Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Definitionslehre

"(...) there is a very special form of the myth of the framework that is particu­lar­ly widespread. It is the view that, before discussion, we should agree on our vo­cabu­lary - perhaps by 'defining our terms'." (Popper 1994a:59)

Definieren ist weder trivial noch eine rein technische Frage - sie ist nicht nur wis­sensrelevant, sondern geht wie die Frage der Wahl der Sprache mitten hinein ins Feld der Politik, wie die Re­de von der "Definitionsmacht" überdeutlich macht.

Poppers (1973a:18) Ontologie ist zu Beginn das formal Darstellbare oder was sich damit kom­patibel erweisen lässt - nur später schlägt er eine erkenntnislo­gi­sche Volte hin zum Platonismus und erklärt Definitionslehre überhaupt für metho­do­lo­gisch irrelevant bzw. für Wortklauberei: „words do not matter, as long as one is not misled by them."

Im Vergleich zur These: Wörter sind das Ziel! stellt Poppers These: Wörter sind un­wich­tig! eine Überreaktion dar. Ohne Wörter kann man nicht sprechen. Der Ton macht die Musik. Ja, man kann prinzipiell jedes Wort durch ein anderes austau­schen. In einem gegebenen Kon­text lässt sich dieses Spiel aber auch nur bis zu ei­ner gewissen Grenze praktisch durchführen. Ab einem gewissen Punkt sind wir ge­bunden, und diese Bindung ist folgenreich für den Dis­kurs und nur begrenzt re­ver­sibel. Popper unterstellt, dass Wörter egal, d.h. neutral seien. Dies kann jedoch nur unter der Voraussetzung gelten: In jeder beliebigen Sprache lässt sich grund­sätzlich alles benennen, be­schreiben, ausdrücken und argumentieren! Dies dürfte wohl aber kaum zutreffen.

Was wir als primitive Eigenschaften für das darzustellende Gebiet wählen, übt nach­haltige Aus­wirkungen aus auf die Ausdrucksfähigkeit unseres Wissens­sy­stems.

"The selection of primitive elements for the expression of knowledge in a given domain is a basic problem in all representation schemes, whether the primitives are represented as nodes in a semantic net, predicates in logic formulas, or slots in a frame." (Barr, Feigenbaum 1981a: 148)

Begriffe haben zum Beispiel eine Indexierungsfunktion innerhalb eines semanti­schen Netz­werks. Die Möglichkeit, sie durch andere, etwas unscharf abgewan­del­te Begriffe zu ersetzen bzw. zu "über­schreiben", ist sowohl ihre Leistungsstärke wie auch Quelle der Störanfälligkeit beim späteren Decodieren. Die Verschlag­wor­tung eines Texts erfüllt bei großen Datenmengen eine wichtige Sor­tierfunktion, wo es zwischen Orientierungsnutzen und Kosteneffizienz einen trade off gibt. Eine solche Sortierfunktion kann auch durch Personalisierung (d.h. die Daten wer­den geordnet durch Beziehung etwa auf Autoren oder auf historische Akteure) oder durch chro­nologische Reihung erfüllt werden.

Die Störanfälligkeit eines solch flexiblen, weil unscharfen Indexsystems, bei wel­chem nur das leicht oder überhaupt nur zu finden ist, was indexmäßig auch er­fasst ist, kann absichtsvoll zu poli­tischen Zwecken beeinträchtigt und verzerrt wer­den durch "Begriffspolitik". In diesem Falle ist lediglich eine beschränkte Men­ge an Rohdaten nur über eine bestimmte Indexierung zu erreichen, und diese In­dexierung legt eine bestimmte, nämlich die vom Begriffspolitiker be­ab­sichtigte, Da­teninterpreta­tion nahe.

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