Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

08.10.2005

Systeme und ihr Pluralismus

Dass jeder Philosoph und manch ein soziologischer Klassiker sein eignes System zu entwi­ckeln sich gezwungen glaubte, steht nicht in Widerspruch zur kollektiven Entwicklung der Wis­senschaft, weil ja jeder Philosoph notwendig an Vorgänger anknüpft. Schlimm ist nur, wenn jemand meint, tradierte Bindungen seines Faches mit ein paar hingeworfenen Schlag­wor­ten („verstaubt“, „dogma­tisch“, „schola­stisch“, „mystisch“, „19. Jahrhundert“ etc.) schlicht kappen zu kön­nen. Wenn dermaßen Kontinuität sub­jektiv abgeschnitten wird, kann diese sich ob­jektiv schwer­lich herstellen, ganz zu schweigen von einem Erkenntnisfortschritt gesprochen werden, son­dern höchstens von einem blo­ßen „Herumtappen“. Es kommt also auch hier darauf an, in wel­cher Einstellung man einem Klas­siker begegnet. Man muss ihnen kritisch begegnen; aber ge­rade hier setzt Kritik erst einmal Ver­ste­hen voraus. Eine klassische Theorie muss erst in ih­rem jeweiligen historischen und metatheore­ti­schen Kontext erschlossen sein, um effektiv für die Gegenwart wertvoll werden zu können. Hier scheint mir das größte Problem zu liegen: Dass die gegenwärtigen Vertreter eines Faches nicht mehr dieselbe Sprache sprechen und über die notwendigen historischen Kenntnisse verfügen, um überhaupt Zugang [1]) zu den Klas­si­kern zu erlangen. Leider zimmert sich bis heute noch jeder So­zialwissenschaftler mehr schlecht als recht sein eigenes Geschichtsbild von der Disziplin, und dies in Abhängigkeit davon, wel­chem Paradigma er zur Zeit Treue geschworen hat. Der Kampf der Pa­ra­dig­mata wird dann zu­rückprojiziert auf die sog. "Theoriegeschichte", wobei diese dann unausweichlich zum Ne­ben- oder Er­satz­kampffeld wird.

Merton begründet seine Kritik an den „totalen Systemen“ damit, dass jeder Theoretiker glau­be, von vor­ne anfangen zu müssen [2]); deshalb sei keine kumulative Entwicklung möglich ge­we­sen. Dem­ge­gen­über weist Parsons nach, dass innerhalb der Soziologie eine theore­ti­sche Kon­ver­genz feststellbar sei. Auf keinen Fall kann von einer Beziehungslosigkeit der Systeme un­ter­einander ge­spro­chen werden, genauso wenig wie in der Philosophie, wo die Ten­denz zur Sy­stem­bildung noch sehr viel stärker ausgeprägt ist. So gesehen, leidet Mertons Plä­do­yer für ei­ne stär­kere Verknüpfung von Theorie und Empirie unter einer polemischen Ver­zeichnung der The­o­rie­geschichte sowie der Funk­tionalität genereller Theorie; vermutlich der Hauptgrund, wa­rum Mer­tons Plädoyer zum Teil hef­ti­gen Widerspruch provoziert hat. Es steht sogar stark zu be­zwei­feln (Gid­dens 1971a:xvi), ob die Klas­si­ker von sich aus ein solches groß­ angelegtes Sy­stem zu produzieren be­absichtigten, wie es ihnen die Re­zeption und die dieser fol­gende Kritik einfach wie selbstverständlich unterstellen.

Eine Rezeptionsschwäche gegenüber wissenschaftsgeschichtlich tradierten Ansätzen ist aber je­denfalls eine unökonomische Forschungsstrategie [3]). Vom Standpunkt des Falli­bi­lis­mus und Theorienpluralismus aus ist eindeutig die Strategie vorzuziehen, aus der Theo­rie­ge­schich­te Al­ter­na­ti­ven zur jeweiligen main-stream-Doktrin zu gewinnen:

„... the history of science is studied to develop new theories that are heretical to the current ones.” (Negishi 1985a:1)

Ein Theorienpluralismus ist weiß Gott nicht eine methodologische Idealsituation, die sich von selbst herstellt. Sie muss von kritischen Wissenschaftlern immer wieder neu hergestellt wer­den! Es gibt aber zweierlei Arten, wie man streben kann, von der überlieferten Theorie­tra­diti­on zu profi­tie­ren:

(1) kann man die Klassiker als einen Steinbruch benutzen. So hat beispielsweise auch Schütz bei Weber das Konzept des Idealtyps geborgt, um es in einem anderen metatheoretischen Kon­text, seinem ursprünglichen Sinnzusam­menhang ver­frem­det, zu gebrauchen (Prendergast 1986a). Was Schütz recht war, ist Es­ser (1991a) billig, und verfremdet dessen Ansatz zu einem RC-Er­klä­rungsver­such. Kiser und Hech­ter (1991a:16) finden in der marx­schen Theorie, obwohl viele Pro­gnosen sich als falsch erwiesen hät­ten, interessante Kausalmecha­nis­men zur Erklärung so­zi­aler Prozesse.

(2) Man kann den Kontext einer historischen Totalität eines theoretischen Zusammen­hangs eh­ren und versuchen, eine Kategorie in ihrem Zusammenhang mit dem ur­sprüng­li­chen Problem ih­res Schöpfers zu verstehen. (Das ist das Feld der Hermeneutik und der Problemge­schichts­schrei­bung.)

Es liegt kein Grund vor, (1) gegenüber (2) vorzuziehen. Beide Perspektiven sind berechtigt und je­de zu ihrem Zweck zu gebrauchen, wie sie sich auch gegenseitig voraussetzen. Man darf diese Per­spekti­ven jedoch nicht verwechseln oder durcheinander werfen.

Wer der nach dem Zweiten Weltkrieg praktizierten Ausrichtung der westdeutschen Soziolo­gie auf die USA nachgefolgt ist, bleibt demnach auf den Reimport deutschen Wurzelgemüses, ge­fil­tert durch die Rezeption [4]) von Parsons, Gerth, Mills, Merton u. a., angewiesen (vgl. Dah­ren­dorf, zit. bei Schelsky 1967a:29). Wenn Hegel oder Marx Propheten waren, so hat sich an ih­nen die Prophezeiung erfüllt: Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande. Ist Hegels Philosophie als ei­ne deutsche Spinnerei anzusehen, so war diese doch gründlich, und deutsche Gründ­lichkeit [5]) ist schon immer ein Export­schla­ger auf dem Weltmarkt gewesen. Während so He­gel (1930b:LXXIV) noch die deutsche Gründ­lich­keit als Zufluchtsort der Philosophie wähnen durf­te, so er­folgten späte­stens von Marx an bis hin zu Popper, König, Albert und gegen­wär­tig wie­der Eß­bach (1995a) mit Schmähworten auf das gesellschaftliche und geisti­ge Mo­derni­täts­de­fi­zit der Gesellschaft der Deutschen der forcierte Import sozialwissenschaft­li­cher hi-tec-Werk­zeu­ge aus dem westlichen Ausland. Der­lei rhetorische Figuren dienen als Kommu­nikati­ons­ver­stär­ker und verknöchern schließlich zu ei­nem kulturellen Habitus, werden so Teil des eige­n­en Selbst­ver­ständnisses. Die List der Vernunft zeigt sich schließlich aber darin, dass immer nur das­je­nige wahr­haft rezipiert werden kann, was dem ei­genen Fragehorizont wirklich ent­spricht. Wer nur der auslän­di­schen Mode hinterher läuft, fördert vielleicht im Augenblick sei­ne Kar­rie­re als Ideenimporteur, wird auf Dau­er aber wenig Er­trag ern­ten, weil schon die näch­s­te Baisse der Mo­de sein frisch investiertes Um­lauf­ka­pi­tal zur Um­dis­position zwingt.

Habermas (1992a:36) in einer kosmopolitischen Anwandlung wendet sich gegen die These ei­nes „ame­ri­kani­schen Wissenschaftsimperialismus“ nach dem Zweiten Weltkrieg und meint, eher von ei­ner wechsel­sei­ti­gen Beeinflussung gerade aufgrund der Emigration deutscher Wis­sen­schaftler spre­chen zu kön­nen. Gegensätzlicher Meinung ist Schelsky [6]). Als Speer­spitze des Ame­rika­nis­mus in der deut­schen Nachkriegs-Sozio­lo­gie galt lange Zeit König, was in per­sön­lich pointierten Kontroversen mit Adorno und Schelsky sich äußerte. Fakt dürfte aber sein, dass die deut­sche Soziologie 1945 in vieler Hinsicht eine Zäsur mit dem in der Vergangen­heit Erreichten erfahren hat. Da­mals herrschte bei den meisten ein Bewusst­sein vor, man fange in der Stunde Null [7]) auch bei Null wieder an, was tatsächlich natürlich nie der Fall war. Schels­ky (1967a:37) erklärt dies dadurch, dass die deutsche Soziologie ihr Repertoire schon vor 1930 er­schöpft habe und daher schon deswegen die Emigranten im Ausland dann relativ schnell zu neu­en Richtungen übergegangen seien. Mills (1963a:173) hinwieder hält es als be­zeich­nend für die Gedankenarmut des in den USA vor­herr­schenden abstrakten Empirismus, dass deren Ver­tre­ter vielfach noch von deutschen Pro­blem­tra­diti­onen zehrten.

Ein Bundespräsident wagte es auszusprechen, dass er die nationalistische Phrase: "Ich bin stolz, ein Deut­scher zu sein!" nicht unterschreibe. [8]) Nun, ich bin stolz darauf, Kant und He­gel, Marx und Weber in der Ursprache (abgesehen von den allfälligen Zitaten) lesen zu kön­nen.[9])

Es ist aber in Philosophie und der sozialwissenschaftlichen Theorie sowieso das Problem, dass je­der einzelne Theoretiker glaubt, mit seinen eigenen theoretischen Bemühungen quasi bei Adam und Eva anfangen zu müssen und seinen nur ihm eigentümlichen Standpunkt schaf­fen zu müssen.[10]) Dieser Turmbau zu Babel bringt natürlich außerordentliche Kom­muni­kati­ons­pro­bleme mit sich in­nerhalb von Forschung und Lehre, aber auch in der Politikberatung und An­wendung. Denn gerade hier ist Teamarbeit angesagt; es kann nicht alle halbe Stunde der the­oretische Be­zugs­rahmen und die Terminologie für eine Datensammlung geändert werden.

Während Ricardo und Marx schon bei der Analyse der Differentialrente intuitiv Gedanken der Dif­ferentialrechnung verwandten, wurde letztere das Hauptinstrument der subjektivi­sti­schen Öko­no­mie. Da aber deren Initiatoren wie Menger, Wieser und Böhm-Bawerk die höhere Ma­the­matik nicht kannten, haben sie dieselbe 200 Jahre nach Newton und Leibniz zum dritten Ma­le erfunden (Lange 1964a:290, Anm.47; Schumpeter 1965a). Es ist zwar nicht immer um­sonst, dass das Rad im Laufe der Geschichte der Menschheit mehrfach erfunden worden ist. So wie Mer­ton das Phäno­men der mehrfachen Entdeckung („multiples“ [11]) für die Wissenschaftsso­zio­lo­gie frucht­bar ge­macht hat, ist umgekehrt sicherlich auch das Phänomen kollektiven Verges­sens sehr bedeutsam für dieselbe, worüber sich leicht evolutionstheoretisch das Kreuz schlagen lässt.[12])

Das jeweilige time out einer bestimmten philosophischen Traditionslinie zeigt, dass die Fo­kus­sie­rung auf Neues immer auch Altes kostet.[13])

"Es ist aber ein für allemal vergebens, wenn die substantielle Form des Gei­stes sich umgestaltet hat, die Formen früherer Bildung erhalten zu wollen; sie sind welke Blätter, welche von den neuen Knospen, die an Ihren Wurzeln schon er­zeugt sind, abgestoßen werden." (Hegel: Wissenschaft der Logik:5.)

Das Problem des Erkenntnisfortschritts besteht dann nicht so sehr darin, Neues zu entdecken, d.h. in der Förderung der Kreativität, sondern dass das Neue sich durchsetzt und anerkannt wird: die Mecha­nismen sozialer, ökonomischer und politischer Zensur, aber auch von pro­mo­ti­on und Pro­paganda. Dass offizielle Zensur auch den Absatz eines Werkes fördern kann, hat schon Heine [14]) mit spöttischem Dank quittiert. Eine unerbittliche Zensur verstärkt in so unglaubli­cher Wei­se die Wirkung ei­nes unterdrückten Gedankens, dass es ein verzeihlicher Irrtum er­scheint, dass kritische Intellek­tu­elle wie z.B. die Junghe­geli­aner die Wirkung ihrer Schriften auf die Ent­wicklung der Gesellschaft maßlos überschätzten. Lenin zum Beispiel erlebte für das da­ma­li­ge zaristische Russland die an­ge­nehme Überraschung eines „Honigmonds des legalen Mar­xis­mus“ [15]). Derlei Paradoxa der sozialen Kontrolle bewähren nur, dass Zensur vielfach Ge­burts­hel­ferdienste bei der Verbreitung kritischer Aufklärung leistet, z. B. indem sie erst ei­nen schwar­zen Markt für die unterdrückten Informationen schafft.



[1]) "Man führt Klage über die Bettler im Süden, und man vergisst, dass ihr Beharren vor unse­rer Nase so ge­recht­fertigt ist wie die Obstination des Gelehrten vor schwierigen Texten. Kein Schat­ten des Zögerns, kein leisestes Wollen oder Erwägen, das sie in unseren Mienen nicht aus­spür­ten." (Benjamin 1955a:122)

[2]) "Das Reich des Gedankens philosophisch, d. i. in seiner eigenen immanenten Tätigkeit oder, was dasselbe ist, in seiner notwendigen Entwicklung darzustellen, musste deswegen ein neues Unternehmen sein und dabei von vorne angefangen werden; jenes erworbene Material, die be­kann­ten Denkformen, aber ist als eine höchst wichtige Vorlage, ja eine notwendige Bedingung [und] dankbar anzuerkennende Voraussetzung anzusehen, wenn dieselbe auch nur hie und da ei­nen dür­ren Faden oder die leblosen Knochen eines Skeletts, sogar in Unordnung untereinander geworfen, dargibt." (Hegel: Wissenschaft der Logik:12)

[3]) „In viel höherem Grade als beispielsweise in der Physik gilt für die Wirtschaftswissenschaft, dass die heuti­gen Probleme, Methoden und Resultate nicht völlig verständlich werden, ohne eine ge­wisse Kenntnis des Weges, auf dem die Wirtschaftswissenschaftler zu ihrer heutigen Denkweise ge­langten. Überdies sind häufiger noch als in der Phy­sik Resultate verlorengegangen oder Jahr­hun­derte lang unausgewertet geblieben." (Schumpeter 1965a:35)

[4]) Birnbaum (1963a:16, Anm.1) weist wie folgt nach: 1931 übersetzt Talcott Parsons Max We­bers "Die prote­stantische Ethik"; H. Gerth und C. W. Mills, "From Max Weber: Essays in Sociology", N. Y. 1946; Auszüge aus "Wirtschaft und Gesellschaft" bringt Parsons 1947 mit "The Theory of Social and Eco­nomic Organisation".

[5]) "Die Gründlichkeit scheint zu erfordern, den Anfang als den Grund, worauf alles gebaut sei, allem voraus zu untersuchen, ja nicht weiterzugehen, als bis er sich fest erwiesen hat, im Gegenteil vielmehr, wenn dies nicht der Fall ist, alles noch Folgende zu verwerfen." (Hegel: Wissenschaft der Logik:30) So ist Gründlichkeit fast so viel wie Rechtfertigungsstrategie und axiomatischer Auf­bau.

[6]) „In dieser Weise könnte die deutsche Soziologie innerhalb unserer Gesellschaft zu einem In­strument der Ame­rikanisierung, zumindest aber eines sozialen Konformismus zur ameri­ka­ni­schen sozialen Entwicklung werden und den belanglosen Provinzialismus einer Wissenschaft damit in einen fundamentalen Provinzialis­mus der Gesell­schaft und ihrer sozialen Selbstbesinnung ver­wan­deln helfen." (Schelsky 1967a:27)

[7]) „Endlich war die ‘Stunde Null’ erreicht, sie zu erleben war die Voraussetzung für jede neue Hoffnung. Das al­te System war zerstört. Keine ‘Götterdämmerung’, Trauermärsche, Fanfaren und Trom­melwirbel, der ameri­ka­ni­sche Soldatensender verbreitete die Rhythmen von Glenn Miller. Ich war proamerikanisch, bevor die ‘re-education’ ein­setzen konnte, ich fühlte mich durch die Ame­ri­ka­ner befreit. Befreit wovon? Von ‘Schick­salsmächten’, von un­kon­trollierbarer Gewalt, von Nibe­lun­gen­mythen, allgemeiner gesagt: von ontologisierten Kollektivitäten." (Lepsius 1996a:185) Nach dem Bankrott des Dritten Reichs und damit gleichzeitig der geistigen und historischen Ansprüche seiner Bevölkerung war der „Westen" der willkom­me­ne Ausweg. Bei allem Respekt vor eigen­tüm­li­chen Genera­ti­onserfahrungen: Lepsius ist insofern signifikantes Beispiel (noch mehr Dahrendorf!) für das Welt­an­schaulich-Werden (die "Erdenfahrt") popper­scher Kategorien-We­sen. Diese werden wie selbstverständlich von Lep­sius in seiner retrospektiven Selbst­dar­stellung verwendet. Scheinbar logisch-universale Kategorien gerinnen zu Modi historisch-konkreter Er­fah­rung und finden damit Eingang in die Bildung des Zeitalters - ein Hinweis auf historische Gleich­zei­tigkeit, die Basis des Entstehens von Zeitgeist - ein schöner deutscher Begriff, welcher Popper je­doch reich­lich sus­pekt vorkommt. Er hält es lieber mit der Liebe zu Platon. Die Erfahrung der Stunde Null durften die Deut­schen, schicksalsverhaftete Angehörige einer ontologisierten Kol­lek­ti­vität, schon des Öfteren auskosten (Baum­garten 1964a:537): 1648 - 1807 - 1918. Sie sind ein "Volk der Wiedergeburt", so ver­klärt Lasson (1930b:VIII) anno 1919 die nationale Unglücks-Kette zum hi­sto­rischen Glücksfall.

[8]) Andere sprechen von einem "Verfassungspatriotismus". Ich halte das Grundgesetz im Hin­blick auf die deutsche Geschichte für recht gelungen, aber in Anbetracht unserer politischen Klasse, de­ren Alltagsgeschäft es bekanntlich nicht erlaubt, ständig mit dem Grundgesetz unterm Arm herum­zu­laufen, für eine konkrete Utopie. Ein Verfassungsschützer kann sich daraus die uralte Frage ab­lei­ten: Ist jemand, der Regierungshandeln für verfassungswidrig hält, ein Feind des Staates bzw. der Verfassung? Mehr als ein Bundeskanzler verfuhr nach der Devise: Der Staat bin Ich. Man kann sich freilich auch mit Popper trösten, dass es schon Schlimmeres als die Gegenwart gegeben hat und in der Zukunft geben könnte.

[9]) Und dass ich mit Microsofts Deutsch-Version passabel zurecht komme. Unerbittlicher als die Dudenredaktion streicht mir die Rechtschreibprüfung Fremdsprachiges rot an - bis sie freiwillig ih­ren Dienst quittiert.

[10]) "Kam Harbert Marcuse nie auf den Gedanken? - nein: ein Gedanke ist das gar nicht, sondern es ist die Erfahrung, die Weltgeschichte vermittelt, und wahrscheinlich die einzige konstante Erfah­rung: dass 'von vorne beginnen' geradezu die Formel ist für Geschichte? Sisyphus-Arbeit. Als ob nicht immer, immer die 'alte Scheiße von vorne beginnen' würde - für jede Generation!" (Hochhuth 1970a: 125)

[11]) Fuller bringt den grundsätzlichen Einwand, dass die Multiplizität von Entdeckungen genau wie der Kon­sensus der Wissenschaftler-Gemeinde nichts weiter als eine Fiktion von Wissen­schafts­historikern dar­stelle; siehe dies­be­züglich die Anti-Kritik von Kim (1996a:7).

[12]) “To do anything and to add to this tangle, you have to know all the particulars of the history, or anyway the re­sultant mess, that is underneath all these things that you see. There’s a motto that goes way back in software: ‘Don’t be afraid to start over.’ I propose to start over.” (Nelson 1999a)

[13]) „The number of those committed to these moribund paradigms dwindles to extinction as death takes its toll among the current population of scientists and the intractability of serious ano­ma­lies combined with a lack of suc­cess in normal puzzle solving makes recruitment among the young impossible. By contrast, the new con­sen­sus para­digm which has had some success at normal science puzzle solving is able to recruit fresh recruits who soon become indoctrinated through tacit instruction with the same general set of desiderata priorities which are ab­stractly shared by others al­ready working within the paradigm. In other words, I am claiming that the dif­feren­ti­al survival of in­di­vi­dual desiderata arrays is a product of differential selection affected through the mechanism of membership selec­tion." (Ransom 1997a)

[14]) "Ich glaube, es ist nicht Ta­lentlosigkeit, was die meisten deutschen Gelehrten davon abhält, über Religion und Philosophie sich populär auszu­sprechen. Ich glaube, es ist Scheu vor den Resul­ta­ten ihres eigenen Denkens, die sie nicht wagen, dem Volke mitzu­teilen. Ich, ich habe nicht diese Scheu, denn ich bin kein Gelehrter, ich selber bin Volk. Ich bin kein Gelehrter, ich ge­höre nicht zu den siebenhundert Weisen Deutschlands. Ich stehe mit dem großen Haufen vor den Pforten ihrer Weis­heit, und ist da irgendeine Wahrheit durchgeschlüpft und ist diese Wahrheit bis zu mir ge­langt, dann ist sie weit genug: - ich schreibe sie mit hübschen Buchstaben auf Papier und gebe sie dem Setzer; der setzt sie in Blei und gibt sie dem Drucker; dieser druckt sie, und sie gehört dann der ganzen Welt." (Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland:15)

[15]) „In einem absolutistischen Lande, wo die Presse völlig versklavt ist, in der Epoche einer wü­sten politi­schen Re­aktion, die die geringsten Anzeichen von politischer Unzufriedenheit oder Pro­test verfolgt, bricht sich plötz­lich in der unter Zensur stehenden Literatur die Theorie des re­vo­lutionären Marxismus Bahn, dar­ge­legt in einer äsopschen, aber für alle ‘Interessierten’ verständlichen Sprache." (Lenin 1962a:45)

Keine Kommentare:

Blog-Archiv