Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Die Ideologie des Endes der Ideologien

Slo­gans wie „Ende der Ide­o­lo­gie[1]), „Ende der Geschichte“ [2]), „Ende der Moderne“ bestechen dadurch, dass sie of­fen­kun­dig ab­surd sind. Wie soll man widerlegen, was derart mit seiner Falschheit hausieren geht? Was ist das für eine Ge­genwart, die sich we­sent­lich als Vorbeisein einer Geschichte weiß? Die dar­ob ih­re eigene Ge­schich­te zu machen, die von ihr zu gestaltende Zukunft ver­pennt! Der Lieb­ha­ber solcher Slogans be­weist indes seine Fas­zi­niertheit, indem er einen Sinn in diesem Un­sinn zu erspüren hofft - ver­liehe ihm dies doch min­dest die Aura des Ein­ge­weih­ten. Was kommt nach der Postmoderne [3])? Ich schlage „Post-Postmoderne“ [4]) vor. Das Herbei­füh­ren keimfrei ge­reinigter Vernunft oder einer „rei­nen“ Erkenntnis ist ein uto­pi­stischer Spleen (Al­bert 1972c:351), wovor sich gerade Ideologie-Kritik als erste hü­ten soll­te. Die Di­a­gnose vom En­de der Ideo­logien (Waxman 1968a) zeugt eher von geisti­ger Inzucht der betreffen­den Autoren. Wie kann Ende sein da­mit: das Geschehene zur aufge­fassten, erzählten und verstande­nen Ge­schichte zu machen und somit als in Raum und Zeit Geschichtetes [5]) nachzu­er­leben?!

Mit der Verkündung eines neuen Zeitalters, nämlich das der "Informations­ge­sell­schaft", hat sich ein wei­teres weites Problemfeld aufgetan und kommt heutzutage verstärkt zur Geltung: Das kultu­rel­le Er­be - verwertbares Kapital im Zeitalter der In­formationsgesellschaft? Europa ist für Schwengel (1999a:22) die Erste Union glo­baler Staaten, d.h. ein global exemplari­scher Form­wandel des Natio­nal­staats, ohne auf die sta­bili­sie­ren­de Leistungen seines kultu­rel­len Ge­dächtnisses verzichten zu müs­sen. Nun war Kultur aber noch nie auf politische Gren­zen redu­zierbar, auch nicht auf national­staat­liche.[6]) Man wird po­li­ti­sche Identitäten nicht än­dern kön­nen, ohne notgedrungen eben­falls die Wei­sen der kulturellen Rückbe­sin­nung we­sentlich zu ver­än­dern. Themenkreis und Prob­lematik span­nen sich von der Inter­na­tionali­sierung von Wissen­schaft, über nationale Kern­kompetenzen zu den natürli­chen Sprachen als Grenzen und kultu­rel­len Sam­melbecken sozialge­schichtlicher Er­fah­run­gen bis hin zur Frage der economies of scale, wie sie die natio­na­le Filmindustrie, Mul­ti­me­dia­pro­duk­ti­onen sowie die Publikation, Archi­vie­rung und Retrodigi­ta­li­sie­rung der lite­ra­ri­schen Bestände eines be­stimm­ten Staates betreffen.



[1]) Schon die Aufklärung war ein Ende der Ideologien, das ist nach der wechselseitigen Ab­schlachtung der Gläu­bigen im Drei­ßig­jährigen Krieg eine Ernüchterung über den Erkenntnis- und praktischen Wert von unterschiedlichen Theolo­gi­en. Es wird heute leicht übersehen, dass die Ein­sich­ten, insbesondere aber die Selbstbescheidung der Philoso­phen in der Menschheitsgeschichte oft erst nach großen Blutopfern möglich wurden. Zu einer ent­spre­chenden In­ter­pretation der kan­ti­schen Philosophie siehe Delekat (1973a).

[2]) Fukuyama (1992a; vgl. auch Essbach 1995a, Schwengel 1999a)

[3]) Der Terminus "Postmoderne" wurde laut Schwengel (1999a:51) zum ersten Male von Leslie A. Fiedler im Juni 1968 in einem Vortrag in Freiburg benutzt. Fiedlers Vortrag "Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne" erschien auf Deutsch erstmals in Welsch (1988a:57-74).

[4]) "But, have postmodernists come through on their attempts to create a new and better eman­cipatory pro­ject. Have we seen a proliferation of radical new directions in science as a result of the tireless efforts of post­moder­nists to undo and redress the philosophical and political violence of the Enlightenment? Or, after de­ve­lo­ping a fin de siecle jingoism to replace Marxist radical banter, have postmodern theorists settled com­for­tab­ly into the armchairs of the modernist theorists whom they set out to displace? Has orthodoxy re­placed or­tho­doxy? Op­pres­sor with oppresser? Arguably the answer is that nothing has changed." On the Postmodern Tur­ning Away. A Special Issue of the Elec­tronic Journal of Sociology. Siehe zu "Virtues and Limitations of Postmodern Theory" McGettigan (2000a).

[5]) wobei Geschichtetes auch als ein in- und miteinander Verwobenes erzählt werden kann; sie­he Burke (1999a).

[6]) Zur Migrationsgeschichte Deutschlands siehe sowie Motte, Ohliger, von Oswald (1999a).

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