Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

08.10.2005

Popper aus Wien

Popper hat bei seinen Jüngern ziemlich erfolgreich eine biographische Legende zu instal­lie­ren ver­standen. Poppers Bethelehem wird zum Bauchnabel der Welt oder doch zumin­dest zu ei­nem historisch einmaligen Zentrum des clash of civilizations hochstilisiert (z.B. Heyt 1997a). Da­bei spielt Wien eine Stadt,

"die schon in den vorangegangenen Jahrzehnten von den Wechselfällen der mit­teleu­ropäischen Geschichte besonders betroffen worden war und nun genau auf jener Linie lag, wo sich neue weltumspannende Konflikte abzuzeichnen be­gannen" (Topitsch 1965a:19).

Dies gewinnt heutzutage einen aktuellen Aspekt im Hin­blick auf die "Umvolkungs"-Politik der FPÖ, welche von den regierenden Parteien im vorausei­len­den Ge­hor­sam vielfach schon vor­weggenommen worden ist:

"So wurde beispielsweise 1996 den legal in Österreich lebenden Lohnabhän­gi­gen mit fremden Pass das Kin­der­geld für ihre nicht in Österreich weilenden Kin­der gestrichen. Gleichzeitig haben SPÖ und ÖVP alles unterlas­sen, um die mit dem Zuzug von MigrantInnen und Flüchtlingen ein­hergehenden sozialen Problemlagen zu be­wäl­tigen. Von 1988 bis 1998 hat sich die Zahl der Bürger­In­nen ohne österreichischen Pass von 344.020 auf 732.700 mehr als verdoppelt. Der Zuzug konzentrierte sich dabei vor allem auf bestimmte städtische Bal­lungs­räu­me und ging einher mit den auch aus anderen Ländern bekannten Phä­nomen der Ghettobildung, der Konzen­tra­tion dieser BürgerInnen in abge­wohnten Substanzwohnungen, eines auf die neuen Anforderungen in keiner Wei­se vorbereiteten Erziehungs- und Ausbildungssystems etc. Die Ghettoi­sie­rung wurde etwa in Wien auch da­durch erzwungen, dass der sozialen Woh­nungs­bau , die Gemeindewohnungen, Men­schen ohne österreichischen Pass bis heute verschlossen sind." [1])

Arendt stellt die Beziehung Stalins zum Panslawismus genauso wie diejenige Hitlers zum Pan­germa­nismus (Schönerer) klar heraus, welch letztere Be­wegung im Wien der Doppelmo­narchie situiert war:

"Genau das gleiche gilt für Hitler, der in Mein Kampf ausdrücklich (S.137) diese Herkunft aus der panger­manisti­schen Bewegung Österreichs betonte: 'Ich er­hielt (in Wien) die Grundlage für meine Weltanschauung im Großen und eine politische Betrachtungsweise im Kleinen, die ich später nur noch im einzelnen zu ergänzen brauchte, die mich aber nie mehr verließ.'" (Arendt 1986a:359)

Wie diese Weltanschauung gerade auch in der Annexionspolitik Hitlers zum Tra­gen kam, dazu siehe Bracher (1964a)! - Nach den jüngsten Wahlen jedoch vermeldet die taz: "Das rote Wien ist wieder intakt."[2])

Inwiefern ist der Künstler für sein Publikum, der Autor für seine Leser verantwortlich? Es fällt im Nach­hin­ein stets leicht, eine Komplicenschaft zu denunzieren. Auch Denken aber hat un­beab­sichtigte Kon­se­quen­zen, insbesondere im Falle, dass es veröffentlicht wird. Wie kann sich ein Philosoph gegen die Sün­den seiner Anhänger schützen? In der Philosophie gibt es of­fen­bar nicht nur Erbsünden, sondern Sünden der Enkel, die bis auf ihre Urgroßväter zurück­schla­gen. Wenn ein Philosoph schon ein Problem mit sei­nen Anhängern hat und denjenigen, die behaupten, ihn richtig zu lesen, was vermag er dann noch aus sei­nem Grabe heraus gegen die Betonmauern an Dogmati­sierung durch seine vorgeblichen Interpreten? [3])

Es gibt wenige Bücher, deren Verfasser mit ihrem Machwerk rundum zufrieden waren. Diese sind meist diejenigen, von deren Lektüre abgesehen werden kann. In aller Regel erfolgt jedoch die endgültige Einbalsamierung des theoretischen Korpus durch übereifrige Jünger, die sich so ungewollt für die geistigen Zumutungen ihres Meisters rächen.



[1]) "Der Siegeszug des Rechtspopulismus in Österreich und anderswo",

[2]) "Bei der Landtagswahl in Wien gewinnen die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit der Mandate, die Grünen steigern sich um die Hälfte, die rechtspopulistische FPÖ stürzt jäh ab und dürfte künftig auf Bundesebene für verstärkte Turbulenzen sorgen." (Ralf Leonhard, taz 27.3.2001, S. 10).

[3]) "Western critics of teleological reason or foundationalism, such as Kuhn and Feyerabend, are mobili­zed in sup­port of a project that seeks to create the human civilization record anew in funda­men­tally par­ti­cularist directions. If this illustrates the ease with which anti-foundationalist ideas can allow themselves to be used for chauvinist enter­prises, it perhaps also raises a more elemental que­stion about the nature of the philosophical debate about foun­da­tion." (Bhatt 1999a:76)

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