Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Hegel und Popper: Vernunft akkommodiert sich

„’Verehrt die Götter durch die jeweils überlieferte heimische Religion’ sagt Epikur, und noch Hegel hat es nachgesprochen.“ (Horkheimer, Adorno 1998a:253)

„Vertreter der skeptischen Position untergraben, nolens volens, die Grundlagen der Offenen Gesellschaft:...“ (Radnitzky 1976a:24ff)

Es sei denn, sog. „Kritische Rationalisten“ oder andere politische Saubermänner führen nach Poppers unmaßgeblichen Vorgaben eine Ideenpolizei ein - unter solcher grundsätzlichen Fragwürdigkeit stehen Untersuchungen in der Art von Pfahl-Traughber (1998a), so notwendig sie im einzelnen auch sein mögen. containment durch Tabuisieren systemkritischer issues?!

Popper hat wie Hegel eine politische Philosophie entwickelt aus Perspektive der jeweiligen Regierung sowie der bestehenden Ordnung. Denn Poppers piece meal engineering fällt in ähnlicher Weise ein Vorurteil zugunsten des Bestehenden wie Hegels bekanntes Motto, alles Wirkliche sei/werde/soll werden vernünftig. Nur war zu Hegels Zeiten der politische main stream etwas anders orientiert als derjenige, für welchen Popper publizierte. Was damals als „liberal“ gelten durfte, war sicherlich etwas anderes, als was man 1945 im „freien Westen“ dafür halten mochte. Es zeigt sich hier jedoch wieder Poppers grundverkehrter Ansatz, politische Theorien sub specie aeternatis aburteilen zu wollen.

Poppers Grundtenor ist die Angst vor dem Risiko, bestehende Einrichtungen radikal zu ändern. Die anfallenden Kosten des Nichtänderns werden überhaupt nicht ins Blickfeld genommen. Solange jedoch Popper nicht (wie etwa Marx dies zumindest versucht hat) eine Theorie der Gesellschaft und ihrer Entwicklungstendenzen präsentiert, ist er noch nicht einmal in der Lage, zwischen „kleinen“ und „großen“ Schritten zu unterscheiden und Folgewirkungen derselben abzuschätzen. Wer eine Theorie der Revolution oder Systemtransformation für wissenschaftlich unmöglich deklariert, wird leicht auch mit einer Theorie von Reformen scheitern. Denn das eine ist das kritische Pendant zum anderen.

Der rationalistischen Staats- und Rechtstheorie der Aufklärung ist in der Restauration eine gegenrationalistische Philosophie der Geschichte und des positiven Rechts erstanden (De Bonald, Le Maistre, Thierry, Guizot; v. Haller, Zachariä, Savigny, Niebuhr, Schlegel, Schleiermacher; vgl. Sombart 1908a:54ff). Verständlicherweise hat sich in dieser politischen Situation und bei diesem Stand der Diskussion sofort nach Erscheinen der „Rechtsphilosophie“ dem deutschen Publikum die Frage gestellt, inwieweit sich Hegel mit dieser These der deutschen restaurativen Tendenz angeschlossen habe.

„Man weiß es ja, wie himmlisch wohl es allen deutschen Gelehrten auf sehr hohen Standpunkten ist; denn dort oben in den Wolken gibt es keine Polizei.“ (Börne 1964a:338)

Den meisten schien klar, dass er sich dem politischen Zeitgeist angepasst hatte, und strittig war nur noch, inwieweit die Akkommodation aus Hegels persönlicher Entscheidung oder aus seiner politischen Theorie abzuleiten sei. Letzteres hat Marx zu zeigen versucht, während Engels eher noch im Sinne der Junghegelianer eine persönliche Ehrenrettung für Hegel unternommen hatte. Diese Ambivalenz im Hegelbild ist bis auf den heutigen Tag nicht aufgelöst. Die einen ziehen wie Popper und Topitsch eine historische Linie „von Hegel zu Hitler[1]); anderen hingegen ist Hegel wie Adam Smith und Ricardo eine der liberalen Wurzeln des Marxismus. Dass die politische Beurteilung der hegelschen Theorie oft sehr subjektiv ist, liegt aber nicht nur am unterschiedlichen politischen Standpunkt des Beurteilenden, sondern auch am erstaunlicherweise immer noch unzureichenden Stand der Hegelforschung:

„Erst in neuerer Zeit hat man überhaupt die Aufgabe ernst genommen, die Entwicklungsgeschichte des politischen Denkens Hegels unbefangen aufzuarbeiten.“ (Adolphi 1989a:1)

Adolphi (1989a:4f) weist nach, dass Hegel zur politischen Philosophie mehrere unterschiedliche Anläufe genommen hat. Dabei ist derjenige Ansatz, der schließlich in der „Enzyklopädie“ und in der „Rechtsphilosophie“ zum Tragen gekommen ist, nach heutigen Gesichtspunkten nicht unbedingt der interessanteste.



[1]) Hubert Kiesewetter, Von Hegel zu Hitler. Eine Analyse der Hegelschen Machtstaatsideologie und der politischen Wirkungsgeschichte des Rechtshegelianismus. Mit einem Vorwort von Ernst Topitsch, Hamburg 1974


1 Kommentar:

meffo hat gesagt…

"Es ist also durchaus möglich, dass politisch-konservativ eingestellte Forscher Theorien produzieren, deren Wirkungen letzten Endes revolutionären Charakter haben." (81)

Hans Albert, Wissenschaft, Technologie und Politik.
Zur Problematik des Verhältnisses von Erkenntnis und Handeln
in: Konstruktion und Kritik, 2. Aufl. 1975, S. 74 ff.


Manchmal (zB. gegenüber Geschichtsphilosophen) ist es notwendig, derlei Banalitäten auszusprechen!

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