Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Das Leben nach der logischen Katastrophe

Klaus (1972a:54) befürchtet, dass unser Denken in chaotische Verhältnisse ge­rät, sobald wir auch nur eine einzige Kontradiktion zulassen. Wie fast alle Logiker vertritt Popper, „sweet reasonableness personified" (Agassi 1993a:155), eine Katastro­phen­theorie des Widerspruchs:

"Denn die Kritik besteht immer in dem Aufweis gewisser Widersprüche oder Dis­krepanzen, und der wissenschaftliche Fortschritt besteht hauptsächlich in der Be­seitigung von Widersprüchen, wo immer sie auftreten. Aber das bedeu­tet, dass das Vorgehen der Wissenschaft auf der Annahme der Unzulässigkeit und Ver­meid­bar­keit von Widersprüchen beruht, was zur Folge hat, dass die Entdeckung eines Wi­derspruchs den Wissenschaftler zwingt, alles zu seiner Be­seitigung zu unterneh­men; und es ist wirklich so, dass die Wissenschaft zu­sammenbrechen muss, sobald auch nur ein Widerspruch zugelassen wird. Aber Hegel zieht aus seiner dialek­ti­schen Triade einen ganz anderen Schluss. Da Wi­dersprüche die Mittel sind, durch die die Wissenschaft fortschreitet, so zieht er den Schluss, dass Widersprüche nicht nur zulässig und unvermeidlich, son­dern auch in hohem Maße erwünscht seien. Das ist eine Lehre, die jedes Ar­gument und jeden Fortschritt zerstören muss. Denn wenn Widersprüche un­ver­meidbar und erwünscht sind, dann besteht kein Bedürf­nis zu ihrer Beseitigung, und damit muss aller Fortschritt enden." (Popper 1984a:51f)

Popper räumt indes selber ein:

„...wir arbeiten ja oft mit Sätzen, die eigentlich falsch sind, dabei aber Re­sul­tate lie­fern, die für gewisse Zwecke genügen." (Popper 1984a: 59)

Das besagt nichts Anderes als: Wir müssen zwischen dem formallogischen As­pekt und dem prag­matischen As­pekt von Kontradiktionen unterscheiden.

"Good theorizing may be born of illogical and ill-defined progenitors. The cri­ti­cal point is to know the difference." (Markovsky 1996a:35)

Logische Widerlegungen einer in einer bestimmten nichtlogischen Sprache for­mu­lierten The­orie A sind immer nur im Rahmen einer formallogischen Rekon­struk­tion A’ dieser Theorie A möglich. Eine definitive logische Widerlegung setzte in­dessen voraus:

1. eine Explikation A’ der Theorie A,

2. der Nachweis, dass A’ die einzig sinnvoll mögliche Explikation von A darstellt,

3. der Nachweis, dass eine nachweisbare Kontradiktion k in A’ für A wesentlich und unaufheb­bar ist.

Diese Forderungen sind nicht leicht zu erfüllen. In der Regel wird eine Kontra­dik­tion wohl eher der Explikation A’ als der zugrundegelegten Theorie A zu Last ge­legt werden. Spinner verweist daher zurecht auf die Kritik der popperschen Kata­stro­phentheorie, die die­se und die da­mit verbundene Auffassung der Sofort-Ratio­na­lität („instant rationality") durch Lakatos (1978a) er­fahren hat:

"Am Rande kann hier auch Lakatos' Kritik des Mythos der Moment-Ratio­na­lität ('instant rationality') auf dem auch die poppersche Katastrophen­theo­rie des Wi­der­spruchs beruht erwähnt werden. Relevant ist hier auch Lakatos' Kri­tik der dar­aus implizit abgeleiteten, buchstäblich kurzschlüssigen identifi­zie­renden Kopp­lung von Widerlegung und Verwerfung wissenschaftlicher Theorien im popper­schen Falsifikationskonzept. Dagegen stellt Lakatos mit überzeugen­den Argu­men­ten die logische Unabhängigkeit der Akzeptierungsproblematik von der Geltungs­pro­blematik heraus und schlägt im Anschluss an eine detail­lier­te Analyse der viel­schichtigen Problemsituation unabhängige, differenzierte Ak­zep­tierbarkeitsbegriffe und -kriterien vor." (Spinner 1974a:214)

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