Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Popper kapituliert vor Dogmatik der Ökonomen

Unverzeihlich ist aber, dass ein Methodologe wie Popper dieser Fachideologie, als welches sich diese Fach­methodologie in der Vergangenheit regelmäßig blamiert hat, an dieser Stelle, ver­mutlich mangels Ver­traut­heit mit den Schlichen der Ökonomen, auf den Leim geht. So ist Weimann beispielsweise so frei, sei­ner Methodologie das neoklassische Paradigma samt der Ziel­setzung der Legitimierung dezentraler Al­lo­ka­tionsmechanismen als verbindlich vorzu­schreiben (und das wohlgemerkt um die empirische Orien­tie­rung überflüssig zu machen!). Endlich wagt ein Ökonom deutlich auszusprechen, was Myrdal (1932a) und Al­bert (1954a) ein umständlich nach­zuweisender Ideologieverdacht bleiben musste. Am Rande dieses küh­nen metho­do­lo­gi­schen Wurfs stellt sich nur die Frage, worin sich Weimanns Projekt noch unterscheidet von ei­ner Sektengründung, einem ähnlichen kulturellen Unternehmen wie einem Kirchenchor oder einem Schach- oder Computerklub? Wieso und mit welchem Recht soll ausgerechnet sein Hobbyklub mit Steu­er­geldern besonders gefördert werden?

Ist denn dieses Argument nicht geglückt: "Kein Ökonom hält sich an Poppers Falsifikationismus!" (Mül­ler-Goddefroy 1985a)

Die Schlussfolgerung liegt zumindest für Ökonomen auf der Hand: Eine Methodologie, die nie­mand be­folgt, ist ungeeignet. Schließlich gab es die neoklassische Ökonomie schon vor Pop­per, und alles klapp­te wie am Schnürchen: ein Modell folgte dem anderen und das Argu­ment wurde immer feiner ausge­spon­nen. Nur ein paar Unbelehrbare, denen es wahrscheinlich schon von zu Hause aus am mathematischen Scharf­sinn oder am Eros zur Versenkung in die Tie­fen der oeconomia pura mangelte, fragten von Zeit zu Zeit nach dem Sinn dieser Be­schäf­ti­gung. Während eine solche Sichtweise jeden Ökonom befriedigt, weil sie ihm das höchste Gut je­des Wissenschaftlers, nämlich seine Seelenruhe, belässt, ist ein Methodologe, der etwas auf sein Spezialfach hält (ein Tummelplatz von Dilettanten: Metho­dologie; Schumpeter 1965a), ei­ne ganz andere Schlussfolgerung zu ziehen geneigt. Allerdings haben sich die Vertreter der Grenz­nut­zent­heo­rie nur höchst selten nach dem Grenznutzen ihrer Theorie gefragt. Wer lässt sich aber schon ger­ne seine be­währten Methoden von andern Leuten miesmachen? Und noch dazu von solchen, die vom fach­wis­senschaftlichen Geschäft keine Ahnung haben können! Da muss ein Wissenschaftler schon schwer in sei­ner Seele erschüttert sein, um auf das Gerede von Philosophen [1]) acht zu haben. Ein Methodologe wird wie der Pfarrer immer erst dann ge­ru­fen, wenn das letzte Stündlein eines theoretischen Paradigma ge­schlagen zu haben scheint - oder dann und wann, wenn es etwas Beson­deres im Kreise der Familie mit of­fiziellem An­strich zu feiern gilt. So schwankt der kundenorien­tierte Methodologe zwischen der Rolle des See­lentrösters und des Lobhudlers. Beliebter als Ärzte sind aber immer die eigenen Haus­mittelchen.

Methodologie ist aber weder einfach Logik (Brinkmann 1989a) noch bloß deskriptiv-historische oder er­klä­rende Rekonstruktion wissenschaftlicher Prozesse. Solches leisten Wissen­schafts­ge­schichte oder Wis­sen­schaftspsychologie und -soziologie bereits sehr viel besser. Auf derart „metho­dologischen Natu­ralis­mus“ läuft letztlich auch Elias’ Angriff (1985a, b) auf Poppers Metho­do­lo­gie hinaus. Aber eine em­pi­ri­sche Rekonstruktion kann nur als ein erster Schritt zur Aus­ar­beitung einer Methodologie angesehen werden (Opp 1970a:13). Daher ist Popper keineswegs der normative Charakter von Methodologie vor­zuwerfen, sondern höchstens die mangelhafte Ex­plikation bzw. normative Begründung der angewandten Normen sowie deren kritische Kon­frontation mit alternativen Konzeptionen. Einem Methodologen kann man so viel oder so we­nig wie einem Logiker oder Juristen zum Vorwurf machen, er werfe sich zum Gesetzgeber auf. Deren täglich Brot sind nun einmal: Normen, Kriterien, Regeln. Denn wir wollen von ei­ner Methodo­lo­gie ja nicht wissen, was wir immer schon machen, sondern was wir machen sol­len, können oder dürfen! Wie und womit diese dann ihre Lösungs­vorschläge begründet, ist dann wieder eine andere Fra­ge. Man darf nur nicht so naiv sein, weil Popper ständig von em­pi­ri­scher Wissenschaft redet, daraus zu schließen, dass er dabei empirische Wissenschaft trei­be. Schließlich glaubt ja wohl auch niemand, nur weil der Papst [2]) ständig von der Freude des Kin­derkriegens spricht, dass er irgendwie wundersamer Weise eben darin der Experte sei (was insoweit allerdings stimmt, als es der Kirche hier rein um Fragen der Ideo­lo­gie geht).

Eine andere Sache hingegen ist wiederum die, dass wir dringend eine wahrhaft echte Wis­sens­soziologie be­nötigen. Der Fehler von Poppers permanierende Attacke auf Mannheims Wis­senssoziologie, zu welcher er kurzerhand noch die gesamte Frankfurter Schule schlug, bes­tand einfach gesagt darin, dass er diese Ver­si­on für den einzig denkbaren Ansatz einer So­zi­ologie des Wissens ausgab. Agassi (1975a) warnt zu Recht vor dem zu unbedachten Umgang mit dem bestimmten Artikel (der ... - die ... - das ...), was hier auf die­sen Fall ganz besonders zu­trifft. Wie schon Berger, Luckmann (1966a) aufgewiesen haben, geht die be­tref­fen­de Pro­blem­stellung mindestens bis auf Hegel und Marx zurück, wurde allerdings in der Folge recht ein­sei­tig als Geistesgeschichte betrieben (im ähnlichen Stil wie Poppers „Open Society“!). Alle Wis­sens­soziologie mit Mannheim und mit Relativismus [3]) zu identifizieren wäre so falsch wie alle kri­ti­sche Philosophie mit Popper und Fallibilismus. Einem Rechtgläubigen indes fällt ein der­ar­tiges Wahrnehmen und Anerkennen von Alternativen stets ungeheuer schwer - gibt es doch für ihn nur immer eine wahre Lehre, der Rest kann nur Unsinn sein oder gar des Teufels.



[1]) „Und den Fachkollegen meiner Generation möchte ich sagen (...), dass man nicht wissenschaftlich ‘am Ende’ zu sein braucht, wenn man anfängt, sich über gewisse Zusammenhänge Gedanken zu machen." (Krelle 1964a:238, Anm.1)

[2]) "Die Zeugung ist eine theologische Angelegenheit." (Neurath 1931a:9)

[3]) Neurdings hat Niemann eine im popperschen Geiste Kritik an Rescher vorgetragen: Hans-Joachim Niemann, Populismus in der Philosophie - Nicholas Reschers wissenschaftlicher Relativismus (Populism in Philosophy. Nicholas Rescher's Scientific Relativism) in: CONCEPTUS XXVIII No. 73, p. 271-300 (1995). Zur Diskussion siehe

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