"Wenn Hegel dagegen eine absurde und widerspruchsvolle Struktur auffindet, versucht er den Grund für die Existenz dieser Struktur in der idealen Realität der reinen Bestimmungen zu entdecken. Der Widerspruch führt also zur Auflösung der Erfahrungswelt und zur Untersuchung der Idealität." (Sarlemijn 1971a:29)
Sarlemijn nennt diese Reaktion auf den Widerspruch revolutionär. Nichtsdestoweniger verdankt diese Konzeption vieles der eleatischen Problemstellung [1]) und kann als eine weitere Ausarbeitung derselben verstanden werden.
Wenn wir Hegels Abweisung der formalen Logik sowie Poppers Rekonstruktion der Dialektik mittels der aussagenlogischen Kontradiktion nebeneinander stellen, so ist dieser Streit minder konfus und rätselhaft, wenn wir nicht nur davon ausgehen, dass jeder der beiden Autoren auf einem unterschiedlichen Problemhintergrund argumentierte, sondern von diesem Hintergrund ausgehend auch die Gegenseite nicht korrekt wahrnehmen konnte bzw. deren Argumente richtig einordnete. Dies trifft vermutlich in einem so hohen Maße zu, dass man fast sagen kann, dass Hegel und Popper von verschiedenen Dingen gesprochen haben und auf diese Weise notwendig aneinander vorbeireden mussten. Wie das?
Hegel ging es um eine Alternative zur analytischen Logik, und zwar vor allen Dingen in der Funktion einer philosophischen Logik. Popper jedoch setzt die Verbindlichkeit der symbolischen Logik voraus, die man als eine Weiterentwicklung in der Tradition der aristotelischen Syllogistik und der kantischen analytischen Logik ansehen kann. Mit dieser sucht er auch die Fehlerhaftigkeit des hegelschen Programms nachzuweisen. Damit wird jedoch der philosophischen Auseinandersetzung oktroyiert, was Hegel gerade als Problem strittig war, nämlich die Allgemeinverbindlichkeit der analytischen Logik. Popper setzt einfach voraus, dass die Begründung der analytischen Logik mittels der analytischen Logik zu liefern sei. Insbesondere setzt Popper in seiner Dialektik-Kritik stillschweigend voraus, dass Hegels Problem mit den Mitteln einer künstlichen symbolischen Sprache übersetzbar und lösbar sei. Poppers Kritik verfuhr also jedenfalls nicht immanent, sondern setzte schlicht die Gültigkeit dessen voraus, was von der Gegenseite bestritten wurde. In ähnlicher Weise weist auch Sarlemijn die formallogischen Kritiken an Hegels Problemansatz zurück.[2]) Hegels Logikansatz gründet gerade auf der grundsätzlichen Weigerung, Form und Inhalt des Denkens getrennt zu halten. Somit ist ein Verweis auf einen formallogischen Regelverstoß schon keine immanente Kritik mehr.
Gegenüber diesem Tatbestand ist es weniger erheblich, inwieweit sich Hegel selbst über die Leistungsfähigkeit der symbolischen Logik geirrt hat (was historisch wahrscheinlich der Fall war und sicherlich mit seinem Programm einer spekulativ-begrifflichen Logik zusammenhing). Popper selbst wies immer wie der auf die Grenzen der Methoden der Sprachanalyse oder des Einsatzes künstlicher Sprachen hin. Meinem Eindruck nach hat er diese Zurückhaltung in seiner Kritik der Dialektik Hegels ganz abgelegt und argumentiert, als ob der Standpunkt der analytischen Logik unangreifbar und absolut gewiss sei. Sprache ist aber mehr als das logische Gerippe, das der Logiker in ihr zu erkennen vermag; sie kann stets auf verschiedene Arten rekonstruiert werden (Kainz 1968a). Genauer betrachtet, ist Poppers Fragestellung: „What is dialectic?“ nicht nur der Form nach essentialistisch. Er identifiziert dabei nämlich seine aussagenlogische Darstellung als die definitive Darstellung des Wesens der Dialektik. Damit überschreitet er aber auch die immanenten Grenzen des sprachanalytischen Ansatzes, wonach die formalen Explikationen und Definitionen in der Regel niemals beanspruchen, ein vollständiges Synonym für das Explikandum zu liefern (Hägler 1994a:121). Es kommt lediglich darauf an, welchen Zweck das Explikat erfüllen soll und ob es dazu adäquat ist. Insofern kann das Explikat mehr oder weniger komplex als das Explikandum sein. Poppers Explikation scheitert aber schon daran, dass Hegels Dialektik sich offensichtlich als begriffslogisch prozessierendes Denken versteht. Popper modelliert sie hingegen als die Kontradiktion von Aussagen. Banalität ist das notwendige Ergebnis erfolgreich durchgeführter Banalisierung. Poppers (1994b) Auffassung von „Kritik“ erweist sich auch hier als zu eng und zu weit: zu eng, weil sie sich auf den Nachweis eines immanenten formallogischen Widerspruchs reduziert; zu weit, weil bereits die Konstatierung eines Widerspruchs oder die methodologische Funktionalisierung von Kontradiktionen als hinreichend für die völlige Zurückweisung angesehen werden.
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