Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Szientismus und Techno­kratis­mus

Dem Positivismus verwandt: Szientismus und Techno­kratis­mus

Der extensive, schlagwortartige Gebrauch des Positivismus-Begriffs hatte sich beim gro­ßen Publi­kum leicht durchgesetzt, nicht allein weil er schön platt ist, son­dern auch des­wegen, weil er in der an den offiziellen Vertretern der empiri­schen So­zialforschung er­leb­ba­ren Attitüde der Fetischi­sierung der Wissenschaft­lich­keit ein fundamentum in re auf­zu­zei­gen vermochte. Man neh­me exem­plarisch die mitt­ler­wei­le schon zum Standardrepertoire der Massen­me­dien gehö­ren­de Demoskopie, eini­ge der we­ni­gen be­merkenswerten Fälle, wo universitäre und gar „sozio­logi­sche“ Information ggf. Markt­wert zu erlangen vermochten. Im dialek­tischen Spannungs­feld von wissenschaftlicher Wahr­heit und marketability [1]) des administrative research [2]) werden die po­si­ti­vi­sti­schen Recht­fertigungs-Slogans der „Ge­schäfts­leute oder Werk­kun­di­gen der Ge­lehr­sam­keit“ (Kant XI:280) immer noch gerne für den mul­timedialen Wissen­schafts-hype [3]) dank­bar in An­spruch genom­men, auch nachdem für de­ren phi­lo­sophische Qua­li­tät kaum je­mand mehr die Ge­währ­leistung zu über­neh­men be­reit ist. Po­si­ti­vismus verfährt so wie konser­va­tives Denken ge­nerell: Es wird mehr ge­lebt denn theoretisch auf den Punkt ge­bracht, stellt es doch eine fun­da­mentale At­ti­tüde dar, die sich gegen vorgeblich spe­ku­la­tiv über­zogenes Theo­re­ti­sieren wen­det.

Empirische Sozialforschung wird überhaupt gerne als ein treffliches Instrument zur Her­bei­füh­rung der ideologiefreien Endlösung gefeiert (Topitsch 1966a:48).


[1]) Noch Mills (1963a:147) konnte leichterdings die Behauptung, dass ein Soziologe sich ver­kau­fe, als un­an­ge­bracht zurückweisen, "denn das kann nur der tun, der etwas zu verkaufen hat". Ande­rerseits verursa­chen Da­ten­samm­lung und -auswertung erhebliche Kosten, so dass schon durch die damit ver­bundenen „öko­no­mischen Sach­zwän­ge“ die Interessen derjenigen, die sich auf empirische For­schung verlegen möch­ten, sehr deutlich vor­ge­geben sind. Der erforderliche Apparat sowie der ko­stenmäßige Aufwand allein schon ergeben eine gewisse Af­finität zu den sich an der Herrschaft be­findlichen Bürokratien. - Der Weg zur "büro­kratisch an­gewandten So­zi­o­lo­gie" (Mills 1963a:177) ist mit Dol­lars gepflastert. - "Social theory 'for its own sake', or 'pu­re' social theory, is always vulnerable and of challengeable legitimacy in a utilitarian culture. In­so­far as 'theory' is regarded as the least practi­cab­le aspect of social science - that is, as 'mere' the­ory - the social scien­ce of a utilitarian culture al­ways tends toward a theoryless empiricism, in which the con­cep­tualization of problems is secon­da­ry and energies are instead given over to questions of mea­sure­ment, re­search or experi­men­tal de­sign, sampling or instrumentation. A conceptual vacuum is thus created, ready to be fil­led in by the common-sense concerns and practical interests of cli­ents, sponsors, and research funders; in this way socio­lo­gy is made useful to their interests." (Gouldner 1971a:82) - "To be 'bought' and to be 'paid for' are two dif­fe­rent things - and this is a con­tra­diction of the Welfare State not peculiar to its re­la­tions with sociologists." (Gouldner 1971a:439) Da­bei ist noch nicht berücksichtigt, dass längst auch in Deutschland die Soziologie den Schritt zur Profes­siona­li­sierung und zu einer berufsständi­schen Organi­sa­ti­on hinter sich gebracht hat und da­durch ein natürliches Inter­es­se an der Vermark­tung der eigenen Profes­si­on bezeugt (siehe dazu Ale­mann 1996a). Jede offene Kontroverse, die als ei­ne öffentliche Bankrotterklä­rung der betreffenden Wissenschaft aus­gelegt werden könnte, scha­det dem Image (Baumgarten 1964a:519), zumindest in den Kreisen der zah­lungs­kräftigen Nach­fra­ger, und ist daher im In­teresse von marketing und public rel­a­tions der Profession ge­fäl­ligst zu unter­lassen.

[2]) "(...) information-gathering systems or research methods always premise the existence and use of some sy­stem of social control." (Gouldner 1971a:50) - "Ein Mainzer Bürger muss für 3 Tage in Haft, weil er statistische Aus­künf­te nach dem Mikrozensusgesetz verweigert hat." (TV 9.3.2001)

[3]) Der Stammvater des Wissenschafts-hype ist Bacon: "Not because of his philosophy of scien­ce and his theory of induction, but because he became the founder and pro­phet of a rationalist church - a kind of anti-church. The church was founded not on a rock but on the vision and the pro­mise of a scientific and indu­stri­al society - a society based on man's mastery over nature. Ba­con's pro­mise is the promise of self-libe­ration of mankind through knowledge." (Popper 1994a:195f)

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