Yardeni irrt, wenn er glaubt, dieses System nähere sich immer mehr seinem mikroökonomischen Harmoniemodell. Das moderne Instrument der Rationalisierung, Software, verstrickt sich durch ihre Komplexierung immer mehr in eine Software-Krise: ein gigantisches System von Formalismen offenbart eine immer größere Realitätslücke, wie sie Hegel an Kants analytischer Logik nicht dramatischer hätte denunzieren könne.
Demgegenüber wird jedoch immer noch Entkontextualisierung, die Logik des ökonomisch Mächtigeren als die leistungsfähigere, da universellere, verherrlicht:
„Im Zuge der Gobalisierung haben sich die Unterschiede zwischen den nationalen Finanzsystemen allerdings zunehmend eingeebnet. Im Wettbewerb der Systeme erwies sich das amerikanische Modell nicht wegen seiner Vorzüge als überlegen, sondern weil sich allgemeine, auf Rechtsnormen beruhende Systeme leichter auf andere Länder übertragen lassen als informelle Systeme, die durch persönliche Beziehungen und eine spezifische Kultur geprägt sind." (Härtel 1998a:131)
Die mit Formalisierung verknüpfte Entkontextualisierung erodieren zusammen mit dem globalisierten Profitmechanismus die Basis menschlicher Interaktion selbst, die Stabilität der Verhaltenserwartungen und das emotionale Gleichgewicht, altmodisch ausgedrückt: das Vertrauen. Die praktische Konsequenz ist eine Lehre der jüngsten Vergangenheit aus den asiatischen und osteuropäischen Krisen, wie sie Köhler, Präsident der Osteuropa-Bank, London zieht:
„Allgemein ist unterschätzt worden, wie entscheidend die Schaffung von glaubwürdigen Institutionen beim Aufbau einer Marktwirtschaft ist. Märkte können zum Beispiel ohne einen angemessenen Rechtsrahmen und einen Staat, der diesen auch durchsetzen kann, nicht funktionieren. Eine weitere Lehre ist, dass Reformen von der Gesellschaft mitgetragen werden müssen, wenn sie nachhaltig zu Erfolg führen sollen. Das erfordert die Beachtung von Kultur, Geschichte und Tradition eines Landes." (SSS:128ff)
Wo aber das Systemvertrauen abgeht, sind Kompensationsmechanismen gefragt: Polizei als organisierte Prävention (Blankenburg 1980a).
"Modern democracies are exposed to certain dangers which did not exist in former times. The most important of these dangers comes from the police." (Russell 1962a:69)
Verbrechen und ihre Bekämpfung öffnen ein Fenster auf die Art der sozialen Ordnung und deren Aufrechterhaltungsweisen, die Herrschaftsverhältnisse einer Gesellschaft.[1]) Die Entwicklung zum Polizeistaat ist eine Legitimationsweise, funktional äquivalent zum Wohlfahrtsstaat (Gouldner 1971a:283). Juni 2000 waren in den USA ca. 2 000 000 Menschen inhaftiert. Damit sitzt gegenwärtig jeder 142. US-Bürger im Gefängnis (Bericht des US-Justizministeriums, taz 27.3.2001).
Wenn nach Durkheim das Verbrechen für jede Gesellschaft notwendig ist, so erscheinen Verbrechen und Verbrechensbekämpfung für Staat und Gesellschaft der USA eine ganz besondere Problemlösungsstrategie darzustellen: "Crime as an American Way of Life" (Bell 1965a:127ff). Denn diese schufen eine dem politischen common sense eher unerwartete Verknüpfung zwischen Beschäftigungskrise und dem Thema „innere Sicherheit":
„Die günstige Entwicklung auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt in den 80er und 90er Jahren beruhte deshalb zum Teil auf einer hohen und steigenden Inhaftierungsrate." (Western u. Beckett 1998a:159)
Das stellen Western und Beckett in einer statistischen Untersuchung zum US-amerikanischen Arbeitsmarkt und den Belegungsziffern der US-Gefängnisse fest.
„In den Vereinigten Staaten stellt die Strafverfolgungspolitik eine entscheidende Staatsintervention mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Beschäftigungsentwicklung dar." (Western u. Beckett 1998a:159)
Anfang 90er Jahre betrugen nach den von den genannten Autoren angeführten Statistical Abstracts of the United States, (1995,Tab.585):
Ausgaben für Gerichte, Polizei und Gefängnisse 91 Milliarden US-$
Arbeitslosigkeit u. entspr. Dienstleistungen 41 Milliarden US-$
Die Zahl der Inhaftierten stieg von 1980 500.000 auf 1996 1,63 Mio. (169).
„Kurz gesagt: diese rückschrittliche Form der Staatsintervention hat nicht nur eine wichtige Rolle bei der Verringerung der US-amerikanischen Arbeitslosenrate gespielt, das Wesen dieser Intervention macht vielmehr eine fortschreitende Erhöhung der Aufwendungen erforderlich, um den gegenwärtigen Effekt zu bewahren."
Während in Deutschland 80 Gefangene auf 100 000 Einwohner kommen, ist die USA mittlerweile bei einem Verhältnis von 500 Gefangenen pro 100.000 Einwohner angelangt; Tendenz steigend.
„Die Vereinigten Staaten inhaftieren einen viel größeren Teil derer, die Eigentums- oder Drogendelikte begangen haben, als irgendein anderes industrialisiertes Land, und dies für einen deutlich längeren Zeitraum (Lynch 1995)." (Western, Beckett 1998a:164)
Die herangezogenen statistischen Belege sprechen dafür, dass dies kein historischer Zufall darstellt, sondern das Ergebnis einer politischen Strategie:
„Das heißt, dass die Größenordnung der inhaftierten Bevölkerung in den Vereinigten Staaten hauptsächlich das Ergebnis spezifischer politischer Strategien und nicht wachsender oder ungewöhnlich hoher Kriminalitätsraten ist." (Western, Beckett 1998a:165)
Die Autoren kommen in ihrer Zusammenfassung zu ihrem Ergebnis, dass der Einfluss dieser Inhaftierungspraxis gravierend genug ist, um die Aussagekraft der offiziell verkündeten Arbeitslosenstatistik zu verfälschen:
„Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ausweitung des US-amerikanischen Strafrechts während der 80er und 90er Jahre in hohem Maße sowohl die offizielle als auch die tatsächliche Arbeitslosigkeit verschleiert hat. Korrigierte Arbeitslosenziffern, einschließlich der Zahl der Inhaftierten, machen deutlich, dass sich der US-amerikanische Arbeitsmarkt im Vergleich zum europäischen seit 1983 schwächer und nicht stärker entwickelt. Diese Effekte betreffen im Wesentlichen Afroamerikaner. Werden Strafgefangene in die Arbeitslosenstatistik mit aufgenommen, so zeigt sich, dass die tatsächliche Arbeitslosenquote unter Schwarzen in Rezession und Aufschwung auf einem Niveau von ungefähr 40% geblieben ist." (Western, Beckett 1998a:170)
Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Handeln und Moral ist universell gegeben, wie schon Feuerbach (Zur Moralphilosophie 1874a:285), hier voll in Übereinstimmung mit den Utilitaristen, gewarnt hatte:
„... aber merkt es euch, es gibt auch keine Tugend ohne Glückseligkeit - und damit fällt die Moral ins Gebiet der Privatökonomie und Nationalökonomie. Wo nicht die Bedingungen der Glückseligkeit gegeben sind, da fehlen auch die Bedingungen der Tugend."
"... we must accept that far from being inimical to globalization, the welfare state is its necessary companion. That was the great insight of the postwar leaders, who recognized that without social peace there could be no prosperity. And while the machine they built has now become a museum piece, it remains a source of wonder and inspiration. It demonstrates that we can have a future that combines growth with justice, so long as we possess the political will to create it." (Kapstein 1999a)
[1]) " I never thought of myself as a criminologist. Rather I was interested in the question of social order and change and that led directly to issues of norms and control, as well as to an interest in race relations and mass behavior. My interest was not in criminological phenomena per se but in the window they offered into broader questions about rules and power in society. " (Marx 2000b) - "The most obvious change is the tremendous growth of covert and undercover operations by local and federal law enforcement agencies during the last decade: in 1977, for example, the FBI appropriated $1 million for 53 undercover operations. Seven years later, the bureau alone spent more than $12 million for nearly 400 such operations."
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