Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Definieren überflüssig?

"Nicht durch die Definition wird die Anwendung eines Begriffes festgelegt, son­dern die Verwendung des Begriffes legt das fest, was man seine 'Definition' oder seine 'Bedeutung' nennt. Anders aus­ge­drückt: Es gibt nur Ge­brauchs­de­fi­ni­tionen." (Popper 1994b:366f)

"Die Philosophie bedarf daher überhaupt keiner besonderen Terminologie;..." (Hegel: Wissenschaft der Logik:14)

Popper kennt demnach nur Nominaldefinitionen; diese dienen nur zur Abkürzung, stellen im­pli­zite Definitionen dar. Beiderlei Arten von Definitionen machen diese also grundsätzlich über­flüssig.

Eine wichtige Funktion von Definition darin besteht, die lo­gi­sche Grammatik (Albert 1972c: 134f) von Begriffen und Urteilen deutlich zu machen. Ein impli­zites De­finieren geht da­mit ein­her, dass Bedeutungen grundsätzlich kontextabhängig sind.[1]) Eine leistungsfähige Kom­muni­kation setzt jedoch voraus, dass die Begriffsbedeutungen in deutlicher Beziehung zu einem be­stimmten Sinnkontext stehen, im Idealfall "kontextunabhängig" verwendet werden können. Der Nachdruck, der oft auf gute Defi­nitionen oder Explikationen gelegt wird, muss al­so nicht not­wen­digerweise die Annahme beinhalten, dass letztere den Endzweck des Erkennens darstellten.

„Pragmatically, a common ontology defines the vocabulary with which queries and assertions are exchanged among agents. Ontological commitments are agree­ments to use the shared vocabulary in a coherent and consistent manner. The agents sharing a vocabulary need not share a knowledge base; each knows things the other does not, and an agent that commits to an ontology is not re­qui­red to answer all queries that can be formulated in the shared vocabu­la­ry." (Gruber 1993a:2)

Ob und wie man Definitionen für sinnvoll hält, hat also direkt mit Essentialismus im philo­so­phi­schen Sinne nichts zu tun. Dabei steht das mangelhafte Textverständnis, das Popper bei sei­nen Lesern bzw. Textbenutzern gefunden hat, in eklatantem Widerspruch zu dem viel gehör­ten Lob, Popper schreibe einen gut lesbaren Stil. [2])

Insbesondere ist Poppers Position inkonsistent, wenn er Nominaldefinitionen als die einzig brauch­bare wissenschaftliche Definitionsmethode anpreist, andererseits den Begriff im Ganzen der Theorie aufgehen lässt.

"Ist die skizzierte Auffassung richtig, dann ist es unmöglich, durch die Defini­ti­on von Begriffen die Verwendungsart von Sätzen festzulegen. Denn das, was man gewöhnlich die Bedeutung eines Begriffes nennt, wird ja, gerade umge­kehrt, durch die Verwendung der Sätze festgelegt, in denen die Begriffe auftre­ten." (Popper 1994b:368)

Die Begriffe werden nach letzterem durch ihre Verwendung innerhalb des theoretischen Sy­stems definiert. Andererseits setzen gerade die Nominaldefinitionen mit ihrer Ersetzungs­me­tho­de kon­textfreie Bedeutungen voraus.

Die Lehre vom Definieren ist mitnichten trivial (Stegmüller 1974a). Rickert hat der De­finiti­ons­lehre eine Abhandlung gewidmet.[3])

Schon die Kompatibilität einer Definition zu vergangenen und künftigen Terminologien bzw. ihre Adäquanz zur Darstellung bestimmter Ontologien gibt eine Menge Probleme auf (Gruber 1993a,b). Jedenfalls verliert damit die Einführung einer Definition diesen Charakter völliger Be­lie­bigkeit, der allzu leicht mit der Behauptung ihrer Konventionalität einhergeht.

„Die Auswahl guter Definitionen, die die Entwicklung eines deduktiven Sy­stems möglich machen werden und neue analytische Implikationen enthüllen, ist eine wissenschaftliche Leistung, die besondere Fähigkeiten erfordert." (Hutchison 1964a:276)

Heut­zutage dominiert die Auffassung, wonach Definitionen nicht falsch, sondern nur mehr oder minder adäquat sein können. Demnach behaupten Definitionen nichts, sondern dienen al­lein der Normierung des Sprachgebrauchs (Hägler 1994a:46,63). Nun ist diese Auffassung aber auch alles andere als eine absolut verbindliche, bis ins Letzte gesicherte Position. Sie steht in Verbin­dung mit be­stimmten logisch-strategischen Zweckmäßigkeitserwägungen und erkennt­nis­the­o­re­tischen Hintergrundannahmen. Wenn diese geändert werden sollten, müssten auch evtl. grund­legende Prämissen der Definitionslehre über den Haufen geworfen werden.



[1]) "Es gibt sogar ein nach allen seinen abgeleiteten Teilen notwendiges, und als notwendig zu er­weisendes System der philosophischen Terminologie, vermittelst der regelmässigen Fortschrei­tung nach den Gesetzen der metaphorischen Bezeichnung transzendentaler Begriffe; bloß ein Grundzeichen als willkürlich vorausgesetzt, da ja notwendig jede Sprache von Willkür ausgeht. Da­durch wird denn die Philosophie, die ihrem Inhalte nach für alle Vernunft gilt, ihrer Bezeichnung nach ganz national; aus dem Innersten der Nation, die diese Sprache redet, herausgegriffen, und wiederum die Sprache derselben bis zur höchsten Bestimmtheit vervollkommnend." (Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre:78f)

[2]) "However, faithful to his antidefinitionist stand, Popper never clarified satisfac­torily what he meant by 'institution', 'social technology', or 'piece-meal social engineering'. (Other pet expressions of his, such as 'situation', 'historicism', 'inde­terminism', and 'world 3', are similarly vague - hence a source of un­en­ding scholastic controversy.)" (Bunge 1996a:543) - "By not defining terms, one allows the un­cri­ti­cal consumer to experience a feeling of comprehension since the consumer has inferred his or her own meanings. These are unlikely to be the theorist's intended meanings, however, and so com­mu­ni­cation has not really taken place at all." (Markovsky 1996a:32)

[3]) Im Vorwort zur 3. Auflage umreißt er die ge­samte Pro­blemstellung: „Bringt man die Lehre von der Definition mit den logischen Problemen in Verbindung, die in unseren Tagen viel erörtert werden, dann kann man dabei die umstrittene Frage, in welchem Ver­hältnis ‘Erfahrung’ und ‘Den­ken’ zueinander stehen, in den Vordergrund stellen. Jede aus­drück­lich zum Bewusstsein gebrachte oder erkannte Wahrheit hat die Form des Urteils, und zu seinem lo­gischen Gehalt gehört notwen­dig sowohl ein ‘intuitives’ als auch ein ‘diskursives’ Moment. Das ei­ne ist ebenso wenig entbehrlich wie das andere, wenn auch jedes von ihnen aus sehr verschie­de­nen Gründen vorhanden sein muss. Wir gehen jedenfalls in die Irre, falls wir glauben, wir kämen mit der empirischen Anschauung al­lein oder mit dem rationalen Denken allein beim Erfassen ir­gend­einer theoretischen Wahrheit aus. Das ist im Verlauf der Geschichte der Philosophie wie­der­holt und in überzeugender Weise nachge­wiesen worden. und man sollte denken, besonders seit Kant könnte man daran nicht mehr zwei­feln. Trotzdem entsteht von Zeit zu Zeit immer wieder die Ten­denz, das eine der beiden Wahr­heits­momente auf Kosten des anderen in den Vordergrund zu schie­ben, und heute neigt man be­son­ders dazu, die Anschauung oder die Intuition ‘phänomeno­lo­gisch’ zu überschätzen, d.h. zu glauben, es sei möglich, durch bloßes ‘Sehen’ schon eine Wahrheit the­oreti­scher Art zu erfassen. In der nach­kantischen Philosophie hat besonders Fries in seiner ‘an­thro­pologi­schen Kritik der Vernunft’ das ‘unmit­telbare Erkennen’ betont, und um seine Bedeutung zu recht­fertigen, das Urteil als etwas logisch Se­kun­däres dargestellt: es wiederhole nur vor unserem Be­wusstsein die andere, unmittelbare Er­kennt­nis. Derartige intuitionistische Tendenzen scheinen überall dort sich gel­tend zu machen, wo die Philosophie zur bloßen ‘Anthropologie’ oder zum Be­schreiben von ‘Erleb­nissen’ zusammen­schrumpft. Das Urteil wird dann als der eigentliche Träger der theoretischen Er­kenntnis geradezu verdächtig, ja als ‘Tod der Wahrheit’ herabgesetzt. Unter sol­chen Umständen ist, bei voller Anerken­nung des anschaulichen Momentes in jeder Erkenntnis, bes­onders zu betonen, dass die Anschau­ung allein zum Erfassen theoretischer Wahrheit nie ge­nügt. In unseren Zeiten tut man vielleicht gut, sich dafür nicht auf einen ‘Logiker’ wie Kant zu be­rufen, der zu ‘Konstruktionen’ neigte und da­her den Freunden der Anschauung von vornherein ver­dächtig ist, sondern man kann Goethe zitie­ren, der ganz ‘Augenmensch’ war und das Anschauen in der Wissenschaft so hoch schätz­te wie weni­ge. Auch er hatte bei seinen wissenschaftlichen Arbei­ten, und zwar besonders bei der Farbenlehre, in der gewiß das Sehen für ihn im Vordergrund stand, bemerkt: ‘Das bloße Anbli­cken einer Sache kann uns nicht fördern’, und im Zusammenhang damit war er sich darüber klar gewor­den, ‘dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren’. So ist es in der Tat, und die Wis­senschaftslehre hat daher die Aufgabe, immer wieder von neuem zu untersuchen, wieweit beim Erkennen einer Wahr­heit das bloße ‘Sehen’ reicht, und wo das ‘Theo­re­tisieren’, das sich nicht mehr auf eine reine Anschau­ung zurückführen lässt, beginnt. Mit diesen Pro­blemen steht auch die vor­lie­gende Arbeit in Ver­bin­dung. Sie behandelt die Definition als Be­griffsbildung und Begriffs­zerle­gung, und sie sucht zu zei­gen, dass der fertige oder ‘definierte’ Begriff nicht etwa logisch früher als das Urteil ist, sondern sei­nem logischen Gehalt nach als ein Urteils­produkt verstanden werden muss. Wissenschaftlich durch­geformte Urteile bringen also Gebilde miteinander in Verbindung, die selbst bereits Ergeb­nisse von Urteilen sind. Hat man das verstan­den, so muss von einer beson­de­ren Seite her klar wer­den, wie wenig es möglich ist, sich beim Er­kennen nur auf die Anschauung zu stützen und dann das Urteil, das nie bloße Anschauung sein kann, für sekundär zu halten. So lan­ge man in einem Ur­teil eine Verbindung von Begriffen als blo­ßen ‘Vorstellungen’ sieht, mag man freilich glauben, es sei sein für die Erkenntnis wesentlicher Ge­halt in den Vorstellungen zu finden, die es aufeinander be­zieht, und die Vorstellungen im Urteil kann man dann als anschaulich be­trach­ten. Ja, man wird dann unter dieser Voraussetzung leicht dazu kommen, die Relation der Vor­stel­lungen aufeinander, die mehr als anschaulich sein muss, als etwas für den Wahrheitsgehalt des Urteils Unwesentliches an­zusehen und zu glauben, es komme für die Wahrheit im Grunde nur auf die in den Vorstel­lun­gen steckenden anschaulichen Faktoren an. Macht man sich dagegen klar, dass die Gebilde, die als Begriffe von Urteilen aufeinander be­zo­gen werden, als definierte Begriffe erst durch Urteile zu­stan­de kommen, also weit davon entfernt sind, einen nur vorstellungsmäßigen und damit rein an­schau­lichen Charakter zu tragen, dann muss die Unentbehrlichkeit des nicht­an­schaulichen, diskur­si­ven Momentes für jede wissenschaftliche Erkenntnis zutage treten." (Rickert 1929a:VIIff)

Keine Kommentare:

Blog-Archiv