Das normativ überhöhte Modell des technologischen Determinismus ist bis zu einem gewissen Grade eine self-fulfilling prophecy: Das technologisch fortgeschrittenste Land wird als Vorbild [1]) hergenommen, dem man angeblich per technologisch bedingtem Fortschrittszwang nachfolgen müsse.
Auf derlei Hysterie und Panik des technologischen Abgehängt-werdens beruhen die Bestseller über den technology gap zwischen jeweiligen Ländern (Europa/USA, Europa/Japan [2]) usw.). Auch diese Ländervergleiche, die von einem Politikvorschlag zur notwendig erachteten „Modernisierung" begleitet werden, folgen einem altvertrauten Genre-Muster. Im Grunde ist so gesehen schon Platons „Republik" ein ebensolcher exemplarischer Vergleich zwischen Sparta und Athen. Wie fragwürdig jedoch ein solcher Vergleich ohne eine entsprechende Methodik der comparative sociology ist, zeigt Bells (1965a:58) Kritik an Laski und Schumpeter, dass diese ihrer USA-Analyse europäische Maßstäbe angelegt hätten.
1. Der "Modell"-Diskurs unterstellt eine Zwangsläufigkeit von Diffusion, die tatsächlich nicht garantiert ist. (Es ist nicht einfach eine Frage der Zeit, dass überall auf der Welt bald US-amerikanische Verhältnisse herrschen.)
2. Eine derartige Extrapolation übersieht die Pfadabhängigkeit und die Ungleichzeitigkeit von Entwicklung sowie die Interdependenz des Weltsystems (Wenn irgendwo Kapital importiert wird, muss anderswo Kapital abfließen, etc.)
3. Die Modellpropaganda verfährt immer nach dem Prinzip der selektiv verzerrten Wahrnehmung (je nach politischem und Interessenstandpunkt ausgewählt). In Wirklichkeit sind immer Vorzüge mit Nachteilen verbunden, die Propaganda stellt stets nur die Vorzüge heraus.
4. Ein solches Modellbild liefert nie eine realistische Beschreibung (z. B der USA), stattdessen in so verkappter Form nichts weiter als eine normative Utopie.
Die historische Wahrheit [3]) wird stets auf der Seite derjenigen zu finden sein, die über die größere ökonomische power und militärische Schlagkraft verfügen.[4]) Doch:
„The de-centring of the West suggests the possibility of abandoning a universal template that reduced cultural diversity to a planetary hierarchy of progress or tradition." (Sayyid 1998a:377f)
Was hier oft verkannt wird, ist die Tatsache, dass dieser Wettbewerb nicht technologisch, sondern wirtschaftlich bestimmt, und vor allen Dingen, durch eine internationale Wettbewerbsordnung politisch organisiert ist (Deutsch 1991a). Unübersehbar, dass die ökonomische Machteliten, die den Weltmarkt dominieren, auch politisch die Vorreiterrolle übernommen haben. Diese politischen Zwänge [5]), vermittelt über den Wettbewerbsdruck des Weltmarktes, werden von den Ideologen des Globalismus dem Wählervolk als „technologische Rückständigkeit" (König 1955a), Strukturmängel der eigenen Volkswirtschaft oder Modernisierungsbedarf verkauft. Von daher werden strukturelle Reformen gefordert, die in ihrem Wesensgehalt von vornherein eine Einschränkung demokratisch legitimierter Gestaltungsräume zugunsten der ökonomisch Mächtigeren mit sich bringen oder sogar zum unverhüllten Kerninhalt haben.
[1]) „Zwar kann der Begriff der ‘industriellen Gesellschaft’ (...) in einem begrenzten Sinn durchaus sinnvoll angewandt werden, aber seit Saint-Simon wird er gewöhnlich auf eine Weise gebraucht, die im Grunde impliziert, dass das Vorherrschen der ‘Industrie’ statt der ‘Landwirtschaft’ in irgendeiner Gesellschaft bedeute, dass sie automatisch mit anderen als ein einheitlicher Typus klassifiziert werden könne. Das hat zwei weitere Folgen: Dass die Entwicklung einer Gesellschaft von ihrer allgemeinen ökonomischen Organisation ‘determiniert’ ist, oder, in den kruderen Versionen, durch ihr Niveau der technologischen Differenzierung; und dass demzufolge die industriell höchst ‘entwickelte’ Gesellschaft den anderen das Bild ihrer Zukunft zeigt." (Giddens 1979a:323)
[2]) "A few years ago Japan was at the center of controversy over the internal systems that created inequitable trade practices. Now Japan is at the center of controversy over the internal systems that threaten to disrupt large portions of the world's economy. Several years ago Japan was too prosperous and threatened to destabilize the world economy. Now it is not prosperous enough with the same result. The problem lies in the way we perceive the causes of these inequalities and the way the media and political or economic commentary reinforce problematic associations. In both cases the causes are internal to Japan and representative of a cultural particularity that is not up to the task of universal economic necessity." (Gerry Psomiadis, Financial Orientalism: Capitalism, Culture and Technology,
[3]) respektive Propaganda- und Informationsungleichgewichte: "Markterschließung mit der CIA. Für Schmid gilt es als ausgemacht, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben. Immerhin erklären sie offen, dass ein Teil ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeiten auch die Wirtschaft berührt: So der Handel mit Dual-Use-Gütern, die Überwachung der Einhaltung von Sanktionen und strategische allgemeine Situationen. Zudem hat die Clinton-Administration ein so genanntes Advocacy-Center eingerichtet, das alle staatlichen Möglichkeiten gebündelt hat, um amerikanischen Unternehmen bei der Erschließung des internationalen Marktes zu helfen. Dem Ausschuss liegen Dokumente vor, aus denen sich ergibt, dass Mitarbeiter der CIA an Sitzungen des Advocacy-Centers teilgenommen haben." (Schulzlki-Haddouti 2001a)
[4]) „Wie für die Sowjetunion unter den staatssozialistischen Gesellschaften, dürfte auch für die Vereinigten Staaten gelten, dass sie damals, heute und auch weiterhin sich in ihrer soziopolitischen Organisation von den meisten der anderen kapitalistischen Gesellschaften deutlich unterscheiden. ... wenn die Vereinigten Staaten tatsächlich ein Modell für den Rest der entwickelten Gesellschaften darstellen, dann nicht der ‘internen Logik’ ihrer technologischen Entwicklung, sondern ihrer politischen und ökonomischen Macht über andere Länder wegen." (Giddens 1979a:324f) -
[5]) "... die Großmacht ist die morallose Instanz, gleichviel unter welcher Flagge sie marschiert, unter welchem Slogan sie wirbt." (Hochhuth 1970a:117)
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