Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Popper über Hegels Absolutheit

Konfusion [1]) ist der normale Zustand, bevor ein Problem vernünftig definiert worden ist. Probleme bilden aber den Motor der Wissenschaft. Denn es ist häufig besser, eine anständige Konfusion zu hinterlassen als eine Ordnung, die nicht trügt.

Sollte es nicht nur Wissenschaft, sondern auch Philosophie nicht aber um Wahrheit (Stegmüller 1968a) gehen, und zwar in einer ganz anderen Weise vielleicht als bei dem zuvor genannten rheinland-pfälzischen Exportschlager[2]) ?! Bleibt zur Wahrheit von Philosophien lediglich zu sagen, dass man sie kritisch zu beurteilen habe (bis zu diesem Punkt geht Popper 1994a:190)?

Zu kritisieren ist nicht an Habermas sein Rekurs auf Hegel, sondern wie Habermas Hegel gelesen hat. Gemäß Habermas (1975a:12) habe Hegel mit seiner Kritik an Kant die Stellung zur Wissenschaft preisgegeben:

„Gegenüber einem absoluten Wissen muss wissenschaftliche Erkenntnis notwendig als borniert erscheinen; einzige Aufgabe bleibt dann die kritische Auflösung der Schranken positiven Wissens."

Damit macht Habermas nur offenkundig, dass er mit dem Hegelschen Wissenschaftsbegriff [3]) im Grunde nichts anzufangen weiß, d.h. er unterstellt Hegel wie schon Horkheimer u. Adorno (1998a:30) und viele andere vor und nach ihnen den voll platten Anspruch, seine eigene Philosophie als die absolut wahre zu behaupten:

"Indem er freilich das gewusste Resultat des gesamten Prozesses der Negation: die Totalität in System und Geschichte, schließlich doch zum Absoluten machte, verstieß er gegen das Verbot und verfiel selbst der Mythologie."

Meiner Auffassung nach ist aber, Hegel als das absolute Wissen zu lesen, selbst schon der ganze Mythos und Irrtum. Eine Philosophie ist nicht schon deswegen mit dem Anspruch auf rundherum absolute Wahrheit verbunden, weil in ihr der Begriff des Absoluten als Problem gestellt wird. Auch hier darf man die mögliche dogmatische Rezeptionsweise einer Philosophie nicht mit ihrem eigentlichen Gehalt verwechseln. Hegel (1930b:3)hoffte zwar von seiner Methode, dass sie als "die einzig wahrhafte, mit dem Inhalt identische" anerkannt werden möchte. Noch die meisten Autoren haben sich jedoch mit der Meinung schmeicheln müssen, dass ihr Buch vom gebildeten Publikum dereinst als der Quell der Wahrheit angenommen werden würde – vielleicht oft, so hart es klingt, ein psychisch notwendiger Selbstbetrug! Dies einzusehen, bringt uns jedoch kein Schrittchen in dem uns aufgegebenen Geschäft der Bewertung einer Philosophie weiter.

Das Problem des Absoluten führt weit in die Geschichte von Theologie und Philosophie zurück:

„Da schon die zeitgenössischen Kritiker von Descartes darauf hinwiesen, dass dieser Anselms Gottesbeweis wiederaufgegriffen hatte, wurde das für die gesamte Problemstellung der neuzeitlichen Philosophie grundlegende Problem des ‘ontologischen’ Arguments bewusst im Hinblick auf Anselm erörtert. So äußerte Leibniz die Absicht, Anselm zu verbessern. Doch da Descartes, Spinoza, Leibniz und die Wolff’sche Schulphilosophie das anselmianische Argument umgewandelt weitergegeben hatten, war, auch ohne dass Anselms Name fallen musste, Anselms Proslogion überall mitgegenwärtig, wo zwischen Kant, Fichte, Hegel und Schelling ein philosophischer Begriff des Absoluten entwickelt wurde." (Flach 1981a:197)

Auch Popper (1994a:47) macht sich in der gewohnten Manier die Hegelkritik zu einfach: Für Hegel sei seine eigene Philosophie absolut wahr, alles andere genieße relative Wahrheit. Dass dies eine Diffamierung und keine sinnvolle Interpretation darstellt, lässt sich schon daraus entnehmen, dass Hegel (1962a) von einer einzigen, einheitlichen Philosophie ausgeht, an welcher jedes historisch eigentümlich bestimmte philosophische System durch seinen Begriff des Absoluten teilhabe.

Empirische Theorie sagt uns die Wahrheit über die Wirklichkeit. Philosophie aber kann uns erst sagen, was „Wahrheit" ist:

„Die innere Notwendigkeit, dass das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst." (Hegel 1988a:6)



[1] ) „If you stay with me, things will get worse, I promise." (Agassi 1993a:228)

[2] ) "Erfreut das Bier des Menschen Herz ebenso wie der Wein? Steht etwas vom Biere in der heiligen Schrift? Oder hat vielleicht wirklich schon der gelehrte, theologische Aberwitz der Neuzeit aus den Rippen Adams oder den Lenden Noahs den Gambrinus herausgeschnitten, den biblischen und christlichen Ursprung, natürlich vor Allem des Bieres par excellence, des bayrischen Bieres nachgewiesen?"
(Feuerbach, Zur Moralphilosophie, 1874a:284)

[3] ) "Die philosophische, spekulative Kritik, die den Nachweis führt, dass jedes Unmittelbare, Positiv-Gegenständliche in sich vermittelt ist, zieht auch das Verhältnis zwischen Philosophie und Einzelwissenschaft in den dialektischen Vermittlungszusammenhang hinein." (Negt 1964a:17)

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