Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Essentialismus

"Now essentialism is an interesting and worth while doctrine to study, with a glo­rious history and many adherents. Perhaps it is true that essentialism has a bad name today, so much that in many quarters it is enough to label some view as es­sentialist and one is thought to have made a devastating criticism of it." (Hattiangadi 1972a:83)

Popper (1979a:20) sieht im Essentialismus: Was mich immer noch von den mei­sten zeit­ge­nös­si­schen Philosophen trennt". Es geht hier aber nicht etwa um An­sprüche auf philo­so­phi­sche Origi­na­lität, sondern um den Befund, dass sich Popper spätestens seit seinem „ersten philo­so­phischen Misserfolg" in einem Gespräch mit seinem Vater ein Leben lang mit einem Problem her­umge­schlagen hat, das ihm an­scheinend bis zum Lebensende nicht völlig klar ge­worden ist. Er ging dabei an ge­gen den Versuch, etwas Wichtiges aus der ‘wahren’ Bedeu­tung von gewissen Wor­ten abzuleiten" [1]):

„Ich erinnere mich, dass ich nach der Diskussion versuchte, mir die Richtlinie, die Maxime, einzuprägen, niemals über Worte und ihre ‘wahre’ Bedeutung zu ar­gumentieren; denn solche Diskussionen sind irreführend und unwichtig." (Popper 1979a:17)

Diese Klugheit ist aber nur sehr oberflächlich, das Problem nur scheinbar einfach. Wenn Popper nicht über Wortbedeutungen streiten will, warum dann über Essen­ti­a­lismus? Was ist der Un­terschied, ob jemand etwas aus einer Theorie oder aus ei­ner etablierten Wortbe­deu­tung ab­leitet? Entscheidet die Quelle über den Wert ei­nes Arguments? Wenn Wissenschaft eine Be­ziehung ratio­naler Kommu­ni­kation dar­stellt (also mindestens zwei Menschen erfordert, die mit­ein­an­der in ver­nünfti­ger Weise kommunizieren), so wäre die Verweigerung des Diskurses über die Vor­aus­set­zungen des Diskurses nichts weiter als dogmatisch.

Wer so tut, als habe er durch eine unklare oder undeutliche Antworten eine Auf­gabe richtig ge­löst, mystifiziert damit seine Gesprächspartner. Poppers Abhand­lung des Essentialismus stellt eine solche Mystifikation seines Publikums dar. Denn er verwendet Essentialismus als Ar­gument, um 1. der tra­ditionellen Philoso­phie und Sozialwissenschaften eine unzulängliche Lo­gik zu unterstellen und 2. be­hauptet, dieser sei eine politische Tendenz zum Totalitarismus ein­gebaut. Dabei versäumt es Popper aber, begrifflich oder theoretisch hinreichend deutlich zu ma­chen, was er 1. unter „Es­sentialismus" und 2. unter „Totalitarismus" versteht. Wenn Popper sich weigert, sich an einer Diskussion der Frage zu beteiligen:

Welches ist die „richtige" Bedeutung des Worts X?

so ist das selbstverständlich akzeptabel. Inakzeptabel ist jedoch, dass er mit die­ser fast trivi­a­len Frage sehr viele andere vermengt, die er in derselben trivialen Wei­se damit zu be­ant­wor­ten scheint, tatsächlich aber wieder einmal weit über sein Ziel hinausschießt. Poppers po­le­misch-ab­lehnende Haltung gegenüber „Wort­klauberei" verhilft dazu, folgende Probleme in einer tri­vi­a­lisierenden Art und Weise herunterzuspielen:

1) Definitionslehre,
2) Universalien-Streit
3) Verhältnis Begriff, Theorie, System, Modell, Sprache



[1]) Popper meint hier wohl an Stelle „Worte" vermutlich „Wörter". Auch der Unterschied zwi­schen „Wort" und „Begriff" ist hier relevant und außer Acht gelassen.

Keine Kommentare:

Blog-Archiv