Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

08.10.2005

Polemik - Stil der Darstellung

„Polemik heißt, ein Buch in wenigen seiner Sätze zu vernichten. Je weniger man es studierte, desto besser. Nur wer vernichten kann, kann kritisieren.“ (Ben­ja­min 1955a:52)

Es scheint, als ob nicht nur Horkheimer und Adorno, sondern auch Popper sich dieser Art der Zu­rüstung von Polemik verschrieben hätten.

Popper fordert ganz schlicht, man möge sich klar und deutlich ausdrücken. Die Forderung er­scheint nur allzu billig. Wer wollte Popper hier nicht recht geben?! Wer un­gram­ma­tisch spricht, denkt falsch. Oder gar nicht. Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn Sprach­män­gel oder Denk­fehler keinen Anstoß mehr erregen wür­den.

„Klarheit“ und „Deutlichkeit“ sind indes Rudimente cartesianischer Philosophie, die ihrer­seits ent­spre­chende Anleihen bei der neoplatonischen bzw. augustinischen Psy­cholo­gie der pu­ri­ficatio ani­mae (Delekat 1963a) ge­macht hat, welche sich bis auf den kantischen Be­griff der „re­inen Er­kennt­nis“ ausgewirkt haben. Es wä­re viel­leicht sinnvoll, erst einmal zu prü­fen, ob wir der­lei Annahmen samt ihren Impli­ka­tionen überhaupt me­thodologisch anwendungsfähig be­fin­den kön­nen.

Es wird leicht übersehen: Philosophie besteht grundsätzlich darin, dort Pro­bleme zu se­hen, wo an­dere unvermittelt ein sonnenklares Faktum sehen.[1]) Dabei sind in al­ler Regel die Pro­ble­me der Philosophen in statu nascendi: Es ist über­haupt unklar, worin das Pro­blem be­steht. Die regelmä­ßi­ge Lage der Philosophie ist daher die Kon­fusion, ihre Tä­tig­keit der Kampf ge­gen das unbegriffene Cha­os.[2]) Wenn erst einmal ein klarer Begriff (und das heißt in aller Re­gel: ein syste­ma­tischer!) erreicht ist, ist daher meist schon das Ziel von Philosophie­ren so gut wie erreicht, d.h. das Gebiet der Philosophie wird mit den dar­auf­fol­genden Schrit­ten ver­las­sen. In dieser Weise besteht daher un­aus­weichlich das Geschäft der Phi­lo­so­phen dar­in, sich als Phi­losophen überflüssig zu machen. Die begriffslogisch strukturierte Sprache ei­ner be­stimm­ten Philosophie ist daher nicht bloß ein unzu­reichender Ersatz für eine ge­lunge­ne for­mal­logisch-axi­o­ma­tische Formulierung des­sel­ben Gedankens. Sie er­laubt erst ein Pro­blem zu stel­len und über dessen Lö­sungs­­mög­lich­kei­ten zu argu­men­­tieren (d.h. zu spekulieren), das, we­nig­stens zu der betreffenden Zeit, der Wis­senschaft bzw. einem rationalen Diskurs an­ders über­­haupt nicht zugänglich wäre.

„Am verständlichsten werden daher Schriftsteller, Prediger, Redner u. s. f. ge­funden, die ihren Lesern oder Zuhörern Dinge vorsagen, welche diese bereits aus­wendig wissen, die ihnen geläufig sind und die sich von selbst verstehen.“ (Hegel 1930b:35)

Der Einwand (Horkheimer, Adorno 1998a:4), Klarheit korreliere mit dem Gewohn­ten und Ver­trau­ten und enthalte damit einen konservativen bias, ist nicht von der Hand zu weisen. Zu­dem gilt: Einfachheit und Dogmatismus sind Geschwister. Die Ziele leichter Verständlichkeit und kühner theoretischer Konstruktion und innova­ti­ver Kritik sind in der Regel nicht kompa­ti­bel.[3])

Da­mit soll­te jedoch der Dun­kelheit des Denkens keinen Blankowechsel erteilt wer­­­den, der in alle Ewig­keit das Konto zu über­zie­hen erlaubte. Der Stil [4]) ist in jedem Fall das Medium des phi­loso­phi­schen Denkens, das Trans­portmit­tel des phi­­­losophischen Gedankens, und daher nicht bloß schnell­stmöglichst zu entsor­gen­de Ver­­packung. Es kenn­zeichnet Poppers Stil, dass ihm die Wahl des Stils eine mo­ra­lische Grundqualität aufweist, wie er über­haupt oft dazu neigt, Me­thodolo­gie und Ethik miteinander zu verwechseln. Wenn Popper Verständlichkeit[5]) propa­giert, fin­den Leser dies sehr human gedacht - ist aber auch human, wenn Popper andere Auto­ren in Grund und Boden verdammt, da sie (ihm) unverständliches Zeug schrie­­ben?

Stil ist nicht etwas Separates zwischen sachlichem Problem und dem Charakter des Autors, son­dern die Einheit einer charaktervollen Persönlichkeit mit dem ge­stell­­ten Problem, die die­ses voll um­greift und in ihrem Sinne auflöst. Nicht so ge­rät aber Poppers Stilkritik, wie über­haupt sei­ne He­gel-Kritik ad hoc verfährt: Vor­ur­tei­le werden anhand von Zitaten il­lu­striert, wenn nicht sogar erst gewonnen. Nicht werden in­terpretative Hypothesen aufgestellt und sy­ste­ma­tisch Al­ternativen er­wo­gen. Schon Platons So­krates polemisierte in seiner Ver­teidi­gungs­rede gegen Dich­ter, die nicht durch Weis­heit dich­ten, sondern durch eine Naturgabe und in der Be­gei­ste­rung, eben wie die Wahr­sa­ger und Ora­kel­sänger[6]). Auch Kant kennt den Un­terschied zwi­schen dem Stil des populären Vor­trags und einer streng wissen­schaft­li­chen, d.h. lo­gisch-argu­mentativen oder dialektischen Dar­stellung.



[1]) Nach dem Motto: "Keep it simple, stupid", nicht nur dem Militär, sondern heute auch dem Ma­na­ge­ment empfohlen (Trout, Rivkin 1999a).

[2]) „Die gebildete Erkenntnis der Gedankenverhältnisse ist die erste Bedingung, ein philoso­phi­sches Fak­tum rich­tig aufzufassen. Aber die Rohheit des Gedankens wird ausdrücklich durch das Prinzip des unmittel­ba­ren Wis­sens nicht nur berechtigt, sondern zum Gesetz gemacht; die Er­kenntnis der Gedanken und damit die Bildung des sub­jek­ti­ven Denkens ist sowenig ein unmit­tel­ba­res Wissen als irgendeine Wissenschaft oder Kunst und Ge­schick­lich­keit." (Hegel, Enzyklopä­die:19)

[3]) „So wie im ersten Fall die Voraussetzung gemacht wird, dass, was philo­sophisch ist, doch zugleich populär sein, so im zweiten, dass, was seiner Beschaffenheit nach populär ist, auf irgend­eine Weise philosophisch werden könne, - also in beiden Kom­patibilität der Flachheit mit der Phi­losophie.“ (Hegel, Aufsätze:21)

[4]) „In my view, aiming at simplicity and lucidity is a moral duty of all intellectuals: lack of cla­ri­ty is a sin, and pretenti­ousness is a crime." (Popper 1973a:44) „... a book should - in principle, or vir­tually - be capable of being grasped (or deci­phered, or understood, or ‘known’) by somebody." (Popper 1973a:116)

[5]) „Man erzählt ein bekanntes Wort, angeblich aus Hegels Munde (...): Nur einer meiner Schü­ler verstand mich, und auch dieser verstand mich leider falsch.“ (Engels, Schelling über Hegel, Marx-Engels EG2:167)

[6]) Platon (Des Sokrates Verteidigung:17)

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