Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Was ist an der Essentialismuskritik vernünftig?

Einen rationalen Kern enthält Poppers Essentialismus-Kritik: Die oben genannten Fragen sind auch in den herkömmlichen philosophischen Kontexten oft genug mit­einander vermengt wor­den oder haben für Konfusion gesorgt. Vor allem sind diese Fragen im Sinne der Recht­fer­ti­gungs­stra­tegie ausgebeutet worden, so als ob es nur eine wahre Sprache, eine wahre Theorie, nur eine wahre Darstellung der Wirk­lichkeit gäbe! Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Essen­ti­a­lis­mus von Natur aus" mit der Rechtfertigungsstrategie im Bunde stehen müsse. Das ist der gro­be Inter­pre­tations­fehler, der Popper aber systematisch unterläuft, dass er nämlich den an­ge­grif­fenen Systemen eine größere logische Konsistenz unterstellt, als diese tat­säch­lich aufweisen bzw. allein schon aufgrund ihrer sprachlichen Form aufweisen können.

Selbst wenn Popper „Essentialismus" idealer Weise so rekonstruieren würde, dass er auto­ma­tisch mit Rechtfertigungsstrategie gekoppelt sein müsste, wäre es immer noch ohne viel Auf­wand mög­lich, eine im Sinne der Rechtfertigungs­strate­gie aufgestellte Theorie im Sinne der fal­libilistischen Methodologie zu kritisieren (im Grunde ist es ja gerade das, was Popper lau­fend zu tun verspricht).

Ein Beispiel für eine falsifizierbare essentialistische Aussage treibt Popper beiläu­fig selbst auf:

'All men are mortal' is therefore better translated 'All men are bound to die'; and in this sense it cannot be said to be valid, because it is derived from 'All gene­ra­ted creatures are (essentially) bound to die', which is refuted by bacte­ria." (Popper 1973a:97, Anm.57)

Wo ist das Problem?! Es liegt eine andere begriffslogische Konzeption und dem­zufolge auch eine Differenz der methodologischen Auffassung der Situation vor. Ungehindert davon kön­nen derartige Aussagen empirisch überprüft werden oder mit theoretischen Alternativen konfron­tiert werden. Jedenfalls gibt es keine Hand­habe, das eine Verfahren als „wissen­schaft­lich" und das andere als „pseudo-wis­senschaftlich" zu kennzeichnen, nur weil das angewandte logische bzw. me­tho­do­logische Verfahren etwas älter als das andere ist.

Albert (1964a:3) betont freilich, es sei zur Beurteilung wissenschaftlicher Ergeb­nisse nicht gleichgültig, mit welcher Methodologie diese erzielt worden seien. Si­cherlich, ja. Zum Beispiel die Simulationsmethode kann unter verschiedenen er­kennt­nistheoretischen Voraussetzungen einge­setzt werden, und man kann die Pro­blemlösung eines simulierenden Forschers kaum ad­äquat beurteilen, solange man seine erkenntnistheoretische Einbettung des Problems nicht er­kennt, wo­bei die Be­urteilung zusätzlich erschwert wird, wenn er wie so häufig zwischen einer reali­sti­schen und einer instrumentalistischen Interpretation seines Erkenntniszieles hin und her schwankt (Half­penny 1997a). Denn es ist im wirklichen Leben schon ein Unterschied, ob jemand ein neues Computerspiel erfinden will oder mit seinen Com­puterberechnungen etwas nachbil­den will, was es im wirklichen Leben gibt, gegeben hat oder geben wird. Ein Computerspiel muss nur am Compu­ter funkti­o­nie­ren und daneben vielleicht noch Unterhaltungswert besitzen oder irgendwelche Fähigkeiten üben. Eine Simulation realer Prozesse muss in gültiger Weise re­ale Pro­zesse und Me­chanismen abbilden, so dass aus den simulierten Prozessen gültige Schlüs­se auf die realen gezogen werden können. Das ist der Unterschied.

Keine Kommentare:

Blog-Archiv