unterstellt, als diese tatsächlich aufweisen bzw. allein schon aufgrund ihrer sprachlichen Form aufweisen können.
Selbst wenn Popper „Essentialismus" idealer Weise so rekonstruieren würde, dass er automatisch mit Rechtfertigungsstrategie gekoppelt sein müsste, wäre es immer noch ohne viel Aufwand möglich, eine im Sinne der Rechtfertigungsstrategie aufgestellte Theorie im Sinne der fallibilistischen Methodologie zu kritisieren (im Grunde ist es ja gerade das, was Popper laufend zu tun verspricht).
Ein Beispiel für eine falsifizierbare essentialistische Aussage treibt Popper beiläufig selbst auf:
„'All men are mortal' is therefore better translated 'All men are bound to die'; and in this sense it cannot be said to be valid, because it is derived from 'All generated creatures are (essentially) bound to die', which is refuted by bacteria." (Popper 1973a:97, Anm.57)
Wo ist das Problem?! Es liegt eine andere begriffslogische Konzeption und demzufolge auch eine Differenz der methodologischen Auffassung der Situation vor. Ungehindert davon können derartige Aussagen empirisch überprüft werden oder mit theoretischen Alternativen konfrontiert werden. Jedenfalls gibt es keine Handhabe, das eine Verfahren als „wissenschaftlich" und das andere als „pseudo-wissenschaftlich" zu kennzeichnen, nur weil das angewandte logische bzw. methodologische Verfahren etwas älter als das andere ist.
Albert (1964a:3) betont freilich, es sei zur Beurteilung wissenschaftlicher Ergebnisse nicht gleichgültig, mit welcher Methodologie diese erzielt worden seien. Sicherlich, ja. Zum Beispiel die Simulationsmethode kann unter verschiedenen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen eingesetzt werden, und man kann die Problemlösung eines simulierenden Forschers kaum adäquat beurteilen, solange man seine erkenntnistheoretische Einbettung des Problems nicht erkennt, wobei die Beurteilung zusätzlich erschwert wird, wenn er wie so häufig zwischen einer realistischen und einer instrumentalistischen Interpretation seines Erkenntniszieles hin und her schwankt (Halfpenny 1997a). Denn es ist im wirklichen Leben schon ein Unterschied, ob jemand ein neues Computerspiel erfinden will oder mit seinen Computerberechnungen etwas nachbilden will, was es im wirklichen Leben gibt, gegeben hat oder geben wird. Ein Computerspiel muss nur am Computer funktionieren und daneben vielleicht noch Unterhaltungswert besitzen oder irgendwelche Fähigkeiten üben. Eine Simulation realer Prozesse muss in gültiger Weise reale Prozesse und Mechanismen abbilden, so dass aus den simulierten Prozessen gültige Schlüsse auf die realen gezogen werden können. Das ist der Unterschied.
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