Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

08.10.2005

Die Kammerdiener Perspektive

Über das Erzählen von Histörchen aus der Perspektive des Kammerdieners [1]) vergisst Pop­per ganz dar­auf, dass es in der po­litischen Philosophie, sofern sie Philosophie und nicht Pro­pa­gan­da sein will, nicht auf pri­vate Bekenntnisse an­kommt, und seien sie auch noch so pu­bli­kums­wirk­sam serviert. Sondern auf po­li­ti­sche Philosophie, d.h.: systema­ti­sche Exposition und kri­ti­schen Ver­gleich. Popper vernachlässigt hier, dass es bei den von ihm gewählten The­ma ("Vom Essentialismus zum Totalitarismus") nicht um die persönliche politi­sche Motivation ei­nes Theoretikers geht, son­dern um Wert und Gehalt von Theorien und Philosophien.

„Hier bemerken wir nur, dass der wissenschaftliche Charakter einer gegebe­nen analytischen Leistung un­ab­hän­gig von den Beweggründen ist, um derent­willen sie vollbracht wird.“ - „Es mag manchmal ganz interessant sein, sich die Frage zu stellen, warum ein Mensch sagt, was er sagt; wie die Ant­wort aber auch aus­fallen mag, sie sagt nichts darüber aus, ob das, was er sagt, richtig oder falsch ist.“ (Schumpeter 1965a:40f)

Die logische Scheidung zwischen Entstehungs- und Geltungszusammenhang einer Aussage (Rei­chen­bach) ist zwar nur eine Begriffskonstruktion:

„... questions of truth or validity, not excluding the logical justification of the preference for one theory over another (the only kind of ‘justification’ which I be­lieve possible), must be sharply distinguished from all genetic, historical, and psychological questions.” (Popper 1973a:67)

Sie ist keine „ontische Differenz“; das darf nicht vergessen werden. Es nimmt daher nur we­nig wun­der, wenn Feyerabend diese Unterscheidung aufgrund seiner Analyse wissen­schafts­hi­stori­scher Fälle letztlich für praktisch untauglich [2]) und sogar schädlich hält. Das be­sagt je­doch nur soviel, als dass wir selbst bei einer Analyse von wissenschaftlichem Han­deln die be­griff­liche Schei­dung jedes Mal von neuem ziehen und kritisch abwägen müssen. Dies gilt aller­dings schlechthin, wenn uns eine er­kennt­nistheore­tisch fundierte Semantik zwin­gen sollte, die Bedeutung einer Aus­sage oder der Grad ihrer empirischen Be­währtheit zu­mindest teilweise mit ihrer Entstehung kausal, methodologisch oder hermeneutisch so in Zu­sam­menhang zu brin­gen, dass letztere Bedingungen einen Einfluss auf den Geltungsstatus aus­üben [3]). gossip ist viel­leicht ei­ne gewisse Hilfe, um Sprecher und seine Situation her­me­neu­tisch zu erschließen. Da­bei darf es jedoch nicht zum Selbst­zweck werden, sich zum Schieds­richter über das irrele­van­te Per­sön­liche aufzuwerfen, sondern es kann lediglich um das Hilfsmittel zur Interpretation der frag­lichen sachlichen Aussagen gehen.



[1]) „Es gibt keinen Helden für den Kammerdiener; nicht aber weil jener nicht ein Held, son­dern weil dieser - der Kammer­die­ner ist, mit welchem jener nicht als Held, sondern als Essender, Trinkender, sich Kleidender, über­-haupt in der Einzelheit des Bedürfnisses und der Vorstellung zu tun hat. So gibt es für das Beurteilen keine Hand­lung, in welcher es nicht die Seite der Einzelheit der Individualität der allgemeinen Seite der Hand­lung ent­ge­gensetzen und gegen den Handelnden den Kam­mer­diener der Moralität machen könnte." (Hegel, Phänomenologie des Geistes:724) „Solche Reflexion hält sich an das Subjektive der großen Individuen, als in wel­chem sie selbst steht, und über­sieht in dieser selbstgemachten Eitelkeit das Substantielle derselben; - es ist die An­sicht der psycholo­gi­schen Kam­merdiener, für welche es keine Helden gibt, nicht weil diese keine Helden, sondern weil jene nur die Kam­mer­die­ner sind«..." (Hegel, Rechtshilosophie:192)

[2]) „The results obtained so far suggest abolishing the distinction between a context of disco­ve­ry and a context of justification and disregarding the related distinction between observational terms and theoretical terms. Neither distinction plays a role in scientific practice. Attempts to en­for­ce them would have disastrous consequences." (Feyerabend 1975a)

[3]) vgl. zu Davidsons „unified theory of language and action" Preyer, Roth

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