Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Gemeindeselbstverwaltung mit leeren Kassen

Die kommunale Selbstverwaltung (Müller 1966a) war einstens das Geschenk der preußischen Modernisierungsstrategen bzw. pie­ce-meal-Ingenieure wie v. Stein, Hardenberg oder auch Hegel an die vielen regionalen Split­ter Deutsch­lands, das damals Preußen dargestellt hat. Auch zum Ende des Jahrtausends war wieder ein­mal große Rede von der Notwendigkeit der Strukturanpassung von Staat und Bü­ro­kratie. Ein­mal wie­der gab es Volksvertreter, die sich ggf. fragten bzw. fragen lassen mussten, wen sie wie ver­treten sollen. Durch den Druck der leeren Kassen bei zunehmenden Verwaltungserfor­der­nissen, die an ein regionales Oberzentrum gestellt werden, zweifeln jedoch die demokratisch gewähl­ten Volksvertreter im Trie­rer Stadt­rat [1]) immer mehr an ihrem Daseinszweck.

„Heute ist das einstige Königsrecht der Abgeordneten zumindest in einer Stadt wie Trier zu einer Ab­nick-Arie verkommen, zum puren Vollzug von Sach­zwän­gen." (Lintz 1999a)

Wie in einer Nussschale wird da deutlich: Finanzielle Probleme haben ihre strukturelle Ur­sa­chen. Strukturen sind jedoch immer auch gemacht, zum Teil von interessierter Seite so ge­wollt, oft aber auch nur Ausfluss unbeabsichtigter Nebenwirkungen von Politik. Im Zeichen der Glo­ba­lisierung erleben wir den Wettbewerb der Kommunen und Stadtregionen [2]). Die Stadt ist nicht mehr ein Ort, wo Menschen sich treffen und leben, sondern vorrangig ein an­gebotspoliti­sches Instrument, die Wirtschaftskraft der Region [3]) zu stärken. In ent­sprechen­der Weise wur­de aus der liberalen Mini-Idee eines Minimalstaates in unserer heutigen politi­schen Realität das praktische Programm eines angebotspolitischen Wirtschaftsförderungs- bzw. Subventionsbe­trugs­staates [4]) ("crony capitalism"), dessen sozialreaktionäre Vorkämpfer und Förderer beim Wohl­fahrtsstaat (Offe 1998a) ebenso bereits die Grenze zum Sozialismus überschritten wähnen wie bei der weltweiten Abschaffung von Kinderarbeit. Alle wollen sich bereichern und drän­gen dadurch zur Unge­rech­tig­keit. Der Staat, angeblich geschaffen, dem abzuhelfen, soll wirt­schafts­freundlich sein, wird jedoch gerade dadurch zum ungerechten Staat.



[1]) Der „Trierische Volksfreund" (28.011999) titelt zu den städtischen Haushaltsberatungen: „Wenn Hase und Igel im Stadtrat laufen - Immer mehr Ratsmitglieder zweifeln an ihren Mitwir­kungs­mög­lich­kei­ten - Viel Arbeit und wenig Einfluss": „Die angegriffene Gemütslage der Kom­mu­nalpolitiker hat zwei ganz unterschiedliche Ursachen. Die eine liegt in der allgemein miesen Finanzlage, die kaum mehr Spielraum für Ideen lässt. Es gibt aber auch ein ‘hausge­mach­tes’ Problem, und das hängt mit der neu­en Haushaltsstruktur, der ‘Budgetierung’ zusammen. Als sie vor we­ni­gen Jahren eingeführt wurde, hat­te man den Ratsmitgliedern den Mund wässrig gemacht: Jetzt werde alles durchschaubarer, es ge­be neue, ungeahnte Mitwir­kungs­mög­lichkeiten. Die Praxis sah dann an­ders aus. Schon im Früh­jahr werden heute in einem Eckwertebeschluss die Korsettstangen des Haushalts eingezogen. Da­bei domi­niert die Verwaltung mit ihrem immensen Informations­vor­sprung. Und wenn es dann am Jahresende in die de­tail­lierten Haushaltsverhandlungen geht, fühlen sich viele Ratsmitglieder wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel: Wann immer sie etwas vor­schla­gen, ist die Verwaltung schon da und erklärt, warum es nicht geht. Suchen die Dezer­nen­ten selbst nach Finanzie­rungs­mög­lichkeiten in ihren Budgets, werden sie fast stets fündig."

[2]) "Vor diesem Hintergrund wird von der neueren Regionalpolitik eine Neubewertung regio­na­ler Wirtschafts­zu­sam­menhänge gefordert, in der die Stadtregionen sich nicht als ‘passive’ Stand­orte definieren, sondern sich auf ih­re spezifischen endogenen Potentiale (gewachsene Wirtschafts­tra­di­ti­o­nen, Institutionsstrukturen und Hand­lungs­optionen) besinnen. Nach der ersten Phase der An­sied­lungs- und Standortpolitik, die auf externer Kapi­tal­zu­fuhr aufbaute, stellt sich heute die be­son­ders dringliche Aufgabe, die geschaffenen industriellen Kerne als Ka­ta­lysatoren für die örtliche Wirt­schaft zu sichern und zu einer regional verankerten wirtschaftlichen Basis mit re­gi­onalen Wert­schöpfungsketten und Innovationsnetzen weiterzuentwickeln. Zweitens stehen die Städte und Re­gi­onen heute - anders als in der ersten Phase des Transformationsprozesses, in der die Prozesse noch weitgehend von Bund und Ländern, also zentral, gesteuert wurden - vor der großen Heraus­for­derung, selbständig Strategien zu entwickeln, die aus den regionalen Besonderheiten heraus zu einer besseren Position im Wettbewerb bei­tra­gen. Eine solche Herausforderung lässt sich nur in­ner­halb einer effizienten institutionalisierten kommunalen und re­gionalen Handlungsstruktur mei­stern. Damit sind nicht nur formelle politische Institutionen gemeint; diese sind auf der regionalen Ebene auch nur relativ schwach entwickelt. Entscheidend sind vielmehr die besonderen re­gionalen informellen institutionellen Arrangements, das Verhalten und die spezifischen Beziehungsmuster (Ko­a­litionsmuster, Machtstrukturen, Kooperationsformen) der relevanten organisierten Akteure: der Bür­ger­grup­pen, Investoren, Unternehmen, Verbände, Parteien und staatlichen Akteure." (Ku­jath 1999a:15f) - "If it is difficult to get financing in a distressed area, does that mean that the mar­kets have failed? More likely, it means that there is more risk than the markets are willing to bear. Prices will eventually adjust so that people in these areas will either leave or rebuild." (Arthur J. Rol­nick, Is State and Local Economic Development Policy a Zero-Sum Game ... or Worse?, fedga­zette 1/1993)

[3]) „Im Trierer Rotlicht-Skandal sind nach ihrer Auffassung Verbindungen und Verflechtungen zwischen Ord­nungs­amt, Polizei, Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und Richtern mit Bordell­be­treibern und Organisierter Kri­mi­nalität »deutlich sichtbar« geworden. Während die Stadt einer­seits rigide Aufenthaltsgenehmigungen ver­wei­gert habe, seien bei Prostituierten unbesehen Aus­nah­men gemacht worden, sagte Lea Ackermann, die sich seit 15 Jahren gegen Frauenhandel und Zwangs­pro­sti­tu­ti­on engagiert." Grüne fordern besseren Opferschutz. Stadt Trier begünstigte an­geb­lich Frauen­han­del, Trierischer Volksfreund, 19.03.1999

[4]) In Rheinland-Pfalz scheint gerade die FDP als neoliberale Unternehmerpartei durch ihre ei­genes Regie­rungshandeln bewei­sen zu wollen, dass Strukturpolitik notwendigerweise zu Misswirt­schaft führen muss: „Mainz in der Schusslinie des Rech­nungs­hofes. Millionen werden verschwen­det: Rüffel des Landes­rech­nungs­hofs Rheinland-Pfalz für die Konversionspolitik der Mainzer Lan­desregierung: Zu unprofessionell und ver­schwen­derisch wurde vor allem bei den Flughäfen Hahn und Zweibrücken zu Werke gegangen. In die Schuss­li­nie geriet auch die millionenschwere Sanie­rung des ehemaligen Zettelmeyer-Geländes in Konz." (TV 10.02.99) - Die öffentliche Miss­wirt­schaft zugunsten einzelner Privatinteressen setzt sich fort bis in die Kommunen: „Auf Ein­nahmen in Milllionen-Höhe verzichtet. Landesrechnungshof rügt die Stadt Konz: Grundstücke zu billig ab­ge­geben, Beiträge nicht erhoben, Förderungen doppelt kassiert." (TV 10.02.99). - "Kommission will Wildwuchs lichten. Neue Regelung für Landräte und Bürgermeister" (TV Nr.288,1999) "Auf strengere Vor­gaben für Minister und mehr Kontrolle einer offenkundig laschen Handhabung bei Landräten und Bürgermeistern in puncto Nebenjobs dringt eine Expertenkommission." Wozu aber schärfere Re­ge­lungen, wenn die bestehenden schon nicht eingehalten werden, wie man selbst augenzwinkernd zugibt?! "Be­trü­ge­reien bei Exporterstattungen, Zöllen und Mehrwertsteuer" meldet Hajo Friedrich (FAZ 23.11.1999,S.28) auch von der Euro­pä­ischen Union. "Kommission und Mitglieds­staaten be­kommen die EU-Finanzverwaltung nicht in den Griff". 5% des EU-Haushalts (d.h.: jähr­lich rund 8 Milliarden DM) laut EuRH-Präsidiumsmitglied Bernhard Friedmann mit Unregelmä­ßig­keiten be­haftet. - Jahres­be­richt 1998 zur EU-Betrugsbekämpfung Der Fall Doer­fert und der Kanzler-Altlast Helmut Kohl sind notorisch. Den Apologeten, natürlich auf der Son­nenseite des Wirtschaftssy­stems, ist sol­ches stets nie mehr als ein Schönheitsfehler. So Yardeni, Moss (1990a) im Hinblick auf beson­dere US-Finanzskandale. Sie sind beruhigt durch den Gedan­ken, dass derlei immer nur natürliche „Auswüchse" darstellten, wie sie schon Smith als ständig ge­gen­wärtige systemimmanente Ten­denzen der Wettbewerbsgesellschaft erkannt habe. Ob man sich bei dieser Diagnose beruhigt, dürfte si­cher­lich davon stark abhängen, ob man Nutznießer oder Leid­tragender solcher Missstände ist.

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