Wir sind damit auf einem durch die Jahrhunderte umkämpften Schädelstätte angelangt: dem des sog. "Universalienstreites". Boethius (ca. 480-524/5) hat durch seine Synthese von Platon und Aristoteles das Europa nach der Völkerwanderungszeit stark beeinflusst und in seinen logischen Untersuchungen zur aristotelischen Logik den Grundstein gelegt zum Problem der Universalien (Höffe 1981b:91). Auch Feuerbach sah sich genötigt, zu diesem Thema einen Problemabriss [1]) zu liefern. Stegmüller (1965a) hat hierzu eine äußerst instruktive Übersicht vertretbarer Optionen gegeben und daran auch einige Anmerkungen über den aktuellen Diskussionsstand geknüpft.
Gerade in dieser Frage schlägt Popper aber in seiner gewohnten Manier positivistische Haken, dass er nicht von den Gespenstern der Metaphysik zur Strecke gebracht werde. Er schneidet die damit verknüpften ontologischen oder gnoseologischen Probleme einfach dadurch ab, dass er sie zu „methodologisieren" angibt:
„Zumindest zehn Jahre bevor ich diesen Namen wählte, war mir bewusst geworden, dass mein eigenes Problem im Gegensatz zum klassischen Universalienproblem (und seiner biologischen Variante) ein Problem der Methode war. Schließlich war ja jene Maxime, die ich mir ursprünglich eingeprägt hatte, darauf gerichtet gewesen, auf eine bestimmte Art zu denken und vorzugehen. Deshalb hatte ich, lange bevor ich die Ausdrücke Essentialismus und Anti-Essentialismus einführte, den Ausdruck ‘Nominalismus’ durch das Prädikat ‘methodologisch’ eingeschränkt und jene Einstellung, die meiner Maxime entsprach, als ‘methodologischen Nominalismus’ bezeichnet. Heute erscheint mir der Name ein wenig irreführend." (Popper 1979a:22)
Damit kann Popper vielleicht für den Augenblick Streit vermeiden. Aber eben nur vordergründig: was so ein echtes philosophisches Problem ist, das kommt, wenn man es zur Vordertür hinauswirft, durch die Hintertür wieder zurück. Letztlich muss man Poppers Strategie der Methodologisierung als das erkennen, was es ist: eine Strategie, kritische Konfrontation zu verhindern, also letztlich ein Mittel zur Immunisierung. Über derlei Tendenzen zu Unphilosophie sagt Bunge:
"They did not realize that scientific research presupposes a number of ontological hypotheses, such as the autonomy and lawfulness of the external world: that metaphysics is not only a source of science but also an unavoidable component of it. A component that can harm if hidden, help if disclosed and worked out." (Bunge 1996a:534)
Die von den alten Griechen bis zum Neukantianismus geübte Art des Philosophierens in Begriffen und Systemen wird von Popper als „essentialistisch" abgekanzelt, ohne dass Popper eine zureichende logische Analyse des Problems begriffsorientiertes vs. aussagenorientiertes Denken geliefert hätte.
Lask (1914a:15ff) liefert eine Übersicht über mögliche Wertungsarten [2]).[1]) „Die Frage, ob ein Gott die Welt geschaffen, die Frage nach dem Verhältnis überhaupt Gottes zur Welt, ist die Frage nach dem Verhältnis des Geistes zur Sinnlichkeit, des Allgemeinen oder Abstrakten zum Wirklichen, der Gattung zu den Individuen; jene kann daher nicht ohne diese gelöst werden; denn Gott ist ja nichts anderes als der Inbegriff der Gattungsbegriffe. (...) Ich bemerke aber, dass diese Frage zu den wichtigsten und zugleich schwierigsten Fragen der menschlichen Erkenntnis und Philosophie gehört, wie schon daraus erhellt, dass die ganze Geschichte der Philosophie sich eigentlich nur um diese Frage dreht, dass der Streit der Stoiker und Epikureer, der Platoniker und Aristoteliker, der Skeptiker und Dogmatiker in der alten Philosophie, der Nominalisten und Realisten in dem Mittelalter, der Idealisten und Realisten oder Empiristen in neuerer Zeit nur auf diese Frage hinausläuft. Sie ist aber eine der schwierigsten Fragen nicht nur deswegen, weil die Philosophen, namentlich die neuesten, durch den willkürlichsten Gebrauch der Worte eine unendliche Konfusion in diese Materie gebracht haben, sondern auch, weil die Natur der Sprache, die Natur des Denkens selbst, welches sich ja gar nicht von der Sprache abtrennen lässt, uns gefangennimmt und vexiert, indem jedes Wort ein allgemeines, daher vielen schon die Sprache allein, weil sich das einzelne nicht einmal aussprechen lasse, ein Beweis von der Nichtigkeit des einzelnen und Sinnlichen ist. Es hat endlich auf diese Frage einen wesentlichen Einfluss die Verschiedenheit der Menschen hinsichtlich ihres Geistes, ihrer Beschäftigung, ihrer Anlagen, ihres Temperaments selbst. Menschen, z. B. die sich mehr im Leben, als in der Studierstube, mehr in der Natur, als in Bibliotheken herumtreiben, Menschen, deren Beruf und Trieb sie an die Beobachtung, die Anschauung der wirklichen Wesen treibt, werden diese Frage stets im Sinne der Nominalisten entscheiden, welche dem Allgemeinen nur eine subjektive Existenz, eine Existenz in der Sprache, der Vorstellung des Menschen einräumen, Menschen von entgegengesetzten Beschäftigungen und Eigenschaften dagegen im entgegengesetzten Sinne, im Sinne der Realisten, welche dem Allgemeinen eine Existenz für sich selbst, eine Existenz unabhängig vom Denken und Sprechen des Menschen einräumen." (Feuerbach o.J.:71)
[2]) "Es wird sich darum die Wertbetrachtung unter dem Gesichtspunkte der Individualität stets im Gegensatz wissen zu den atomisierenden Bestrebungen der abstrakten Richtung. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge und das unablässige Ringen, den Gesichtspunkt der Wertindividualität und Werttotalität gegenüber einem jahrhundertelangen Verfahren der vorangegangenen Philosophie wieder zur Geltung zu bringen, gehört zu den wertvollsten und gewaltigsten Bestandteilen von Hegels Denkarbeit. Eine genauere Darstellung hätte zu zeigen, wie Hegels Stellung in der Geschichte der Kulturprobleme, insbesondere auch der Rechts- und Staatsphilosophie, ganz und gar auf seiner Polemik gegen die abstrakte Wertlogik beruht. Statt dieses Nachweises, der hier unter bleiben muss, soll zur Rechtfertigung unserer ganzen wertlogischen Betrachtungsart wenigstens andeutungsweise darauf hingewiesen werden, welche Klarheit über den geschichtlichen Gesamtverlauf der Wertprobleme durch unsere Unterscheidung der beiden Wertungsarten sich gewinnen lässt, und wie insbesondere die Berücksichtigung des Zusammenhanges zwischen abstraktem Wertschema und Atomismus einerseits, zwischen dem Gesichtspunkt der Wertindividualität und dem des Wertganzen andrerseits, es erst ermöglicht, die in der Geschichte des Wertens aufgetretenen verschiedenen Bedeutungen von ‘Individualismus’ und ‘Universalismus’ auseinanderzuhalten. Diesem Zwecke diene folgende schematische Übersicht: Man kann unterscheiden
1. einen Individualismus (1), der die Selbständigkeit des isolierten Individuums gegenüber allen (historischen wie socialen) Zusammenhängen, also gegenüber dem Wertganzen behauptet, gegenüber dem Wertallgemeinen dagegen eine das Individuum fast erdrückende Untergeordnetheit zulässt, mithin: Atomismus auf abstrakter Grundlage. Vertreter: Rationalismus der Aufklärung auf allen Gebieten und zu allen Zeiten (bei dem in der Tat mit der Empörung des Einzelnen gegen das Ganze die weitgehende Unterwerfung unter eine abstrakte Gesetzlichkeit fast stets Hand in Hand ging).
Wo dabei der Schwerpunkt auf die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Einzelnen gegenüber den abstrakten Werten gelegt wird, da wird dieser Individualismus geradezu zu einem Universalismus (1) hinsichtlich des Allgemeinen. Besonders typisch: Neuplatonismus, deutsche Mystik (Gegenüberstellung des Ewigen und des Historischen, zugleich individualistischer Gegensatz gegen den Gedanken der Gemeinschaft).
2. einen Individualismus (2), der die selbständige Bedeutung der Wertindividualität gegenüber allen bloß abstrakten Werten verficht, dagegen die Eingliederung in eine Werttotalität behauptet. Vertreter: Christentum (Wert der Einzelseele, daneben Idee der Gemeinschaft), moderne historische Weltanschauung /Äusserung auf einzelnen Gebieten: historische Rechtsschule, geschichtliche Nationalökonomie u. s. w.; deren gemeinsame Polemik gegen den abstrakten Rationalismus und ‘Atomismus’), ferner Philosophen wie Schleiermacher.
Wird dabei die Einordnung des Einzelnen in das Wertganze übermässig gesteigert, so wird dieser Individualismus geradezu zu einem Universalismus (2) hinsichtlich des Wertganzen. Besonders typisch: im Christentum z. B. Augustin, ferner Philosophen wie Plato (in der Staatslehre) und Hegel.
3. einen Individualismus (3), der nicht nur die Selbständigkeit des Einzelnen gegenüber den allgemeinen Werten behauptet, sondern auch gleichzeitig jede Einordnung in eine Werttotalität ablehnt. Vertreter: geniale Moral z. B. der Stürmer und Dränger, Herrenmoral der griechischen Sophisten und Nietzsches.
4. einen Universalismus (3), der die Individualitäten lediglich zum Mittel eines Ganzen herabdrückt, sie aber gleichzeitig nach atomistisch-rationalistischem Schema nur als gleichgültig nebeneinander gereihte Durchschnittsexemplare gewissen abstrakten Merkmalen und Erfordernissen unterworfen wissen will. Vertreter: Sozialismus, besser Kollektivismus genannt." (Lask 1914a:15ff)
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