Popper hat bei seinen Jüngern ziemlich erfolgreich eine biographische Legende zu installieren verstanden. Poppers Bethelehem wird zum Bauchnabel der Welt oder doch zumindest zu einem historisch einmaligen Zentrum des clash of civilizations hochstilisiert (z.B. Heyt 1997a). Dabei spielt Wien eine Stadt,
"die schon in den vorangegangenen Jahrzehnten von den Wechselfällen der mitteleuropäischen Geschichte besonders betroffen worden war und nun genau auf jener Linie lag, wo sich neue weltumspannende Konflikte abzuzeichnen begannen" (Topitsch 1965a:19).
Dies gewinnt heutzutage einen aktuellen Aspekt im Hinblick auf die "Umvolkungs"-Politik der FPÖ, welche von den regierenden Parteien im vorauseilenden Gehorsam vielfach schon vorweggenommen worden ist:
"So wurde beispielsweise 1996 den legal in Österreich lebenden Lohnabhängigen mit fremden Pass das Kindergeld für ihre nicht in Österreich weilenden Kinder gestrichen. Gleichzeitig haben SPÖ und ÖVP alles unterlassen, um die mit dem Zuzug von MigrantInnen und Flüchtlingen einhergehenden sozialen Problemlagen zu bewältigen. Von 1988 bis 1998 hat sich die Zahl der BürgerInnen ohne österreichischen Pass von 344.020 auf 732.700 mehr als verdoppelt. Der Zuzug konzentrierte sich dabei vor allem auf bestimmte städtische Ballungsräume und ging einher mit den auch aus anderen Ländern bekannten Phänomen der Ghettobildung, der Konzentration dieser BürgerInnen in abgewohnten Substanzwohnungen, eines auf die neuen Anforderungen in keiner Weise vorbereiteten Erziehungs- und Ausbildungssystems etc. Die Ghettoisierung wurde etwa in Wien auch dadurch erzwungen, dass der sozialen Wohnungsbau , die Gemeindewohnungen, Menschen ohne österreichischen Pass bis heute verschlossen sind." [1])
Arendt stellt die Beziehung Stalins zum Panslawismus genauso wie diejenige Hitlers zum Pangermanismus (Schönerer) klar heraus, welch letztere Bewegung im Wien der Doppelmonarchie situiert war:
"Genau das gleiche gilt für Hitler, der in Mein Kampf ausdrücklich (S.137) diese Herkunft aus der pangermanistischen Bewegung Österreichs betonte: 'Ich erhielt (in Wien) die Grundlage für meine Weltanschauung im Großen und eine politische Betrachtungsweise im Kleinen, die ich später nur noch im einzelnen zu ergänzen brauchte, die mich aber nie mehr verließ.'" (Arendt 1986a:359)
Wie diese Weltanschauung gerade auch in der Annexionspolitik Hitlers zum Tragen kam, dazu siehe Bracher (1964a)! - Nach den jüngsten Wahlen jedoch vermeldet die taz: "Das rote Wien ist wieder intakt."[2])
Inwiefern ist der Künstler für sein Publikum, der Autor für seine Leser verantwortlich? Es fällt im Nachhinein stets leicht, eine Komplicenschaft zu denunzieren. Auch Denken aber hat unbeabsichtigte Konsequenzen, insbesondere im Falle, dass es veröffentlicht wird. Wie kann sich ein Philosoph gegen die Sünden seiner Anhänger schützen? In der Philosophie gibt es offenbar nicht nur Erbsünden, sondern Sünden der Enkel, die bis auf ihre Urgroßväter zurückschlagen. Wenn ein Philosoph schon ein Problem mit seinen Anhängern hat und denjenigen, die behaupten, ihn richtig zu lesen, was vermag er dann noch aus seinem Grabe heraus gegen die Betonmauern an Dogmatisierung durch seine vorgeblichen Interpreten? [3])
Es gibt wenige Bücher, deren Verfasser mit ihrem Machwerk rundum zufrieden waren. Diese sind meist diejenigen, von deren Lektüre abgesehen werden kann. In aller Regel erfolgt jedoch die endgültige Einbalsamierung des theoretischen Korpus durch übereifrige Jünger, die sich so ungewollt für die geistigen Zumutungen ihres Meisters rächen.
[1]) "Der Siegeszug des Rechtspopulismus in Österreich und anderswo",
[2]) "Bei der Landtagswahl in Wien gewinnen die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit der Mandate, die Grünen steigern sich um die Hälfte, die rechtspopulistische FPÖ stürzt jäh ab und dürfte künftig auf Bundesebene für verstärkte Turbulenzen sorgen." (Ralf Leonhard, taz 27.3.2001, S. 10).
[3]) "Western critics of teleological reason or foundationalism, such as Kuhn and Feyerabend, are mobilized in support of a project that seeks to create the human civilization record anew in fundamentally particularist directions. If this illustrates the ease with which anti-foundationalist ideas can allow themselves to be used for chauvinist enterprises, it perhaps also raises a more elemental question about the nature of the philosophical debate about foundation." (Bhatt 1999a:76)
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