Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Die Transformation Ostdeutschlands

"Unter dem Zeichen des Kapitalismus wird dem Deutschtum der Sieg über die slawische Propaganda versagt bleiben." (Max Weber, in: Baumgarten 1964a:99)

Gemäß der Arbeitswerttheorie beläuft sich der Tauschwert eines Produkts nach der „gesell­schaft­lich notwendigen Arbeitszeit". Was „notwendig" ist, wird durch den Markt bestimmt.[1])

Der Weltmarkt aber, bzw. Westdeutschland diktiert, wieviel Arbeitszeit in Ostdeutschland als „notwendig" gelten darf. Quod erat demonstrandum! Dem handelsüblichen Ökonomen­ver­stand, dem jeder Markt Natur ist, enthüllt sich damit nur, was schon immer faul war im Staate DDR:

„Infolge der desolaten ostdeutschen Wirtschaftsverhältnisse, die durch die Wäh­rungsunion schonungslos offengelegt wurden, verschlechterten sich die Vor­aussetzungen der ostdeutschen Unternehmen zur Bewältigung des an­ste­hen­den Transformationsprozesses weiter." (Maretzke, Irmen 1999a:4)

Fakt scheint jedoch vielmehr zu sein, dass die westdeutschen Ökonomen und Politiker so we­nig wie Popper eine Ahnung von Transformation hatten noch davon, dass, was sie für „natür­lich" halten, andernorts eine soziale Revolution (euphemistisch: „Transformationskrise") aus­lö­sen muss.[2])

Wie Weihrich (1999a:16,Anm.3) unter Bezugnahme auf Reißig (1998a:302) berichtet, sind al­lein zwischen 1990 und 1995 ca. 3000 deutschsprachige sozialwissenschaftliche Publikationen über den sozialen Wandel in den „neuen Bundesländern" erschienen. Freilich müsse sich der Großteil der Ergebnisse eine ‘Befundlastigkeit’ attestieren lassen, die mit einer interpretato­risch-konzeptionellen Schwäche korrespondiere (Grünert 1995a:140). Die produktivste For­schungs­einrichtung auf diesem Gebiet halte es mittlerweile für aussichtslos, überhaupt eine De­finition von „Transformation" zu versuchen, und distanziert sich bereits davon, jemals eine The­orie der Transformation gesucht zu haben (Werz 1997a). Dabei weiß doch längst jeder Po­li­tiker ganz genau, worum es hierbei geht:

„Das westdeutsche Institutionensystem wurde auf die neuen Länder über­tra­gen, und das Ergebnis dieser Übertragung sollte nichts anderes sein als eine vergrößerte Bundesrepublik. Der Maßstab, der zur Einschätzung des Gelingens des Transformationsprozesses herangezogen wird, legt die Werte des west­deut­schen Systems zugrunde und beschränkt sich auf die Messung ihrer Rea­li­sie­rung. Wir haben es hier mit der Beschreibung eines Prozesses auf der Ma­kro­ebe­ne zu tun, dessen Ziel festzustehen scheint. Dasselbe Transformati­ons­mo­dell ist die Grundlage politischer Entscheidungen." (Weihrich 1999a:17)

Um solcherart Abweichungen von politischen Zielvorgaben zu messen, benötigt man keine Theorie von Transformation. Wozu Theorie, wenn man aktuell dominante Systeme nur noch zu extrapolieren braucht [3])! Die Mystifikation würde darin liegen, der­lei als „Transformations­for­schung" zu verkaufen. Wenn wir dies jedoch diese Prozesse sozialen Wandels „nachholende Modernisierung" nennen, kommen wir auch hier mit dem Mythos der Industriegesellschaft und ihren modernen Sachzwängen aus. Das ökonomische Prinzip der kleinstmöglichen Denkan­stren­gung, angewandt auf das weite Feld der Trivialisierung zeitgemäßer Ideologien!

Dies muss jedoch nicht sein:

„Man beginnt zu erkennen, dass Verlauf und Ziel des Transformati­onspro­zes­ses nicht vorprogrammiert sein müssen, sondern prinzipiell offen sein können, hängt dessen Gestalt doch davon ab, was Akteure tun, mit wem sie koalieren und welche kollektiven Folgen ihr Handeln hat." (Weihrich 1999a:18)



[1]) "Als die Berliner Mauer fiel, mussten die Deutschen endlich etwas unter­neh­men." (Szczypi­or­ski 1998a)

[2]) "Die deutsche Volkswirtschaft hat drei große Probleme, die sie lösen muss:

Die hohe und verfestigte Arbeitslosigkeit: Jede siebte Erwerbsperson war im Jahre 1999 ohne ei­nen re­gu­lären Arbeitsplatz, und die Lage am Arbeitsmarkt ist weiterhin bedrückend. Die in diesem Jahr be­ob­ach­tete wirtschaftliche Aktivität reicht für einen spürbaren Beschäftigungsimpuls nicht aus, zumal struk­turelle Rigiditäten und die Abkehr vom Pfad der Lohnmoderation der dringend er­forderlichen Lö­sung des Problems der Arbeitslosigkeit im Wege stehen. Ohne eine grundlegende Neu­ausrichtung des Re­gelwerks auf dem Arbeitsmarkt besteht die Gefahr, dass die hohe Arbeitslo­sig­keit ein Dauerproblem bleibt.

Der prekäre Zustand der öffentlichen Finanzen: Fast jede zweite in Deutschland erwirtschaftete Mark geht durch die Hände des Staates. Die Belastung mit Steuern und Abgaben ist entsprechend hoch und hemmt Leistungen und Investitionen. Die Schuldenstandsquote ist mit rund 60 v.H. so hoch, dass na­he­zu 16 v.H. der Steuereinnahmen für Zinsausgaben verwendet werden müssen, beim Bund sind es fast 22 v.H. Der Handlungsspielraum des Staates ist dadurch stark eingeengt. Nur mit einer konsequenten Fort­setzung der in diesem Jahr begonnenen Konsolidierungspolitik und dem unverzüglichen Angehen ei­ner Steuerreform, die den Privaten eine deutliche Steuer­ent­la­stung verschafft, kann das Fundament für so­lides Wachstum und mehr Beschäftigung gelegt wer­den.

Die schwelende Krise der Gesetzlichen Rentenversicherung: Deutschland wird im Jahre 2035 die äl­te­ste Bevölkerung der Welt haben; immer weniger Arbeitnehmer müssen steigende Renten­zah­lun­gen an die Älteren finanzieren. Die Grenzen der Finanzierbarkeit der umlagefinanzierten Alters­si­cherung nach heu­tigem Muster sind erreicht; eine konsequente Reform durch die Ergänzung um ka­pi­talgedeckte Ei­gen­vorsorge in Verbindung mit Einschnitten im Leistungsniveau ist unum­gäng­lich." (Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1999/2000: „Wirtschaftspolitik unter Reformdruck“)

[3]) so wie Popper den Russen das bewährte deutsche System des Rechts­staa­tes oder Myriaden westlicher Berater den Sprung ins kalte Wasser der Marktwirtschaft wärm­stens empfohlen haben (Gerber, Hout 1998a).

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