Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Logik als Dogmatik

Popper ist auf diesem Felde aber nicht Fallibilist, der die Wahrheit zwischen Alternativen sucht, sondern (logizistischer) Dogmatiker. Seine persönliche Rezeption moderner Logik wird in sei­nen Hän­den zum ideologiekritischen Tomahawk gegen politisch unliebsame Philoso­phi­en und Gesellschaftstheorien.

Dabei scheint er zu übersehen, dass unterschiedliche Auf­fassun­gen über Logik legitimer Weise möglich sind.

Hägler (1994a:14) jedoch geht hier allein schon 3 Strängen nach, die alle in diesen philosophischen Knoten verschlungen sind:

1. Identität,

2. Modalität und die

3. Semantik singulärer und genereller Terme.

Wer wie Popper späterhin selbst die Theorieabhängigkeit der Bedeutung von Begriffen ins Blick­feld rückt, muss bedenken, dass dann auch eine scharfe Trennung [1]) von Definitionen und sachhaltigen Aussagen nicht ohne weiteres mehr möglich ist. Insofern könnte das Problem der De­finitionslehre nicht unabhängig von einer Lösung der Fragen der Theoriekonstruktion so­wie der Wahl der theoretischen und Beobachtungssprache gelöst werden.

Dass man sogar in der Mathematik zwischen der analytischen Darstellbarkeit und dem syn­the­ti­schen „Charakter" eines Begriffs unterscheiden muss, zeigt Marx am Begriff der „Stetig­keit":

„Die von Frege gebrauchte Analogie bezeichnet prägnant den Umstand, dass die Methode analytisch-apriorischer Darstellung nicht ausreicht, um ver­ständ­lich zu machen die Möglichkeit inhaltlich-relevanter mathematischer Lehrsätze. We­der lässt sich durch Zergliederung der den Begriff ‘Stetigkeit’ konsti­tu­ie­ren­den Ele­mente der Bereich seiner fruchtbaren Anwendbarkeit konstruie­ren, noch kann man behaupten, dass ein solcher Begriff lediglich durch Kombination der Zeichen, mit denen er dargestellt wird, ‘entsteht’ oder mit Beziehung auf sie ver­ständlich würde." (Marx 1974a:97)

In den (zurückgebliebenen) Sozialwissenschaften sei der Essentialismus laut Popper (1980a: 262) schließlich bis heute vorherrschend und übe dort noch immer seinen verheerenden Einfluss [2]) aus. Seltsamerweise führen hier alle Wege nicht zu Marx oder nach Moskau, sondern lau­fen bei Husserl zusammen, der sich hier als poppersches Urbild von Gegenaufklärung ent­puppt. Die vor­stehende Sortierung von Theoretikern ist insofern schon höchst kurios, als zum Beispiel Weber, der allen bislang als ein Ausbund von Nominalismus (Sombart 1924a) gegolten hat, nun­mehr von Popper frisch und frei dem Essentialismus zugeschlagen wird, vielleicht weil Weber als gelernter Jurist in „Wirtschaft und Gesellschaft" so viele Definitionen stehen hat. Denn wer Definieren für wichtig nimmt,wird als ein Wortklauber verdächtig. Der Schluss ist je­doch vor­eilig, dar­aus, dass von Webers fragmentarischen Manuskripten nicht viel mehr als Definitionen vorliegen, sei zu entnehmen, sein Erkenntnisprogramm habe sich darin erschöpft. Wegen seiner Kritik histo­rischer Gesetzmäßigkeiten stellt beispielsweise Lenk gerade Weber als einen aus­ge­sprochenen Vertreter des Nominalismus [3]) vor. Albert (1972c:49, Anm.25) wiftt Weber-Kriti­kern vor, dass ihr Essentialismus ihnen ein adäquates Weber-Verständnis verstelle. Trifft das­selbe evtl. auch auf Popper zu?!



[1]) „Nachdem bereits Duhem in gewissem Sinn erkannt hatte, dass Theorien die Bedeutungen der in ihnen enthaltenen Begriffe mitbestimmen und diese Bedeutungen andererseits nicht außer­halb der Theorie festgelegt werden können, hat Quine diese Aussage in aller Schärfe formuliert. Sprache und Theorie bilden eine Einheit, sozusagen das Netz, in dem wir die Wirklichkeit einzu­fan­gen trachten. Ob sie darin hängen bleibt, stellt sich heraus. Falls das Netz die Wirklichkeit nicht er­fasst, werden wir ebenso gut sagen können, unsere Theorie sei falsifiziert, als uns gelänge es nicht mehr, die Welt in unserer Sprache zu beschreiben." (Kamlah 1978a:42)

[2]) "Die Theorie, dass sich zwar die physikalischen Wissenschaften auf einen methodolo­gi­schen Nominalismus gründen, dass aber in den Sozialwissenschaften essentialistische ('realistische') Me­thoden angewendet werden müssten, wurde mir im Jahre 1925 von K. Polanyi klargemacht; Po­lanyi hat damals darauf verwiesen, dass sich durch Aufgeben dieser Theorie möglicher­weise eine Re­form der Methodologie der Sozialwissenschaften erreichen ließe. - Die Theorie wird in gewis­sem Ausmaße von den meisten Soziologen vertreten, insbesondere von J. ST. MILL (z. B. in seiner Logik, Bd. VI, Kapitel X, 2; vgl. auch seine hi­storizistischen Formulierungen, z. B. in Bd. VI, Kapitel X, 2, letzter Absatz: "Das Grundproblem ... der Sozialwissenschaft besteht in der Auffin­dung von Gesetzen, nach denen jeder Zustand der Gesellschaftsordnung einen ihm nachfolgenden Zustand hervorbringt...", K. Marx, Max Weber (vgl. z. B. seine Definitionen 'Soziologische Grundbe­griffe', in Wirtschaft und Gesellschaft (...), G. Simmel, A. Vierkandt, R. M. MacIver und vielen anderen. - Der philosophische Ausdruck all dieser Tendenzen findet sich in Husserls 'Phänomenologie', die eine systematische Wiederbelebung des platonischen und aristotelischen methodologischen Essentialis­mus ist. Im Gegensatz dazu läßt sich die nominalistische Haltung in der Soziologie meiner Ansicht nach nur in Form einer technologischen Theorie sozialer Institutionen entwickeln." Dass die So­zi­alwissenschaften durch die Einführung des Nominalismus revolutioniert würden, muss wahr­lich zu­gegeben werden, weil dann alle bisher bekannte Sozialwissenschaft in Poppers Sinne "essen­ti­ali­stisch" ist. Leider unterließ Popper jeglichesBeispiel vermissen, wie eine nominalistische Sozi­al­wis­senschaft aussieht.

[3]) „Dem Nominalismus des weberschen Verfahrens entspricht die prinzipielle Skepsis gegen­über der Annahme objektiv gegebener sozialer Gesetzmäßigkeiten. Da für ihn jede teleologische Ge­schichtsdeutung von vornherein hinfällig ist, gelten ihm allgemeine Gesetze als bloße Abstrak­ti­o­nen, die 'uns von der Fülle der Wirklichkeit' abführen. Lediglich im Sinne einer hypothesen­bildenden Vorarbeit für empirische Einzeluntersuchungen besitzen sie eine begrenzte Funktion: als Anwei­sung zur Typenbildung und Konstruktion von Regeln sozialen Handelns, die jedoch nur Wahr­schein­lichkeiten darstellen. Weber ist auch hierin Nominalist. Die Funktion sozialwissen­schaft­li­cher Begriffsbildung bleibt auf klassifikatorische und definitorische Bestimmungen verwiesen, wäh­rend jeder Anspruch, mit Wissenschaftlicher Konstruktion etwas von der Struktur des sozi­olo­gi­schen Objekts selber zu vermitteln, als Illusion denunziert wird. Theorie und Abstraktion bleiben da­nach den wirklichen Vor­gängen im sozialen Leben äußerlich." (Lenk 1972a)

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