Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Länder Vergleiche

Das normativ überhöhte Modell des technologischen Determinismus ist bis zu einem gewis­sen Grade eine self-fulfilling prophecy: Das technologisch fortgeschrittenste Land wird als Vor­bild [1]) hergenommen, dem man angeblich per technologisch bedingtem Fortschrittszwang nach­fol­gen müsse.
Auf derlei Hysterie und Panik des technologischen Abgehängt-werdens be­ru­hen die Bestseller über den technology gap zwischen jeweiligen Ländern (Europa/USA, Eu­ro­pa/Japan [2]) usw.). Auch die­se Ländervergleiche, die von einem Politikvorschlag zur not­wen­dig erach­te­ten „Modernisie­rung" be­gleitet werden, folgen einem altvertrauten Genre-Mu­ster. Im Grunde ist so ge­sehen schon Pla­tons „Republik" ein ebensolcher exemplarischer Ver­gleich zwischen Spar­ta und Athen. Wie fragwürdig jedoch ein solcher Vergleich ohne eine ent­sprechende Me­tho­dik der comparative sociology ist, zeigt Bells (1965a:58) Kritik an Laski und Schum­peter, dass die­se ihrer USA-Analyse europäische Maßstäbe angelegt hätten.

1. Der "Modell"-Diskurs unterstellt eine Zwangsläufigkeit von Diffusion, die tatsächlich nicht garantiert ist. (Es ist nicht einfach eine Frage der Zeit, dass überall auf der Welt bald US-ameri­kanische Verhältnisse herrschen.)

2. Eine derartige Extrapolation übersieht die Pfadabhängigkeit und die Ungleichzeitigkeit von Entwicklung sowie die Interdependenz des Weltsystems (Wenn irgendwo Kapital importiert wird, muss anders­wo Kapital abfließen, etc.)

3. Die Modellpropaganda verfährt immer nach dem Prinzip der selektiv verzerrten Wahr­neh­mung (je nach politischem und Interessenstandpunkt ausgewählt). In Wirklichkeit sind immer Vorzüge mit Nachteilen verbunden, die Propaganda stellt stets nur die Vorzüge heraus.

4. Ein solches Modellbild liefert nie eine realistische Beschreibung (z. B der USA), stattdes­sen in so verkappter Form nichts weiter als eine nor­mative Utopie.

Die hi­stori­sche Wahrheit [3]) wird stets auf der Seite derjenigen zu finden sein, die über die größere öko­no­mische power und militärische Schlagkraft verfügen.[4]) Doch:

„The de-centring of the West suggests the possibility of abandoning a univer­sal template that reduced cultural diversity to a planetary hierarchy of progress or tradition." (Sayyid 1998a:377f)

Was hier oft verkannt wird, ist die Tatsache, dass dieser Wettbewerb nicht technologisch, son­dern wirtschaftlich bestimmt, und vor allen Dingen, durch eine internationale Wett­be­werbs­ordnung politisch organisiert ist (Deutsch 1991a). Unübersehbar, dass die ökonomische Macht­eli­ten, die den Weltmarkt dominieren, auch politisch die Vorreiterrolle übernommen ha­ben. Die­se politischen Zwänge [5]), vermittelt über den Wettbewerbsdruck des Weltmarktes, wer­den von den Ideologen des Globalismus dem Wählervolk als „technologische Rückständigkeit" (Kö­nig 1955a), Strukturmängel der eigenen Volkswirtschaft oder Modernisierungsbedarf ver­kauft. Von daher werden strukturelle Reformen gefordert, die in ihrem Wesensgehalt von vorn­her­ein eine Einschränkung demokratisch legitimierter Gestaltungsräume zugunsten der ökono­misch Mächtigeren mit sich bringen oder sogar zum unverhüllten Kerninhalt haben.



[1]) „Zwar kann der Begriff der ‘industriellen Gesellschaft’ (...) in einem begrenzten Sinn durch­aus sinnvoll an­ge­wandt werden, aber seit Saint-Simon wird er gewöhnlich auf eine Weise ge­braucht, die im Grunde impliziert, dass das Vorherrschen der ‘Industrie’ statt der ‘Landwirtschaft’ in irgend­ei­ner Gesellschaft bedeute, dass sie au­to­matisch mit anderen als ein einheitlicher Typus klas­si­fiziert werden könne. Das hat zwei weitere Folgen: Dass die Entwicklung einer Gesellschaft von ihrer all­gemeinen ökonomischen Organisation ‘determiniert’ ist, oder, in den kruderen Versionen, durch ihr Niveau der technologischen Dif­ferenzierung; und dass demzufolge die in­du­stri­ell höchst ‘entwickel­te’ Gesellschaft den anderen das Bild ihrer Zukunft zeigt." (Giddens 1979a:323)

[2]) "A few years ago Japan was at the center of controversy over the internal systems that crea­ted inequitable trade practices. Now Japan is at the center of controversy over the internal systems that threaten to disrupt large portions of the world's economy. Several years ago Japan was too pro­s­perous and threatened to destabilize the world economy. Now it is not prosperous enough with the same result. The problem lies in the way we perceive the causes of these inequalities and the way the media and political or economic commentary reinforce proble­matic associations. In both cases the causes are internal to Japan and representative of a cultural particularity that is not up to the task of universal economic necessity." (Gerry Psomiadis, Financial Orientalism: Capitalism, Cul­ture and Technology, )

[3]) respektive Propaganda- und Informationsungleichgewichte: "Markt­erschließung mit der CIA. Für Schmid gilt es als ausgemacht, dass die USA Wirtschaftsspi­onage be­treiben. Immerhin erklären sie offen, dass ein Teil ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkei­ten auch die Wirtschaft berührt: So der Handel mit Dual-Use-Gütern, die Überwachung der Ein­hal­tung von Sanktionen und strategi­sche allgemeine Situationen. Zudem hat die Clinton-Admini­stration ein so genanntes Advocacy-Cen­ter eingerichtet, das alle staatlichen Möglichkeiten gebün­delt hat, um ame­rikanischen Unter­neh­men bei der Erschließung des internationalen Marktes zu hel­fen. Dem Aus­schuss liegen Doku­mente vor, aus denen sich ergibt, dass Mitarbeiter der CIA an Sitzungen des Ad­vocacy-Centers teil­genommen haben." (Schulzlki-Haddouti 2001a)

[4]) „Wie für die Sowjetunion unter den staatssozialistischen Gesellschaften, dürfte auch für die Vereinigten Staaten gelten, dass sie damals, heute und auch weiterhin sich in ihrer soziopolitischen Or­ga­ni­sa­ti­on von den meisten der anderen kapitalistischen Gesellschaften deutlich unterscheiden. ... wenn die Ver­einigten Staaten tatsächlich ein Modell für den Rest der entwickelten Gesell­schaf­ten darstellen, dann nicht der ‘internen Logik’ ihrer technologischen Entwicklung, sondern ihrer po­li­tischen und öko­nomi­schen Macht über andere Länder wegen." (Giddens 1979a:324f) -

[5]) "... die Großmacht ist die morallose Instanz, gleichviel unter welcher Flagge sie marschiert, un­ter welchem Slogan sie wirbt." (Hochhuth 1970a:117)

Keine Kommentare:

Blog-Archiv