Hegels Argumentationsweise wurde von Lask als „emanatistische Logik“ gekennzeichnet und damit der analytischen Logik Kants entgegengesetzt. Weber [1]) ist diesem Sprachgebrauch gefolgt und hat insofern die marxsche der hegelschen Dialektik gleichgesetzt. Dabei hat er die Kritik an Hegels Logik, wie Marx sie insbesondere in dem Manuskript „Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts“ vorgenommen hat, nicht berücksichtigt. Marx kritisiert insbesondere an Hegels Verfahren, dass niemals aus dem Allgemeinen das Besondere des Einzelnen abgeleitet werden könne. Demzufolge ist es völlig verfehlt, Marxens Dialektik als „emanatistisch“ aufzufassen.
Hegels Entwicklung des Begriffs wurde als emanatistische [2]) Begriffslogik gefasst. Was ist damit aber gesagt? Weber hat diesen Terminus ins soziologische Spielfeld eingeworfen. Die Scheidung analytischer vs. emanatistischer Logik, auf die sich Weber dabei bezieht, stammt von Lask [3]), der damit eine Typologie der transzendentalen [4]) Logik des deutschen Idealismus, vor allem Kants, Fichtes und Hegels aufgestellt und bis in die Einzelheiten expliziert hat. Hierbei geht es vor allem darum, den Gebrauch und die Erwähnung von Ausdrücken logisch auseinander zu halten. Eine Objekttheorie formuliert ihre Aussagen über ihren Objektbereich; das ist der ihrer Problemperspektive zugeordnete Ausschnitt der objektiven Realität. Wer hingegen Aussagen über objektsprachliche Aussagen trifft, redet in der Metasprache [5]), relativ gesehen zu der betreffenden Objektsprache.
Dass ein Begriff den anderen erzeugt, kann als eine Analogie zur christlichen Dreifaltigkeitslehre, der creatio ex nihilo ausgelegt werden. Hegel (1930b:19, Anm.1) hält „Hervorgehen“ indes nur als Metapher zulässig. Schon Rosenkranz hält Emanatismus für eine systematisch verzerrte Fehlinterpretation, und zwar von der Position der abstrakten Empirie, etwa eines Trendelenburg.[6])
Sarlemijn unterscheidet strikt zwischen dem gemäßigten Realismus (die Position etwa Feuerbachs) und dem extremen Realismus Hegels:
"Zwar ist das Allgemeine objektiv, aber im absoluten Ganzen auf dreifache Weise konkret: Das Allgemeine tendiert wesentlich zur Realisierung, und das Realisierte existiert nicht außerhalb des Allgemeinen; und diese doppelte Relation wächst (concrescere) im dialektischen Prozess mit anderen gleichartigen Beziehungen zusammen. Das abstrakte Allgemeine, d.h. das von jeder Beziehung losgelöste Allgemeine, ist also nur im menschlichen Verstand vorhanden. Viele Texte laufen deshalb der Auffassung, das Abstrakte sei objektiv, zuwider. Sie sind jedoch nicht gemäßigt realistisch zu deuten. Eine solche Lösung des Universalienproblems ist der hegelschen sogar diametral entgegengesetzt: Das hegelsche Allgemeine ist nicht in den Dingen und Erscheinungen vorhanden, sondern diese existieren als Momente im Allgemeinen." (Sarlemijn 1971a:24)
Bei Marx muss die „Erzeugung aus dem Begriff“ entweder im empirisch-psychologischen Sinne oder begriffslogisch/methodologisch als systemimmanente Entwicklung des und durch das Wesen zu begreifen. Feuerbach geht im Gegensatz zu seinem akademischen Lehrer Hegel nicht nur von der materialistischen Position aus, sondern auch von einem recht simplen Modell der analytischen Logik, wonach die Abstraktion als ein Weglassen von Merkmalen verstanden wird.
Marx ist zu seiner Theorie „durch den Feuerbach gegangen“ [7]). Engels und Marx folgen in der „Heiligen Familie“ (MEW 2:59ff) zumindest in der Terminologie feuerbachischen Vorgaben. Die hegelsche Begriffslogik wird als eine Verkehrung der Abstraktion des Gattungsbegriffs aufgefasst. Doch schon in seinem Manuskript zur „Kritik des Hegelschen Staatsrechts“ sucht Marx nachzuweisen, dass Hegels Ableitungen im Ansatz logisch fehlerhaft vorgehen. Sie verknüpften weder logisch noch inhaltlich die Kategorien der philosophischen Logik mit der Staatslehre, vielmehr dienten sie lediglich dazu, dieselbe zu mystifizieren.
Die feuerbachische Essentialismus-Kritik geht aus von bestimmten erkenntnistheoretische Voraussetzungen, d.h. dem Materialismus [8]). Dieser aber schließt es aus, Marxens Dialektik mit derjenigen Hegels gleich- oder die Dialektik als eine Beweislogik anzusetzen. Damit möchte ich selbstverständlich nicht bestreiten, dass schon lange und gerade heute u. a. auch idealistische: hegelianisierende (Hartmann 1970a) und phänomenologische [9]) (Santamaria 1983a) Marx-Interpretationen im Umlauf sind. Selbst Popper kann man hegelianisieren, so man will, vor allem, nachdem er schon Ansatzpunkte dazu selbst geliefert hat. Marx hat eine eigentümliche Synthese von Hegel und Feuerbach hergestellt, die sich nicht auf die engelssche oder leninsche Materialismus/Idealismus-Dichotomie reduzieren lässt (Giddens 1971a:xv). Insofern ist es auch verständlich, dass er sich gegenüber manche Übertreibungen feuerbachscher Hegel-Kritik, aber vor allem gegen deren publizistischen Nachwirkungen ausgesprochen [10]) hat.
Die ältere Begriffslogik ging von der Vorstellung aus, dass Abstraktion darauf beruhe, dass zunehmend mehr Merkmale eines Begriffes weggelassen werden. Vor allem das Verhältnis von Intension und Extension wird in der Nachfolge zur Logik von Port Royal in dieser Auffassungsweise von Abstraktion häufig verkannt:
„In der traditionellen Logik wird seit dem Erscheinen der Logik von Port Royal (1662) behauptet, dass es eine Beziehung zwischen Extension und Intension der Begriffe derart gibt, dass jede Vermehrung der Intension die Extension vermindert und umgekehrt. (...) Dem Gesetz von Port Royal liegt der Irrtum zugrunde, dass die durch die Tätigkeit der Abstraktion vorgenommene Bildung von Begriffen so geschieht, dass immer mehr Merkmale von Begriffen weggelassen werden und schließlich immer allgemeinere Merkmale übrigbleiben.“
Demgegenüber werde in der Logik heutzutage die Auffassung vertreten:
„Die Tätigkeit der Abstraktion besteht also nicht im Weglassen von Merkmalen, sondern (...) im Variabelmachen von Merkmalen.“ (Klaus 1972a:191f)
[1]) „Eine eingehendere Auseinandersetzung mit derjenigen Form der hegelschen Dialektik, welche das ‘Kapital’ von Marx repräsentiert, hat Roscher nie unternommen." (Weber 1988a:17, Anm.6) Max Weber hat sich fast nie direkt mit Marx, sondern überwiegend mit dem zeitgenössischen Vulgärmarxismus (in dessen positivistischer Variante) auseinandergesetzt; (vgl. Giddens 1971a:192ff; Kocka 1966a) - also zwar stets mit den aktuellsten Versionen, aber grundsätzlich Marx nur aus 2. Hand bezogen.
[2]) „Da die Geschichte die Aufhellung der kausalen Bedingtheit der Kulturerscheinungen (im weitesten Sinn des Wortes) bezweckt, so können diese ‘Grundsätze’ nur solche der kausalen Verknüpfung sein. Und hier findet sich nun bei Roscher der eigentümliche Satz, dass es Gepflogenheit der Wissenschaft - und zwar jeder Wissenschaft - sei, bei kausaler Verknüpfung mehrerer Objekte ‘das Wichtiger-Scheinende die Ursache des minder Wichtigen zu nennen’. Der Satz, dessen emanatistische Provenienz ihm an der Stirn geschrieben steht, wird nur verständlich, wenn man unterstellt, dass Roscher mit dem Ausdruck ‘wichtiger’ einerseits dasselbe gemeint hat, was Hegel unter ‘allgemein’ verstand, andererseits aber das gattungsmäßig Allgemeine davon nicht schied. Dass dies in der Tat der Fall ist, wird sich uns im weiteren Verlauf der Betrachtung von Roschers Methode immer wieder zeigen. Roscher identifizierte die Begriffe: gattungsmäßig allgemein (generell) und: inhaltlich umfassend miteinander. Außerdem aber schied er auch nicht zwischen der mit dem universellen Zusammenhang identifizierten generellen Geltung der Begriffe und der universellen Bedeutung des Begriffenen: das ‘Gesetzmäßige’ ist, wie wir sahen, das ‘Wesentliche’ der Erscheinung. Und es versteht ihm sich endlich - wie so vielen noch heute - von selbst, dass, weil man die generellen Begriffe durch Abstraktion von der Wirklichkeit aufsteigend gebildet habe, so auch umgekehrt die Wirklichkeit aus diesen generellen Begriffen - deren richtige Bildung vorausgesetzt – absteigend wieder müsse deduziert werden können. (...) Einen Gegensatz begrifflicher und anschaulicher Erkenntnis kennt er nicht, die mathematischen Formeln hält er für Abstraktionen nach Art der Gattungsbegriffe. Alle Begriffe sind ihm vorstellungsmäßige Abbilder der Wirklichkeit, die ‘Gesetze’ aber objektive Normen, denen gegenüber sich die ‘Natur’ in einem ähnlichen Verhältnis befindet, wie das ’Volk’ gegenüber den staatlichen Gesetzen. Die ganze Art seiner Begriffsbildung zeigt, dass er von dem hegelschen Standpunkt zwar prinzipiell geschieden bleibt, trotzdem aber mit metaphysischen Vorstellungen arbeitet, welche sich nur dem hegelschen Emanatismus konsequent einfügen lassen." (Weber 1988a:18f)
[3]) „Nach der Entscheidung der Frage, welcher Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt den Gattungsbegriffen zuzuerkennen ist, lassen sich alle von jeher aufgestellten Begriffstheorien in zwei Hauptgruppen teilen. Die Anhänger der einen halten das logisch Untergeordnetste, das Inhaltreichste, das, was der Stufenfolge der Begriffe nach unten hin eine Schranke setzt, kurz die unbegrenzte Zahl der Einzeldinge, das empirisch unmittelbar Erlebbare, für die einzige Wirklichkeit, für die unverrückbare Basis, von der alle Begriffsbildung ihren Ausgang nimmt. Das Empirische wird ihnen zur einzigen und vollen Wirklichkeit: der Begriff zu einem künstlich ausgesonderten Teilinhalt ohne eigene Existenzfähigkeit, der durch Auflösung des ursprünglich Verbundenen entsteht und sich lediglich als Produkt des Denkens erweist. Die Begriffsbildung vollzieht sich hier durch Analyse des unmittelbar Gegebenen; wir können die Logik, die auf diesem Standpunkt steht, kurz die analytische Logik nennen. Die ihr entgegengesetzte Richtung deutet die logische Herrschaft des Begriffs über das Einzelding zur realen Macht einer höheren Wirklichkeit um, der gegenüber die Welt des Empirischen zu einer niederen und abhängigen Daseinsform herabgedrückt wird. Diese Richtung hat einen grossen Formenreichtum entwickelt, bei dessen Erzeugung mannigfache metaphysische und erkenntnistheoretische Gedanken wirksam gewesen sind. Es lässt sich aber zeigen, dass diese alle auch einem rein logischen Ideal des Begriffs zustreben, das seiner Struktur nach dem Begriff, wie ihn die analytische Logik fordert, in wesentlichen Punkten entgegengesetzt ist. Bei diesen Theorien nämlich muss der Begriff stets inhaltsreicher als die empirische Wirklichkeit ausfallen, nicht als deren Teil, sondern umgekehrt so gedacht werden, dass er sie als seinen Teil, als Ausfluss seines überwirklichen Wesens umfasst. Beziehungen zwischen Begriff und Einzelnem werden dann nicht etwa durch ein die Begriffe erst bildendes Denken ermöglicht, sondern entstammen einer realen Abhängigkeit des Besonderen, einer ‘organischen’ innigen Durchdringung von Gattung und Einzelwirklichkeit. Da hierbei der Begriff den besonderen Verwirklichungsfall sozusagen aus seiner überreichen Fülle entlässt, mag die solche Ergebnisse hervortreibende Anschauungen eine emanatistische Logik genannt werden. Schon diese kurze Übersicht muss gezeigt haben, dass das Prinzip der Einteilung in die beiden Arten der Logik gebildet wurde durch ein verschiedenes Verhältnis des Begriffs zur empirischen Wirklichkeit, zu der er sich nämlich das eine Mal als unterwirklicher Teilinhalt, das andere Mal als überwirklicher Urgrund verhält." (Lask 1914a:25f)
[4]) Die Problemgeschichte der transzendentalen Fragestellung erläutert Stegmüller (1969a: XXIII): „KANT hat die Terminologie eingeführt, Forschungen als transzendental zu bezeichnen, die sich nicht auf Gegenstände, sondern auf die wissenschaftliche Erkenntnis von Gegenständen beziehen. Untersuchungen von dieser Art nennt man heute metatheoretische Analysen." Von der Existenz von Wissenschaft auszugehen und nach den notwendigen Voraussetzungen ihrer Möglichkeit zu fragen, stellt nach Agassi (1975a:311) den Kern des transzendentalen Arguments dar: "Arguments from the existence of science are transcendental arguments; if my theory were false then science would be impossible; but science exists. This is the logical form of Kant's argument which he christened 'transcendental' and this is the form of Russell's argument ... The way to avoid transcendentalism is to take the existence and success of science and technology as a datum to be explained."
[5]) „Metatheorien spezifizieren das Erkenntnisziel, bestimmen die Art der zulässigen Problemlösungen und der relevanten Testarrangements, geben Anweisungen für die Konstruktion, Interpretation und Kritik der Theorien; programmieren und bewerten den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft." (Stegmüller 1969a:31f)
[6]) "Gegen Hegel nimmt die abstrakte Empirie vorzüglich die Stellung ein, ihm die Wahrheit seiner dialektischen Methode, welche die Ontologiker formell anerkennen, abzustreiten und ihn selbst der Empirie, der Abhängigkeit von der Anschauung anzuklagen, die er nur künstlich verstecke. Sie hält das reine denken für ein solches, welches aus sich das sein auch nach seiner realen Mannigfaltigkeit, ohne sich um sie durch die Vermittelung des Anschauens zu bekümmern, abzuleiten nicht bloß, nein auch zu produzieren sich unterfange." (Rosenkranz 1977a:XXIV)
[7]) vgl. dazu Steigerwald (1998a)
[8]) „Der Mensch geht von dem ihm nächsten, dem Gegenwärtigen aus und schließt von da auf das Entferntere; das tut der Atheist, das tut der Theist. Der Unterschied zwischen dem Atheismus oder Naturalismus, überhaupt der Lehre, welche die Natur aus sich oder einem Naturprinzip begreift, und dem Theismus oder der Lehre, welche die Natur aus einem heterogenen, fremdartigen, von der Natur unterschiedenen Wesen ableitet, ist nur der, dass der Theist vom Menschen ausgeht und von da zur Natur übergeht, auf sie schließt, der Atheist oder Naturalist von der Natur ausgeht und erst von ihr auf den Menschen kommt. Der Atheist geht einen natürlichen, der Theist einen unnatürlichen Gang. Der Atheist setzt der Kunst die Natur voraus, der Theist die Kunst der Natur; er lässt die Natur aus der Kunst Gottes oder, was eins ist, aus der göttlichen Kunst entspringen; der Atheist lässt das Ende auf den Anfang folgen; er macht das der Natur nach frühere zum ersten; der Theist aber macht das Ende zum Anfang, das Späteste zum ersten, kurz, er macht nicht das natürliche, unbewusst wirkende Wesen der Natur zum ersten Wesen, sondern das bewusste, menschliche, künstlerische Wesen; er begeht daher die schon gerügte Verkehrtheit, statt aus dem Unbewussten das Bewusste, aus dem Bewusstsein das Unbewusste entstehen zu lassen." (89)
[9]) "Marcuse was the first Heideggerian Marxist, anticipating the later phenomenological Marxism of Jean-Paul Sartre, Karl Kosik, Enzo Paci, and the Yugoslav Praxis philosophers." (Habermas 1985a:72)
[10] ) „Die Herren in Deutschland (mit Ausnahme theologischer Reaktionäre) glauben, dass Hegels Dialektik ‘ein toter Hund’ ist. Feuerbach hat viel auf dem Gewissen in dieser Hinsicht."
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