Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Kapitalismus - natürlicher Fortschritt?

Die Einzigartigkeit und universelle Gültigkeit der historischen Entwicklung des westlichen Ka­pitalismus kann bei Max Weber noch als Überwindungsversuch und kritische Verarbeitung des Historismus angesehen werden.
Bei heutigen Ideologen sind diese schon längst zur story der auserwählten Kulturleistung des freien Westens mit dem Anspruch auf Weltgeltung mu­tiert:

"Die Erfindung solcher Institutionen ist übrigens der Sonderweg, den Europa im Unterschied zu allen anderen Weltregionen gegangen ist: Kapitalismus, Wis­senschaft und Demokratie haben gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass wir uns immer irren können, und sie erheben die Fehlerentdeckung und Feh­ler­korrektur zu einer Institution. Mit ‘Institution’ ist eine feste, als Tradition gesi­cher­te Einrichtung gemeint. In der Wirtschaft ist eine solche Institution der Markt, der dafür sorgt, dass schlechte Produktionsmethoden hohe Preise zur Fol­ge haben und dass sie deshalb von selbst verschwinden; genau so wie Pro­dukte, die niemand haben will, aus dem Markt verschwinden." (Niemann 1994a)

Hinter diesen unverhohlenen weltpolitischen Ansprüchen steht schlecht versteckt ein Euro­zentrismus (Dussel 1998a), von dem auch Popper keineswegs ganz freizusprechen ist.

Dahinter steht ferner die technokratische Utopie [1]), dass technischer Fortschritt ein Naturge­setz sei und von sich aus zu gesellschaftlichem Fortschritt führe. Zu dieser technokratischen Uto­pie hatte einstens die Studentenbewegung Gegenutopien entworfen (Touraine 1972a:111).
Tech­nologischer Fortschritt und ökonomische Entwicklung ist jedoch nichts weniger als ein Selbstläufer (Gutachten 1998a).
Zum Biespiel: Eine "wertorientierte Konzernführung" [2]) ist ein ausgeklügeltes Sy­stem von Datenerfassung und Kontrolle über alle Ebenen, die, unter den Bedingungen des ge­genwärtigen Wirtschaftssystems und bei großen Publikumsgesellschaften zumindest, unter dem Diktat der Kapitalmärkte steht.
Anderes Beispiel: Wie wenig "naturwüchsig" und evolutionsnotwendig unser ökonomischer Fortschritt ist, zeigen Daten darüber, wie sehr die Ökonomie von Regierungs­po­li­tik abhängig ist, und sei es die Rüstungspolitik: Die deutsche Armee stellt ein Unternehmen mit 320 000 Beschäftigten (ohne Wehrpflichtige) dar. Mit 45 Milliarden Mark Umsatz und In­ve­stitionsausgaben von 11,5 Milliarden Mark sei es laut Minister Scharping der zweitgrößte In­vestor in Deutschland (FAZ 27.11.1999). Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stünde indes laut ei­ner Studie des Lehrstuhls für Sicherheits- und Militärökonomie der Bundeswehr-Universität in München gar zu befürchten, dass der Anteil der Verteidigungsausgaben auf nur noch 1,1 % zurückgehe (NATO-Durchschitt: 2,6 %).

"Technology makes globalisation feasible. Liberalisation makes it happen. Li­be­ralisation there has been: between 1970 and 1997, for example, the number of countries that eliminated exchange controls affecting imports of goods and ser­vices jumped from 35 to 137." (Wolf 1999a)



[1]) Der technologische Determinismus feiert auch in der neoliberalen Bildungspolitik fröhliche Urständ: "In neueren bildungs­politischen Verlautbarungen ist es mittlerweile zur Regel geworden sog. 'neue Herausforderungen an das Bildungssystem' mit dem Phänomen einer neu sich herausbildenden 'globalen Informationsgesellschaft' zu begründen. So etwa die - mittlerweile zur Pharmaindustrie demis­sio­nier­te - Staatssekretärin in BMBF, Frau Cornelia Yzer - in ihrer Definition eines post-humanisti­schen Bildungsbegriffes: 'Zukunftsfähig ist, wer in der Lage ist, aus der auf ihn einstürzenden Flut von Infor­ma­tionen die für ihn relevanten herauszusuchen, und wer die zur Informationsbeschaffung nötigen Geräte bedienen kann. Hier ergeben sich neue Herausforderungen an das Bildungssystem, den Einzelnen mit den notwendigen Kom­petenzen auszustatten.' (BMBF-Pressemitteilung 6.12.1995) Dies muss wohl nicht weiter kommentiert wer­den. Qualifikation ist hier gesetzt als eine abhängige Variable der ökonomisch-technischen Ent­wick­lung, die den Charakter einer undurchschaubaren Naturgewalt ('einstürzende Flut') annimmt. Es handelt sich um die typische konservative Naturmetaphorik, in der gesellschaftliche Entwick­lun­gen - als ver­meintlich unbeeinflussbar - mystifiziert werden. Ziel ist die individuelle - und von der Ver­ant­wortung her individualisierte - Anpassungsfähigkeit an das, was sowieso geschieht. Logische Kon­sequenz dieser Auffassung ist die Infragestellung des zumindest formal verbrieften (individu­el­len und sozialen) Rechtes auf Bildung." (Bultmann 1997b)

[2]) "Selbst unter Performancedruck stehend, geben die Investoren die Renditeforderungen ih­rer Eigentümer an die Unter­neh­mun­gen weiter. Wer die Opportunitätskosten der Kapitalgeber nicht erwirtschaftet, unterliegt im Kampf um die knappe Res­source Kapital. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit zur wertorientierten Unternehmensführung auf allen Unternehmensebenen mit ent­sprechenden (EDV-gestützten) Steuerungsinstrumentarien. Dabei ist die Wertorientierung, die sich auf Holdingebene in ag­gregierten Kennzahlen (CFROL, EVA und andere) niederschlägt, über die Geschäftssteuerungsebene an die operative Pro­zessebene weiterzuleiten. Den Zielerreichungs­grad gilt es über Geschäftsprozesscontrolling, Werttreibermanagement und Portfoliosteuerung eben­falls über alle Unternehmensebenen zu verfolgen." (Küting 1999a)

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