Durch die gesamte Popperizismus-Kritik ziehen sich Poppers ureigenste binäre Schemata, nicht viel besser als diejenigen, welche schon oft Dialektik vorgeworfen wurden.
„This happens to be his root strategy, the one that I find now in all his early writings and which I do not appreciate: he polarizes ideas into acceptable and objectionable and he proposes that one should try as hard as one can (a) to render every idea objectionable, and declare them acceptable only if one fails to render them objectionable despite hard work and great efforts, (b) to render all acceptable ideas accepted by all reasonable people, and (c) to render all objectionable ones unpalatable to them so as to have everyone reject them willy-nilly." (Agassi 1993a:26)
Zwar ist es notwendig, vor allem wo es um philosophische Klärung geht, sich über grundlegende Differenzen klar zu werden. Doch ist der Weg zur Hölle nicht mit guten Vorsätzen, sondern grundlegenden Optionen gepflastert, über deren Konsequenzen man sich stets trefflich streiten kann. Man sollte jedoch erst den Teufel an die Wand malen, wenn man ihn kennt.
„Es ist indes zu bedenken, dass Werturteile in der Politik zwar wirksame Kampfesmittel zur Erreichung politischer und also unter Umständen auch sittlicher Zwecke sein können, dass sie aber als Hilfsmittel zur Definition historischer Entwicklungstendenzen oder gar Weltanschauungen zu versagen pflegen.“ (Michels 1970a:5)
Eine solche dualistische Schablonistik passt natürlich hervorragend zu dem 1945 sich auftuenden Ost-West-Gegensatz in der beginnenden Ära des Kalten Krieges und ist der älteren deutschen Generation noch zur Genüge aus der Adenauer-Ära [1]) bekannt. Bell betont deren gesellschaftliche Bedeutung aus der Perspektive der USA [2]).
Döring bewundert, mit welchem politischen Gespür Popper schon zu diesem Zeitpunkt sich auf die rechte Seite schlagen konnte, indem er die Spaltung der Welt in zwei Blöcke vorausgesehen habe. Das Manuskript war Oktober 1942 schon Macmillan in den USA angeboten worden, wurde aber in überarbeiteter Form erst Februar 1944 von Routledge in London akzeptiert (Jarvie, Shearmur 1996a:445). Man muss allerdings zugeben, dass Poppers Pamphlet wirklich den damaligen Geist der Zeit [3]) philosophisch mundgerecht in Tüten verpackt hat.
In dieselbe Kerbe haut Dykes [4]), wenn er dieses Werk als Poppers Beitrag zum Kalten Krieg herausstreicht und gar für kriegsentscheidend hält.Anscheinend haben die Russen Popper aber nicht richtig kapiert, sonst hätten sie es mit piece-meal engineering versucht anstatt der Schocktherapie (Gerber, Hout 1998a), die sie auf kürzestem Wege in die sog. "Transformationskrise" katapultiert hat. Bis jetzt habe ich allerdings kaum einen [5]) Popperianer gefunden, der die Russen über ihr fatales Missverständnis aufgeklärt hat. Vielleicht aber ist auch die Wahl der politischen Technik doch nicht sozialphilosophisch sub specie aeternatis zu entscheiden, sondern nur eine Frage der historischen Situationseinschätzung (Steiner, Jadow 1999a) oder des politischen Temperaments [6]) des jeweils Urteilenden.
Diesen Hintergrund unserer letzten politischen Zeitgeschichte aber kennzeichnete ein tief empfundener Manichäismus [7]), wie man ihn historisch vorbildlich vor allem in den Kreuzzügen am Wirken sah.
„Nur Eines tut Not, alles Andere ist vom Übel. Ha! kommet wieder, ihr Zeiten der christlichen Kraft und Lauterkeit, wo man Böse bös und nicht gut oder halb gut oder nur halbböse nannte! Das waren die rechten Zeiten des Glaubens, als man den Irrtum nur auszusprechen und neben die Wahrheit zu stellen brauchte, um den Prozess zu instruieren und sogleich zu Ende zu bringen, d. h. als man an die Wahrheit noch glaubte! So, in diesem Gegensatze, mit dieser einfachen Nebeneinanderstellung des Wahren und Falschen kämpften ein Tertullianus, ein heil. Bernhard und - sie siegten. Verum est index sui et falsi." (Bauer 1841a:8)
Diesen Alternativradikalismus, den Bauer hier in seiner „Posaune“ [8]) so meisterlich vorführt, ist - ganz klar eine radikale Alternative zu Hegels dialektischer Negation - hat er häufig zur schlechten Methode auch der eigenen philosophischen Argumentation erwählt (McLellan 1969a:52).
In diesem Zusammenhang lässt sich auch Poppers Hysterie [9]) d.h. Überwältigung durch übermäßige Aufgeregtheit verstehen und seine Flucht ins Engagement einer aufs Gegenteil fixierten Position, die damit sich betriebsam hält, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die eigene Reaktionsbildung wird bestimmt von dem Bild, das man sich vom Gegner macht: Dem Essentialismus wird ein vermeintlicher Anti-Essentialismus, dem Dogmatismus ein dogmatischer Anti-Dogmatismus gegenübergestellt. Wenn Popper alle Marxisten grundsätzlich der Art nach mit der Erbsünde des Anti-Essentialismus belastet sieht, so ist sein Anti-Essentialismus eigentlich ein Essentialismus. Der Gegner der Prophetie wird zum Gegenpropheten. Doch wie Marx schon im „Elend der Philosophie“ sagte, Propheten werden heutzutage eher noch mehr geprüft denn normale Wissenschaftler. Poppers Strategie aber ist in ihrem rationale per se zum Scheitern verurteilt, weil sie gerade das zu Hilfe nimmt, was sie zu bekämpfen vorgibt.
[1]) „Konrad Adenauer glaubte, auf prominente Exnazis wie den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, Hans Globke, nicht verzichten zu können. Der wiederhergestellte Justizapparat erteilte sich Generalabsolution. Kein einziger Richter des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs musste sich je verantworten. In ohnmächtigem Zorn erlebten junge, demokratisch gesinnte Juristen, wie Nazirichter des Bundesgerichtshofs über Kommunisten richteten und sie (verfassungswidrig) wegen Taten verurteilten, die sie vor dem Erlass des Verbotsurteils gegen die KPD 1956 begangen hatten. Die allgegenwärtige Angst vor den ‘Russen’ führte zur Kriminalisierung selbst harmlosester Kontakte zur DDR: ein Antitotalitarismus ohne demokratischen Konsens." (Semler 1999a)
[2]) „Politics today is not a reflex of any internal class divisions but is shaped by international events. And foreign policy, the expression of politics, is a response to many factors, the most important of which has been the estimate of Russian intentions. This estimate, the need for containment, made initiallly by Kennan, Acheson, and Truman and followed, with little fundamental change, by the succeeding administration, has set in its wake a whole consequent of political and social changes: the military build-up, regional military alliances, the creation of a ‘dual economy’, a new role for science and scientists - all of which have reworked the map of American society." (Bell 1965a:14)
[3]) "The book pops up unexpectedly in a philosophical desert and, moreover, at the moment when the last fruits of Plato's and Hegel's political Philosophies lie crushed under the Allied tanks and when the so-called West unites against its erstwhile allies, Marx's heirs. Consequently, The Open Society is widely regarded as a scholarly epitaph to totalitarian ideologies and a standard reference work about them. One must wonder what reception it would have gotten either 10 years earlier or 50 years later." (Bunge 1996a:552)
[4]) „His Open Society has been translated into many languages and is widely credited with contributing to the demise of communist dictatorship in Eastern Europe: it circulated behind the Iron Curtain in forbidden samizdat form for decades.” (Dykes o.J)
[5]) Die einzige Ausnahme: Andreas Pickel, Schocktherapie als rationale Reformstrategie? Eine Kritik der theoretischen Grundlagen radikaler Marktkonzepte und ein Plädoyer für Reformgradualismus, in: (Albert, Salamun 1993a)
[6]) A propos Russland und China sagte der Vizepräsident der Weltbank, Joseph Stiglitz: „Wir haben gelernt, dass man den sozialen Zusammenhalt zerstören, das Vertrauen untergraben, eine Elite bereichern und die anderen ärmer machen kann, wenn man darauf besteht, ein Land zu schnell umzuwandeln." „Vizepräsident der Weltbank lobt Chinas Politik", TV 26./27.06.99
[7]) Augustins Anti-Schriften sind das wichtigste Zeugnis über diese Lehre, welche auf den persischen Propheten Mani (216-276) zurückgeht und den Kampf zwischen Gut und Böse als eine kosmische Spaltung darstellt (Schöpf 1981a:157).
[8]) „Dies Buch ist schon darum für die Stellung Hegels so wichtig, weil es zeigt, wie oft in Hegel der unabhängige, kühne Denker über den tausend Einflüssen unterworfenen Professor gesiegt hat. Es ist eine Ehrenrettung der Persönlichkeit des Mannes, dem man zumutete, nicht nur da, wo er genial war, über seine Zeit hinauszugehen, sondern auch da, wo er es nicht war. Hier ist der Beweis, dass er auch dies getan hat." (Engels 1973a:177)
[9]) „Breuer’s discoveries represented an abnormal employment of amounts of excitation which had not been disposed of (conversion)." Breuer, Studies on Hysteria, 1895, aus: Standard Edition of Freud, (zit. nach: Merton 1973a:389)
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