Dem Positivismus verwandt: Szientismus und Technokratismus
Der extensive, schlagwortartige Gebrauch des Positivismus-Begriffs hatte sich beim großen Publikum leicht durchgesetzt, nicht allein weil er schön platt ist, sondern auch deswegen, weil er in der an den offiziellen Vertretern der empirischen Sozialforschung erlebbaren Attitüde der Fetischisierung der Wissenschaftlichkeit ein fundamentum in re aufzuzeigen vermochte. Man nehme exemplarisch die mittlerweile schon zum Standardrepertoire der Massenmedien gehörende Demoskopie, einige der wenigen bemerkenswerten Fälle, wo universitäre und gar „soziologische“ Information ggf. Marktwert zu erlangen vermochten. Im dialektischen Spannungsfeld von wissenschaftlicher Wahrheit und marketability [1]) des administrative research [2]) werden die positivistischen Rechtfertigungs-Slogans der „Geschäftsleute oder Werkkundigen der Gelehrsamkeit“ (Kant XI:280) immer noch gerne für den multimedialen Wissenschafts-hype [3]) dankbar in Anspruch genommen, auch nachdem für deren philosophische Qualität kaum jemand mehr die Gewährleistung zu übernehmen bereit ist. Positivismus verfährt so wie konservatives Denken generell: Es wird mehr gelebt denn theoretisch auf den Punkt gebracht, stellt es doch eine fundamentale Attitüde dar, die sich gegen vorgeblich spekulativ überzogenes Theoretisieren wendet.
Empirische Sozialforschung wird überhaupt gerne als ein treffliches Instrument zur Herbeiführung der ideologiefreien Endlösung gefeiert (Topitsch 1966a:48).[1]) Noch Mills (1963a:147) konnte leichterdings die Behauptung, dass ein Soziologe sich verkaufe, als unangebracht zurückweisen, "denn das kann nur der tun, der etwas zu verkaufen hat". Andererseits verursachen Datensammlung und -auswertung erhebliche Kosten, so dass schon durch die damit verbundenen „ökonomischen Sachzwänge“ die Interessen derjenigen, die sich auf empirische Forschung verlegen möchten, sehr deutlich vorgegeben sind. Der erforderliche Apparat sowie der kostenmäßige Aufwand allein schon ergeben eine gewisse Affinität zu den sich an der Herrschaft befindlichen Bürokratien. - Der Weg zur "bürokratisch angewandten Soziologie" (Mills 1963a:177) ist mit Dollars gepflastert. - "Social theory 'for its own sake', or 'pure' social theory, is always vulnerable and of challengeable legitimacy in a utilitarian culture. Insofar as 'theory' is regarded as the least practicable aspect of social science - that is, as 'mere' theory - the social science of a utilitarian culture always tends toward a theoryless empiricism, in which the conceptualization of problems is secondary and energies are instead given over to questions of measurement, research or experimental design, sampling or instrumentation. A conceptual vacuum is thus created, ready to be filled in by the common-sense concerns and practical interests of clients, sponsors, and research funders; in this way sociology is made useful to their interests." (Gouldner 1971a:82) - "To be 'bought' and to be 'paid for' are two different things - and this is a contradiction of the Welfare State not peculiar to its relations with sociologists." (Gouldner 1971a:439) Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass längst auch in Deutschland die Soziologie den Schritt zur Professionalisierung und zu einer berufsständischen Organisation hinter sich gebracht hat und dadurch ein natürliches Interesse an der Vermarktung der eigenen Profession bezeugt (siehe dazu Alemann 1996a). Jede offene Kontroverse, die als eine öffentliche Bankrotterklärung der betreffenden Wissenschaft ausgelegt werden könnte, schadet dem Image (Baumgarten 1964a:519), zumindest in den Kreisen der zahlungskräftigen Nachfrager, und ist daher im Interesse von marketing und public relations der Profession gefälligst zu unterlassen.
[2]) "(...) information-gathering systems or research methods always premise the existence and use of some system of social control." (Gouldner 1971a:50) - "Ein Mainzer Bürger muss für 3 Tage in Haft, weil er statistische Auskünfte nach dem Mikrozensusgesetz verweigert hat." (TV 9.3.2001)
[3]) Der Stammvater des Wissenschafts-hype ist Bacon: "Not because of his philosophy of science and his theory of induction, but because he became the founder and prophet of a rationalist church - a kind of anti-church. The church was founded not on a rock but on the vision and the promise of a scientific and industrial society - a society based on man's mastery over nature. Bacon's promise is the promise of self-liberation of mankind through knowledge." (Popper 1994a:195f)
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