Slogans wie „Ende der Ideologie“ [1]), „Ende der Geschichte“ [2]), „Ende der Moderne“ bestechen dadurch, dass sie offenkundig absurd sind. Wie soll man widerlegen, was derart mit seiner Falschheit hausieren geht? Was ist das für eine Gegenwart, die sich wesentlich als Vorbeisein einer Geschichte weiß? Die darob ihre eigene Geschichte zu machen, die von ihr zu gestaltende Zukunft verpennt! Der Liebhaber solcher Slogans beweist indes seine Fasziniertheit, indem er einen Sinn in diesem Unsinn zu erspüren hofft - verliehe ihm dies doch mindest die Aura des Eingeweihten. Was kommt nach der Postmoderne [3])? Ich schlage „Post-Postmoderne“ [4]) vor. Das Herbeiführen keimfrei gereinigter Vernunft oder einer „reinen“ Erkenntnis ist ein utopistischer Spleen (Albert 1972c:351), wovor sich gerade Ideologie-Kritik als erste hüten sollte. Die Diagnose vom Ende der Ideologien (Waxman 1968a) zeugt eher von geistiger Inzucht der betreffenden Autoren. Wie kann Ende sein damit: das Geschehene zur aufgefassten, erzählten und verstandenen Geschichte zu machen und somit als in Raum und Zeit Geschichtetes [5]) nachzuerleben?!
Mit der Verkündung eines neuen Zeitalters, nämlich das der "Informationsgesellschaft", hat sich ein weiteres weites Problemfeld aufgetan und kommt heutzutage verstärkt zur Geltung: Das kulturelle Erbe - verwertbares Kapital im Zeitalter der Informationsgesellschaft? Europa ist für Schwengel (1999a:22) die Erste Union globaler Staaten, d.h. ein global exemplarischer Formwandel des Nationalstaats, ohne auf die stabilisierende Leistungen seines kulturellen Gedächtnisses verzichten zu müssen. Nun war Kultur aber noch nie auf politische Grenzen reduzierbar, auch nicht auf nationalstaatliche.[6]) Man wird politische Identitäten nicht ändern können, ohne notgedrungen ebenfalls die Weisen der kulturellen Rückbesinnung wesentlich zu verändern. Themenkreis und Problematik spannen sich von der Internationalisierung von Wissenschaft, über nationale Kernkompetenzen zu den natürlichen Sprachen als Grenzen und kulturellen Sammelbecken sozialgeschichtlicher Erfahrungen bis hin zur Frage der economies of scale, wie sie die nationale Filmindustrie, Multimediaproduktionen sowie die Publikation, Archivierung und Retrodigitalisierung der literarischen Bestände eines bestimmten Staates betreffen.
[1]) Schon die Aufklärung war ein Ende der Ideologien, das ist nach der wechselseitigen Abschlachtung der Gläubigen im Dreißigjährigen Krieg eine Ernüchterung über den Erkenntnis- und praktischen Wert von unterschiedlichen Theologien. Es wird heute leicht übersehen, dass die Einsichten, insbesondere aber die Selbstbescheidung der Philosophen in der Menschheitsgeschichte oft erst nach großen Blutopfern möglich wurden. Zu einer entsprechenden Interpretation der kantischen Philosophie siehe Delekat (1973a).
[2]) Fukuyama (1992a; vgl. auch Essbach 1995a, Schwengel 1999a)
[3]) Der Terminus "Postmoderne" wurde laut Schwengel (1999a:51) zum ersten Male von Leslie A. Fiedler im Juni 1968 in einem Vortrag in Freiburg benutzt. Fiedlers Vortrag "Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne" erschien auf Deutsch erstmals in Welsch (1988a:57-74).
[4]) "But, have postmodernists come through on their attempts to create a new and better emancipatory project. Have we seen a proliferation of radical new directions in science as a result of the tireless efforts of postmodernists to undo and redress the philosophical and political violence of the Enlightenment? Or, after developing a fin de siecle jingoism to replace Marxist radical banter, have postmodern theorists settled comfortably into the armchairs of the modernist theorists whom they set out to displace? Has orthodoxy replaced orthodoxy? Oppressor with oppresser? Arguably the answer is that nothing has changed." On the Postmodern Turning Away. A Special Issue of the Electronic Journal of Sociology. Siehe zu "Virtues and Limitations of Postmodern Theory" McGettigan (2000a).
[5]) wobei Geschichtetes auch als ein in- und miteinander Verwobenes erzählt werden kann; siehe Burke (1999a).
[6]) Zur Migrationsgeschichte Deutschlands siehe
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