„Polemik heißt, ein Buch in wenigen seiner Sätze zu vernichten. Je weniger man es studierte, desto besser. Nur wer vernichten kann, kann kritisieren.“ (Benjamin 1955a:52)
Es scheint, als ob nicht nur Horkheimer und Adorno, sondern auch Popper sich dieser Art der Zurüstung von Polemik verschrieben hätten.
Popper fordert ganz schlicht, man möge sich klar und deutlich ausdrücken. Die Forderung erscheint nur allzu billig. Wer wollte Popper hier nicht recht geben?! Wer ungrammatisch spricht, denkt falsch. Oder gar nicht. Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn Sprachmängel oder Denkfehler keinen Anstoß mehr erregen würden.
„Klarheit“ und „Deutlichkeit“ sind indes Rudimente cartesianischer Philosophie, die ihrerseits entsprechende Anleihen bei der neoplatonischen bzw. augustinischen Psychologie der purificatio animae (Delekat 1963a) gemacht hat, welche sich bis auf den kantischen Begriff der „reinen Erkenntnis“ ausgewirkt haben. Es wäre vielleicht sinnvoll, erst einmal zu prüfen, ob wir derlei Annahmen samt ihren Implikationen überhaupt methodologisch anwendungsfähig befinden können.
Es wird leicht übersehen: Philosophie besteht grundsätzlich darin, dort Probleme zu sehen, wo andere unvermittelt ein sonnenklares Faktum sehen.[1]) Dabei sind in aller Regel die Probleme der Philosophen in statu nascendi: Es ist überhaupt unklar, worin das Problem besteht. Die regelmäßige Lage der Philosophie ist daher die Konfusion, ihre Tätigkeit der Kampf gegen das unbegriffene Chaos.[2]) Wenn erst einmal ein klarer Begriff (und das heißt in aller Regel: ein systematischer!) erreicht ist, ist daher meist schon das Ziel von Philosophieren so gut wie erreicht, d.h. das Gebiet der Philosophie wird mit den darauffolgenden Schritten verlassen. In dieser Weise besteht daher unausweichlich das Geschäft der Philosophen darin, sich als Philosophen überflüssig zu machen. Die begriffslogisch strukturierte Sprache einer bestimmten Philosophie ist daher nicht bloß ein unzureichender Ersatz für eine gelungene formallogisch-axiomatische Formulierung desselben Gedankens. Sie erlaubt erst ein Problem zu stellen und über dessen Lösungsmöglichkeiten zu argumentieren (d.h. zu spekulieren), das, wenigstens zu der betreffenden Zeit, der Wissenschaft bzw. einem rationalen Diskurs anders überhaupt nicht zugänglich wäre.
„Am verständlichsten werden daher Schriftsteller, Prediger, Redner u. s. f. gefunden, die ihren Lesern oder Zuhörern Dinge vorsagen, welche diese bereits auswendig wissen, die ihnen geläufig sind und die sich von selbst verstehen.“ (Hegel 1930b:35)
Der Einwand (Horkheimer, Adorno 1998a:4), Klarheit korreliere mit dem Gewohnten und Vertrauten und enthalte damit einen konservativen bias, ist nicht von der Hand zu weisen. Zudem gilt: Einfachheit und Dogmatismus sind Geschwister. Die Ziele leichter Verständlichkeit und kühner theoretischer Konstruktion und innovativer Kritik sind in der Regel nicht kompatibel.[3])
Damit sollte jedoch der Dunkelheit des Denkens keinen Blankowechsel erteilt werden, der in alle Ewigkeit das Konto zu überziehen erlaubte. Der Stil [4]) ist in jedem Fall das Medium des philosophischen Denkens, das Transportmittel des philosophischen Gedankens, und daher nicht bloß schnellstmöglichst zu entsorgende Verpackung. Es kennzeichnet Poppers Stil, dass ihm die Wahl des Stils eine moralische Grundqualität aufweist, wie er überhaupt oft dazu neigt, Methodologie und Ethik miteinander zu verwechseln. Wenn Popper Verständlichkeit[5]) propagiert, finden Leser dies sehr human gedacht - ist aber auch human, wenn Popper andere Autoren in Grund und Boden verdammt, da sie (ihm) unverständliches Zeug schrieben?
Stil ist nicht etwas Separates zwischen sachlichem Problem und dem Charakter des Autors, sondern die Einheit einer charaktervollen Persönlichkeit mit dem gestellten Problem, die dieses voll umgreift und in ihrem Sinne auflöst. Nicht so gerät aber Poppers Stilkritik, wie überhaupt seine Hegel-Kritik ad hoc verfährt: Vorurteile werden anhand von Zitaten illustriert, wenn nicht sogar erst gewonnen. Nicht werden interpretative Hypothesen aufgestellt und systematisch Alternativen erwogen. Schon Platons Sokrates polemisierte in seiner Verteidigungsrede gegen Dichter, die nicht durch Weisheit dichten, sondern durch eine Naturgabe und in der Begeisterung, „eben wie die Wahrsager und Orakelsänger“ [6]). Auch Kant kennt den Unterschied zwischen dem Stil des populären Vortrags und einer streng wissenschaftlichen, d.h. logisch-argumentativen oder dialektischen Darstellung.
[1]) Nach dem Motto: "Keep it simple, stupid", nicht nur dem Militär, sondern heute auch dem Management empfohlen (Trout, Rivkin 1999a).
[2]) „Die gebildete Erkenntnis der Gedankenverhältnisse ist die erste Bedingung, ein philosophisches Faktum richtig aufzufassen. Aber die Rohheit des Gedankens wird ausdrücklich durch das Prinzip des unmittelbaren Wissens nicht nur berechtigt, sondern zum Gesetz gemacht; die Erkenntnis der Gedanken und damit die Bildung des subjektiven Denkens ist sowenig ein unmittelbares Wissen als irgendeine Wissenschaft oder Kunst und Geschicklichkeit." (Hegel, Enzyklopädie:19)
[3]) „So wie im ersten Fall die Voraussetzung gemacht wird, dass, was philosophisch ist, doch zugleich populär sein, so im zweiten, dass, was seiner Beschaffenheit nach populär ist, auf irgendeine Weise philosophisch werden könne, - also in beiden Kompatibilität der Flachheit mit der Philosophie.“ (Hegel, Aufsätze:21)
[4]) „In my view, aiming at simplicity and lucidity is a moral duty of all intellectuals: lack of clarity is a sin, and pretentiousness is a crime." (Popper 1973a:44) „... a book should - in principle, or virtually - be capable of being grasped (or deciphered, or understood, or ‘known’) by somebody." (Popper 1973a:116)
[5]) „Man erzählt ein bekanntes Wort, angeblich aus Hegels Munde (...): Nur einer meiner Schüler verstand mich, und auch dieser verstand mich leider falsch.“ (Engels, Schelling über Hegel, Marx-Engels EG2:167)
[6]) Platon (Des Sokrates Verteidigung:17)
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