Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Hegels Todsünde

Nichts kann entgegengesetzter sein als Ja und Nein. Dies allein genügt noch nicht, um von Ei­nem zu seinem Gegenteil überzugehen. Es ist zu einfach, um wahr zu sein. Popper (1973a: 327) fordert:

Eines Menschen Wort sei a = a und non-a = non-a.

Hegel mache sich jedoch ein Vergnügen daraus, als nicht zu überbietende Ver­nunfteinsicht zu fordern

a = non-a,

und hier hört bei Popper der Spaß auf. Mit Dialektik eröffnet die Ge­schichte der Philosophie; für Popper ist Dialektik jedoch eher eine persönliche Schrulle. Ein Phi­losoph, der jede Position schnurstracks mit ihrem Ge­genteil konfrontiere und das auch noch für erkenntnisfördernd halte, ist ihm ein Scharlatan, dem man keinen Satz abnehmen könne, dieweil dieser mit seiner Behauptung im­mer auch gleich sein Gegenteil behaupte bzw. stets behaupten könne.

„Der Dogmatismus einer Lehre kann darin bestehen, (‘ungeschütztes Dog­ma’) dass Sätze ohne hinreichende Begründung und als wahr behauptet wer­den. (...) Aber es gibt auch eine Form des Dogmatismus (‘geschütztes Dogma’), de­ren dog­matischer Charakter viel stärker ausgeprägt ist: Dogmen können durch Dog­men in einer Weise gesichert werden, dass sie unter allen Umständen un­be­rührbar bleiben müssen. Einen solchen qualifizierten Schutz bieten zum Bei­spiel Hegels Dialektik. (...) Hegel versucht gar nicht, Kants Nachweis zu wi­der­legen, sondern er errichtet seine Dialektik unmittelbar auf dem Begriff des Wi­derspruchs als einem notwendigen und eminent produktiven Faktor allen Den­kens. Durch diesen Schachzug verliert nicht nur der Angriff Kants, sondern je­der denkbare Einwand seine Stütze: Er wird gar nicht abgewehrt, denn er kann das System gar nicht treffen (er trifft im­mer nur seine eigene Antithese). Je­der denkbare Einwand gegen das System könnte ja nur darin bestehen, des­sen in­ne­re Widersprüche nachzuweisen. Aber ein solcher Nachweis bedeutet für das di­alektische System keine Erschütterung, sondern eher eine Festigung, eine Be­stä­tigung.“ (Popper 1994b:295f)

Für Popper ist es indes keine große Mühe, ein "unkritisierbares" System zu kriti­sie­ren. Sein Ver­dikt je­doch lau­tet Immunisierung, vor allem auch an die Adresse der zeitge­nössischen Hegel-Nachfolger gerichtet. Denn noch Adorno versteigt sich zu der Behauptung:

„Solche Doppelschlächtigkeit, wie plausibel auch immer, widerstritte dem Prin­zip der Widerspruchslosigkeit: Wissenschaft wäre dann eigenständig, und wäre es doch nicht. Dialektik, die das verficht, ...“ (Adorno 1969b:19)

Derlei Dialektik ist auch Albert (1980a:72f) ein offen erklärter logischer Bankrott, zudem rhetorisch subversiv. Tatsache ist jedoch, dass die „Doppel­schläch­tig­keit“ der Wis­sen­schaft (aufgrund ihrer Autonomie und ihrer gesellschaftlichen Bedingt­heit), auf die sich Adorno als einen sog. "Widerspruch" beruft, genau besehen gar keineswegs kontradiktorische Aussagen im Sinne der modernen Logik dar­stel­len. Es wird ja nicht dasselbe und gleichzeitig sein Gegenteil in Be­zug auf den­sel­ben Sach­verhalt behaup­tet, sondern lediglich, dass sich derselbe Ge­genstand in ver­schie­dener Hinsicht un­ter­schied­lich darstellt.

Die Frage stellt sich dann allerdings:

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