Die Einzigartigkeit und universelle Gültigkeit der historischen Entwicklung des westlichen Kapitalismus kann bei Max Weber noch als Überwindungsversuch und kritische Verarbeitung des Historismus angesehen werden.
Bei heutigen Ideologen sind diese schon längst zur story der auserwählten Kulturleistung des freien Westens mit dem Anspruch auf Weltgeltung mutiert:
"Die Erfindung solcher Institutionen ist übrigens der Sonderweg, den Europa im Unterschied zu allen anderen Weltregionen gegangen ist: Kapitalismus, Wissenschaft und Demokratie haben gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass wir uns immer irren können, und sie erheben die Fehlerentdeckung und Fehlerkorrektur zu einer Institution. Mit ‘Institution’ ist eine feste, als Tradition gesicherte Einrichtung gemeint. In der Wirtschaft ist eine solche Institution der Markt, der dafür sorgt, dass schlechte Produktionsmethoden hohe Preise zur Folge haben und dass sie deshalb von selbst verschwinden; genau so wie Produkte, die niemand haben will, aus dem Markt verschwinden." (Niemann 1994a)
Hinter diesen unverhohlenen weltpolitischen Ansprüchen steht schlecht versteckt ein Eurozentrismus (Dussel 1998a), von dem auch Popper keineswegs ganz freizusprechen ist.
Dahinter steht ferner die technokratische Utopie [1]), dass technischer Fortschritt ein Naturgesetz sei und von sich aus zu gesellschaftlichem Fortschritt führe. Zu dieser technokratischen Utopie hatte einstens die Studentenbewegung Gegenutopien entworfen (Touraine 1972a:111).
Technologischer Fortschritt und ökonomische Entwicklung ist jedoch nichts weniger als ein Selbstläufer (Gutachten 1998a).
Zum Biespiel: Eine "wertorientierte Konzernführung" [2]) ist ein ausgeklügeltes System von Datenerfassung und Kontrolle über alle Ebenen, die, unter den Bedingungen des gegenwärtigen Wirtschaftssystems und bei großen Publikumsgesellschaften zumindest, unter dem Diktat der Kapitalmärkte steht.
Anderes Beispiel: Wie wenig "naturwüchsig" und evolutionsnotwendig unser ökonomischer Fortschritt ist, zeigen Daten darüber, wie sehr die Ökonomie von Regierungspolitik abhängig ist, und sei es die Rüstungspolitik: Die deutsche Armee stellt ein Unternehmen mit 320 000 Beschäftigten (ohne Wehrpflichtige) dar. Mit 45 Milliarden Mark Umsatz und Investitionsausgaben von 11,5 Milliarden Mark sei es laut Minister Scharping der zweitgrößte Investor in Deutschland (FAZ 27.11.1999). Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stünde indes laut einer Studie des Lehrstuhls für Sicherheits- und Militärökonomie der Bundeswehr-Universität in München gar zu befürchten, dass der Anteil der Verteidigungsausgaben auf nur noch 1,1 % zurückgehe (NATO-Durchschitt: 2,6 %).
"Technology makes globalisation feasible. Liberalisation makes it happen. Liberalisation there has been: between 1970 and 1997, for example, the number of countries that eliminated exchange controls affecting imports of goods and services jumped from 35 to 137." (Wolf 1999a)
[1]) Der technologische Determinismus feiert auch in der neoliberalen Bildungspolitik fröhliche Urständ: "In neueren bildungspolitischen Verlautbarungen ist es mittlerweile zur Regel geworden sog. 'neue Herausforderungen an das Bildungssystem' mit dem Phänomen einer neu sich herausbildenden 'globalen Informationsgesellschaft' zu begründen. So etwa die - mittlerweile zur Pharmaindustrie demissionierte - Staatssekretärin in BMBF, Frau Cornelia Yzer - in ihrer Definition eines post-humanistischen Bildungsbegriffes: 'Zukunftsfähig ist, wer in der Lage ist, aus der auf ihn einstürzenden Flut von Informationen die für ihn relevanten herauszusuchen, und wer die zur Informationsbeschaffung nötigen Geräte bedienen kann. Hier ergeben sich neue Herausforderungen an das Bildungssystem, den Einzelnen mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten.' (BMBF-Pressemitteilung 6.12.1995) Dies muss wohl nicht weiter kommentiert werden. Qualifikation ist hier gesetzt als eine abhängige Variable der ökonomisch-technischen Entwicklung, die den Charakter einer undurchschaubaren Naturgewalt ('einstürzende Flut') annimmt. Es handelt sich um die typische konservative Naturmetaphorik, in der gesellschaftliche Entwicklungen - als vermeintlich unbeeinflussbar - mystifiziert werden. Ziel ist die individuelle - und von der Verantwortung her individualisierte - Anpassungsfähigkeit an das, was sowieso geschieht. Logische Konsequenz dieser Auffassung ist die Infragestellung des zumindest formal verbrieften (individuellen und sozialen) Rechtes auf Bildung." (Bultmann 1997b)
[2]) "Selbst unter Performancedruck stehend, geben die Investoren die Renditeforderungen ihrer Eigentümer an die Unternehmungen weiter. Wer die Opportunitätskosten der Kapitalgeber nicht erwirtschaftet, unterliegt im Kampf um die knappe Ressource Kapital. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit zur wertorientierten Unternehmensführung auf allen Unternehmensebenen mit entsprechenden (EDV-gestützten) Steuerungsinstrumentarien. Dabei ist die Wertorientierung, die sich auf Holdingebene in aggregierten Kennzahlen (CFROL, EVA und andere) niederschlägt, über die Geschäftssteuerungsebene an die operative Prozessebene weiterzuleiten. Den Zielerreichungsgrad gilt es über Geschäftsprozesscontrolling, Werttreibermanagement und Portfoliosteuerung ebenfalls über alle Unternehmensebenen zu verfolgen." (Küting 1999a)
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