Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Hegel und die Kontradiktion

Als Haupteinwand gegen Hegels Dialektik wird gewöhnlich vorgetragen, dass dieselbe gegen die Regeln der herkömmlichen Logik verstoße. Popper macht geltend, dass ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Kontradiktionsverbot der formalen Logik dazu führe, alles Beliebige aus derartig kontradiktorischen Prämissen ableitbar werden zu lassen. Die vorausgesetzte Theorie sei damit gegen jegliche Widerlegung geschützt und damit von einem besonders gefährlichen Dogmatismus umgeben.

„Der Dogmatismus einer Lehre kann darin bestehen, (‘ungeschütztes Dogma’) daß Sätze ohne hinreichende Begründung und als wahr behauptet werden. (...) Aber es gibt auch eine Form des Dogmatismus (‘geschütztes Dogma’), deren dogmatischer Charakter viel stärker ausgeprägt ist: Dogmen können durch Dogmen in einer Weise gesichert werden, daß sie unter allen Umständen unberührbar bleiben müssen.
Einen solchen qualifizierten Schutz bieten zum Beispiel Hegels Dialektik. (...) Hegel versucht gar nicht, Kants Nachweis zu widerlegen, sondern er errichtet seine Dialektik unmittelbar auf dem Begriff des Widerspruchs als einem notwendigen und eminent produktiven Faktor allen Denkens. Durch diesen Schachzug verliert nicht nur der Angriff Kants, sondern jeder denkbare Einwand seine Stütze: Er wird gar nicht abgewehrt, denn er kann das System gar nicht treffen (er trifft immer nur seine eigene Antithese). Jeder denkbare Einwand gegen das System könnte ja nur darin bestehen, dessen innere Widersprüche nachzuweisen. Aber ein solcher Nachweis bedeutet für das dialektische System keine Erschütterung, sondern eher eine Festigung, eine Bestätigung.“
(Popper 1994b:295f)

Bereits von Sombart (1924a) wurde eingewandt, Hegels Dialektik verwechsle Kontradiktion mit dem konträrem Widerspruch.

Poppers Rede von Immunisierungsstrategie als einem doppelt verschanzten Dogmatismus setzt seine selbstauferlegte Beschränkung auf immanente Kritik voraus. So wie jede besondere metaphysische und erkenntnistheoretische Position den Spielraum zulässiger Kritik insofern einschränkt, indem sie notwendigerweise bestimmte Argumente als illegitim kennzeichnet, so notwendigerweise unbeachtlich sind derlei standpunktbedingte Argumente dem übergreifenden Standpunkt der transzendenten Kritik. Demnach lässt sich nur eine immanente Kritik von Immunisierungsstrategien beeindrucken. Während Hegel selbst nur transzendente Kritik für effektiv hält, zeigt sich Popper fixiert auf die Methode der immanenten Kritik, und zwar der Art, die prinzipiell durch Aufweis einer Kontradiktion zum Ziel gelangt.

Hegels Dialektik ist jedoch mitnichten eine Auflehnung gegen das Korsett rationalen Denkens, das eine in ihren Regeln fixierte Sprache immer darstellt. Sie ist vielmehr angesiedelt in dem systematischen Entwurf eines Philosophieren des Geistes, das zwischen endlichem Denken und einem Denken des Unendlichen zu vermitteln sucht. Es zeugt daher von einer völligen Verkennung der Problemlage, das Verhältnis der Dialektik zur formalen Logik als das der logischen Kontradiktion zu bestimmen. Dialektik im weitesten Sinne ist: geltend zu machen, dass die menschliche Sprache mit ihrer dialogischen Art und Weise der Logik von Begriffen eine andere Form des Argumentierens erlaubt als die Maschinenlogik der Logistik bzw. symbolischen Logik, wo es nur nach dem Binär-Prinzip „entweder wahr oder falsch“ geht. Hegels Polemik gegen die Logik des Verstandes ist darauf gerichtet, die Beschränktheiten derselben gegenüber der spekulativen Methode der Vernunft aufzuweisen (Adolphi 1989a:70f). Sie darf also nicht schlichtweg als Zurückweisung der Prinzipien der formalen Logik gebucht, sondern sollte als ein Kritikversuch derselben gewertet werden. Wie etwa Bartley (1987a:147) gezeigt hat, ist ein solcher Versuch durchführbar, trifft jedoch auf gewisse Schwierigkeiten, die man aber ggf. überwinden kann. Unbeachtlich der historischen Motive Hegels ist die eröffnete Problemstellung an sich nicht von vornherein abzuweisen und evtl. sogar fruchtbar.

Im Gegensatz zur Kontradiktion, die laut Popper zur Elimination des Falschen zwingt, ist das Prinzip der dialektischen Negation das der Aufhebung. Es ist nicht nur toleranter und menschlicher, sondern, auf den Erkenntnisprozess angewandt, auch von höherer Rationalität. Die abstrakte Negation ruft: „Logischer Fehler!“, zieht weiter und lässt achselzuckend den toten Leichnam einer Theorie zurück. Die bestimmte Negation geht nur weiter, wenn sie einen Ersatzkandidaten gefunden hat, der besser ist. Popper hat letzteres grundsätzlich auch eingesehen - aber anscheinend nur widerstrebend. Und immer wieder sind Stellen zu finden, wo er einfach abstrakt negiert und es damit bewenden lässt (z.B. Marxismus, Psychoanalyse, Theologie).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dialektik von Hegel vor allem als eine Methode der Exposition eingesetzt wird. Wenn eine gegenwärtig gegebene Totalität in seine Momente auseinandergelegt wird, dann kann in der Genesis dieser Totalität das Werden derselben in der Wechselwirkung dieser zuvor bestimmten Momente rekonstruiert werden. Es ist somit völlig ausgeschlossen, die hegelsche Dialektik als ein Beweisverfahren im Sinne der deduktiven Logik zu verstehen (es sei denn, man setzt die gesamte Totalität als eine Menge wahrer Prämissen voraus). Denn der Sprung von den einzelnen Momenten zur Totalität würde eine gültige induktive oder emanatistische Logik voraussetzen (wobei Hegel vielleicht im Gegensatz zu Marx von der Annahme ausgegangen sein mag, ihm sei die Präsentation einer derartigen philosophischen Logik gelungen).

Dialektik und formale Logik sind demnach nichtsdestoweniger alternative Herangehensweisen, ein theoretisches Problem zu bearbeiten und darzustellen. Aber solche, die man im Wettbewerb beide pflegen sollte. Aber auch keine, die unverbunden nebeneinander stehen müssten.

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