Die kommunale Selbstverwaltung (Müller 1966a) war einstens das Geschenk der preußischen Modernisierungsstrategen bzw. piece-meal-Ingenieure wie v. Stein, Hardenberg oder auch Hegel an die vielen regionalen Splitter Deutschlands, das damals Preußen dargestellt hat. Auch zum Ende des Jahrtausends war wieder einmal große Rede von der Notwendigkeit der Strukturanpassung von Staat und Bürokratie. Einmal wieder gab es Volksvertreter, die sich ggf. fragten bzw. fragen lassen mussten, wen sie wie vertreten sollen. Durch den Druck der leeren Kassen bei zunehmenden Verwaltungserfordernissen, die an ein regionales Oberzentrum gestellt werden, zweifeln jedoch die demokratisch gewählten Volksvertreter im Trierer Stadtrat [1]) immer mehr an ihrem Daseinszweck.
„Heute ist das einstige Königsrecht der Abgeordneten zumindest in einer Stadt wie Trier zu einer Abnick-Arie verkommen, zum puren Vollzug von Sachzwängen." (Lintz 1999a)
Wie in einer Nussschale wird da deutlich: Finanzielle Probleme haben ihre strukturelle Ursachen. Strukturen sind jedoch immer auch gemacht, zum Teil von interessierter Seite so gewollt, oft aber auch nur Ausfluss unbeabsichtigter Nebenwirkungen von Politik. Im Zeichen der Globalisierung erleben wir den Wettbewerb der Kommunen und Stadtregionen [2]). Die Stadt ist nicht mehr ein Ort, wo Menschen sich treffen und leben, sondern vorrangig ein angebotspolitisches Instrument, die Wirtschaftskraft der Region [3]) zu stärken. In entsprechender Weise wurde aus der liberalen Mini-Idee eines Minimalstaates in unserer heutigen politischen Realität das praktische Programm eines angebotspolitischen Wirtschaftsförderungs- bzw. Subventionsbetrugsstaates [4]) ("crony capitalism"), dessen sozialreaktionäre Vorkämpfer und Förderer beim Wohlfahrtsstaat (Offe 1998a) ebenso bereits die Grenze zum Sozialismus überschritten wähnen wie bei der weltweiten Abschaffung von Kinderarbeit. Alle wollen sich bereichern und drängen dadurch zur Ungerechtigkeit. Der Staat, angeblich geschaffen, dem abzuhelfen, soll wirtschaftsfreundlich sein, wird jedoch gerade dadurch zum ungerechten Staat.
[1]) Der „Trierische Volksfreund" (28.011999) titelt zu den städtischen Haushaltsberatungen: „Wenn Hase und Igel im Stadtrat laufen - Immer mehr Ratsmitglieder zweifeln an ihren Mitwirkungsmöglichkeiten - Viel Arbeit und wenig Einfluss": „Die angegriffene Gemütslage der Kommunalpolitiker hat zwei ganz unterschiedliche Ursachen. Die eine liegt in der allgemein miesen Finanzlage, die kaum mehr Spielraum für Ideen lässt. Es gibt aber auch ein ‘hausgemachtes’ Problem, und das hängt mit der neuen Haushaltsstruktur, der ‘Budgetierung’ zusammen. Als sie vor wenigen Jahren eingeführt wurde, hatte man den Ratsmitgliedern den Mund wässrig gemacht: Jetzt werde alles durchschaubarer, es gebe neue, ungeahnte Mitwirkungsmöglichkeiten. Die Praxis sah dann anders aus. Schon im Frühjahr werden heute in einem Eckwertebeschluss die Korsettstangen des Haushalts eingezogen. Dabei dominiert die Verwaltung mit ihrem immensen Informationsvorsprung. Und wenn es dann am Jahresende in die detaillierten Haushaltsverhandlungen geht, fühlen sich viele Ratsmitglieder wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel: Wann immer sie etwas vorschlagen, ist die Verwaltung schon da und erklärt, warum es nicht geht. Suchen die Dezernenten selbst nach Finanzierungsmöglichkeiten in ihren Budgets, werden sie fast stets fündig."
[2]) "Vor diesem Hintergrund wird von der neueren Regionalpolitik eine Neubewertung regionaler Wirtschaftszusammenhänge gefordert, in der die Stadtregionen sich nicht als ‘passive’ Standorte definieren, sondern sich auf ihre spezifischen endogenen Potentiale (gewachsene Wirtschaftstraditionen, Institutionsstrukturen und Handlungsoptionen) besinnen. Nach der ersten Phase der Ansiedlungs- und Standortpolitik, die auf externer Kapitalzufuhr aufbaute, stellt sich heute die besonders dringliche Aufgabe, die geschaffenen industriellen Kerne als Katalysatoren für die örtliche Wirtschaft zu sichern und zu einer regional verankerten wirtschaftlichen Basis mit regionalen Wertschöpfungsketten und Innovationsnetzen weiterzuentwickeln. Zweitens stehen die Städte und Regionen heute - anders als in der ersten Phase des Transformationsprozesses, in der die Prozesse noch weitgehend von Bund und Ländern, also zentral, gesteuert wurden - vor der großen Herausforderung, selbständig Strategien zu entwickeln, die aus den regionalen Besonderheiten heraus zu einer besseren Position im Wettbewerb beitragen. Eine solche Herausforderung lässt sich nur innerhalb einer effizienten institutionalisierten kommunalen und regionalen Handlungsstruktur meistern. Damit sind nicht nur formelle politische Institutionen gemeint; diese sind auf der regionalen Ebene auch nur relativ schwach entwickelt. Entscheidend sind vielmehr die besonderen regionalen informellen institutionellen Arrangements, das Verhalten und die spezifischen Beziehungsmuster (Koalitionsmuster, Machtstrukturen, Kooperationsformen) der relevanten organisierten Akteure: der Bürgergruppen, Investoren, Unternehmen, Verbände, Parteien und staatlichen Akteure." (Kujath 1999a:15f) - "If it is difficult to get financing in a distressed area, does that mean that the markets have failed? More likely, it means that there is more risk than the markets are willing to bear. Prices will eventually adjust so that people in these areas will either leave or rebuild." (Arthur J. Rolnick, Is State and Local Economic Development Policy a Zero-Sum Game ... or Worse?, fedgazette 1/1993)
[3]) „Im Trierer Rotlicht-Skandal sind nach ihrer Auffassung Verbindungen und Verflechtungen zwischen Ordnungsamt, Polizei, Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und Richtern mit Bordellbetreibern und Organisierter Kriminalität »deutlich sichtbar« geworden. Während die Stadt einerseits rigide Aufenthaltsgenehmigungen verweigert habe, seien bei Prostituierten unbesehen Ausnahmen gemacht worden, sagte Lea Ackermann, die sich seit 15 Jahren gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution engagiert." Grüne fordern besseren Opferschutz. Stadt Trier begünstigte angeblich Frauenhandel, Trierischer Volksfreund, 19.03.1999
[4]) In Rheinland-Pfalz scheint gerade die FDP als neoliberale Unternehmerpartei durch ihre eigenes Regierungshandeln beweisen zu wollen, dass Strukturpolitik notwendigerweise zu Misswirtschaft führen muss: „Mainz in der Schusslinie des Rechnungshofes. Millionen werden verschwendet: Rüffel des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz für die Konversionspolitik der Mainzer Landesregierung: Zu unprofessionell und verschwenderisch wurde vor allem bei den Flughäfen Hahn und Zweibrücken zu Werke gegangen. In die Schusslinie geriet auch die millionenschwere Sanierung des ehemaligen Zettelmeyer-Geländes in Konz." (TV 10.02.99) - Die öffentliche Misswirtschaft zugunsten einzelner Privatinteressen setzt sich fort bis in die Kommunen: „Auf Einnahmen in Milllionen-Höhe verzichtet. Landesrechnungshof rügt die Stadt Konz: Grundstücke zu billig abgegeben, Beiträge nicht erhoben, Förderungen doppelt kassiert." (TV 10.02.99). - "Kommission will Wildwuchs lichten. Neue Regelung für Landräte und Bürgermeister" (TV Nr.288,1999) "Auf strengere Vorgaben für Minister und mehr Kontrolle einer offenkundig laschen Handhabung bei Landräten und Bürgermeistern in puncto Nebenjobs dringt eine Expertenkommission." Wozu aber schärfere Regelungen, wenn die bestehenden schon nicht eingehalten werden, wie man selbst augenzwinkernd zugibt?! "Betrügereien bei Exporterstattungen, Zöllen und Mehrwertsteuer" meldet Hajo Friedrich (FAZ 23.11.1999,S.28) auch von der Europäischen Union. "Kommission und Mitgliedsstaaten bekommen die EU-Finanzverwaltung nicht in den Griff". 5% des EU-Haushalts (d.h.: jährlich rund 8 Milliarden DM) laut EuRH-Präsidiumsmitglied Bernhard Friedmann mit Unregelmäßigkeiten behaftet. - Jahresbericht 1998 zur EU-Betrugsbekämpfung
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