Unverzeihlich ist aber, dass ein Methodologe wie Popper dieser Fachideologie, als welches sich diese Fachmethodologie in der Vergangenheit regelmäßig blamiert hat, an dieser Stelle, vermutlich mangels Vertrautheit mit den Schlichen der Ökonomen, auf den Leim geht. So ist Weimann beispielsweise so frei, seiner Methodologie das neoklassische Paradigma samt der Zielsetzung der Legitimierung dezentraler Allokationsmechanismen als verbindlich vorzuschreiben (und das wohlgemerkt um die empirische Orientierung überflüssig zu machen!). Endlich wagt ein Ökonom deutlich auszusprechen, was Myrdal (1932a) und Albert (1954a) ein umständlich nachzuweisender Ideologieverdacht bleiben musste. Am Rande dieses kühnen methodologischen Wurfs stellt sich nur die Frage, worin sich Weimanns Projekt noch unterscheidet von einer Sektengründung, einem ähnlichen kulturellen Unternehmen wie einem Kirchenchor oder einem Schach- oder Computerklub? Wieso und mit welchem Recht soll ausgerechnet sein Hobbyklub mit Steuergeldern besonders gefördert werden?
Ist denn dieses Argument nicht geglückt: "Kein Ökonom hält sich an Poppers Falsifikationismus!" (Müller-Goddefroy 1985a)
Die Schlussfolgerung liegt zumindest für Ökonomen auf der Hand: Eine Methodologie, die niemand befolgt, ist ungeeignet. Schließlich gab es die neoklassische Ökonomie schon vor Popper, und alles klappte wie am Schnürchen: ein Modell folgte dem anderen und das Argument wurde immer feiner ausgesponnen. Nur ein paar Unbelehrbare, denen es wahrscheinlich schon von zu Hause aus am mathematischen Scharfsinn oder am Eros zur Versenkung in die Tiefen der oeconomia pura mangelte, fragten von Zeit zu Zeit nach dem Sinn dieser Beschäftigung. Während eine solche Sichtweise jeden Ökonom befriedigt, weil sie ihm das höchste Gut jedes Wissenschaftlers, nämlich seine Seelenruhe, belässt, ist ein Methodologe, der etwas auf sein Spezialfach hält (ein Tummelplatz von Dilettanten: Methodologie; Schumpeter 1965a), eine ganz andere Schlussfolgerung zu ziehen geneigt. Allerdings haben sich die Vertreter der Grenznutzentheorie nur höchst selten nach dem Grenznutzen ihrer Theorie gefragt. Wer lässt sich aber schon gerne seine bewährten Methoden von andern Leuten miesmachen? Und noch dazu von solchen, die vom fachwissenschaftlichen Geschäft keine Ahnung haben können! Da muss ein Wissenschaftler schon schwer in seiner Seele erschüttert sein, um auf das Gerede von Philosophen [1]) acht zu haben. Ein Methodologe wird wie der Pfarrer immer erst dann gerufen, wenn das letzte Stündlein eines theoretischen Paradigma geschlagen zu haben scheint - oder dann und wann, wenn es etwas Besonderes im Kreise der Familie mit offiziellem Anstrich zu feiern gilt. So schwankt der kundenorientierte Methodologe zwischen der Rolle des Seelentrösters und des Lobhudlers. Beliebter als Ärzte sind aber immer die eigenen Hausmittelchen.
Methodologie ist aber weder einfach Logik (Brinkmann 1989a) noch bloß deskriptiv-historische oder erklärende Rekonstruktion wissenschaftlicher Prozesse. Solches leisten Wissenschaftsgeschichte oder Wissenschaftspsychologie und -soziologie bereits sehr viel besser. Auf derart „methodologischen Naturalismus“ läuft letztlich auch Elias’ Angriff (1985a, b) auf Poppers Methodologie hinaus. Aber eine empirische Rekonstruktion kann nur als ein erster Schritt zur Ausarbeitung einer Methodologie angesehen werden (Opp 1970a:13). Daher ist Popper keineswegs der normative Charakter von Methodologie vorzuwerfen, sondern höchstens die mangelhafte Explikation bzw. normative Begründung der angewandten Normen sowie deren kritische Konfrontation mit alternativen Konzeptionen. Einem Methodologen kann man so viel oder so wenig wie einem Logiker oder Juristen zum Vorwurf machen, er werfe sich zum Gesetzgeber auf. Deren täglich Brot sind nun einmal: Normen, Kriterien, Regeln. Denn wir wollen von einer Methodologie ja nicht wissen, was wir immer schon machen, sondern was wir machen sollen, können oder dürfen! Wie und womit diese dann ihre Lösungsvorschläge begründet, ist dann wieder eine andere Frage. Man darf nur nicht so naiv sein, weil Popper ständig von empirischer Wissenschaft redet, daraus zu schließen, dass er dabei empirische Wissenschaft treibe. Schließlich glaubt ja wohl auch niemand, nur weil der Papst [2]) ständig von der Freude des Kinderkriegens spricht, dass er irgendwie wundersamer Weise eben darin der Experte sei (was insoweit allerdings stimmt, als es der Kirche hier rein um Fragen der Ideologie geht).
Eine andere Sache hingegen ist wiederum die, dass wir dringend eine wahrhaft echte Wissenssoziologie benötigen. Der Fehler von Poppers permanierende Attacke auf Mannheims Wissenssoziologie, zu welcher er kurzerhand noch die gesamte Frankfurter Schule schlug, bestand einfach gesagt darin, dass er diese Version für den einzig denkbaren Ansatz einer Soziologie des Wissens ausgab. Agassi (1975a) warnt zu Recht vor dem zu unbedachten Umgang mit dem bestimmten Artikel (der ... - die ... - das ...), was hier auf diesen Fall ganz besonders zutrifft. Wie schon Berger, Luckmann (1966a) aufgewiesen haben, geht die betreffende Problemstellung mindestens bis auf Hegel und Marx zurück, wurde allerdings in der Folge recht einseitig als Geistesgeschichte betrieben (im ähnlichen Stil wie Poppers „Open Society“!). Alle Wissenssoziologie mit Mannheim und mit Relativismus [3]) zu identifizieren wäre so falsch wie alle kritische Philosophie mit Popper und Fallibilismus. Einem Rechtgläubigen indes fällt ein derartiges Wahrnehmen und Anerkennen von Alternativen stets ungeheuer schwer - gibt es doch für ihn nur immer eine wahre Lehre, der Rest kann nur Unsinn sein oder gar des Teufels.
[1]) „Und den Fachkollegen meiner Generation möchte ich sagen (...), dass man nicht wissenschaftlich ‘am Ende’ zu sein braucht, wenn man anfängt, sich über gewisse Zusammenhänge Gedanken zu machen." (Krelle 1964a:238, Anm.1)
[2]) "Die Zeugung ist eine theologische Angelegenheit." (Neurath 1931a:9)
[3]) Neurdings hat Niemann eine im popperschen Geiste Kritik an Rescher vorgetragen: Hans-Joachim Niemann, Populismus in der Philosophie - Nicholas Reschers wissenschaftlicher Relativismus (Populism in Philosophy. Nicholas Rescher's Scientific Relativism) in: CONCEPTUS XXVIII No. 73, p. 271-300 (1995). Zur Diskussion siehe
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