Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

12.02.2007

Radikaler Zweifel - eine Sackgasse?

Wenn FP die Annahmen, wovon er jeweils ausgeht, als vorläufig unproble­ma­tisch dahingestellt sein lässt, so schließt er für Habermas damit die Radikalität des Zweifelns aus.

Hier kann man in der Tat mit Hegel weiterfragen, ob mit dem Vorsatz des radikalen Zwei­felns nicht auch schon der Vorsatz des Zweifelns selbst, also die sog. cartesianische Metho­de bezweifelt werden müsse. Es scheint dann allerdings, dass wir damit nicht zu ei­nem voraussetzungslosen Anfang, sondern zu überhaupt keinem Anfang gelangen, vielmehr der Zweifel ohne einen beträchtlichen Schuss Dogmatismus nie zu seinem Ziel, nämlich einem Anfang gelangen könne.

Schon Hume (Kulenkampf 1981a:437) hatte gegenüber Descartes eingewandt, dass der radikale Zweifel ) unmöglich durchzuführen sei, so dass nach „Durchführung" des radikalen Zweifels der hübscheste Dogmatismus Platz greifen könne. Auch Poppers zahlreiche Anrufungen der Mu­se der Kritik haben allenthalben doch erstaunlich wenig Opfer unter seinen bevorzugten Grund­positionen gefordert. So hat es dem Fallibilisten Popper wenig Herzensmüh gekostet, ins­be­sondere gesellschaftspolitisch dem beschaulichsten Dogmatismus zu frönen. Ein kri­ti­sches Prinzip ward erfunden - was aber noch keinen Philosophen jemals daran gehindert hat, ein eben solches zu seinen persönlichen dogmatischen Zwecken auszubeuten.

Der Fehler liegt dar­in, dass das Prinzip der kritischen Prüfung zu schnell aufgegeben wird. So lässt Popper (1994b) als völlig befriedigend nur immanente Kritik zu. Außerdem darf FP eine RM-Philosophie nicht schon einfach dadurch für widerlegt halten, dass FP RM als letztlich undurchführbar nachweist (durch das Argument des Münch­hausen-Trilemma). Durch dieses grundsätzliche Argument ist man nicht schon der Kritik der Einzelthesen der jeweiligen Philosophie enthoben - denn FP darf sich gerade selbst nicht ohne Selbstwidersprüche auf die RM stützen, um mit der Wi­der­legung der Grundposition auch schon alle abgeleiteten Thesen als widerlegt zu bezeichnen ).

Also muss doch wohl der Fehler in der von Habermas geforderten Radikalität liegen? Dieses Pro­blem des Anfangs , von Hegel selbst schon mehrfach hin- und hergewälzt, stellt sich aber sowohl dem linear verfahrenden Fundamentalismus wie auch der meist zirkulär auf­tre­ten­den kohärenztheoretischen Variante der Rechtfertigungsstrategie. Freilich könnte eine Kohärenztheorie auch fallibilistisch gedeutet werden, mit der kritischen Prüfung als Vehikel des Fort­schreitens. Hegel verglich das didaktische Problem, wie und wo man zu spekulieren be­gin­ne, mit dem Problem des Schwimmenlernens auf dem Trockenen. Das Problem weist da­mit Analogie auf zum hermeneutischen Zirkel. Dass es Leute gibt, die schwimmen bzw. spre­chen können, darf als Hinweis gewertet werden, dass praktisch dieses Rätsel irgendwie lösbar sein muss, ebenso wie das berühmte Problem, wieso ein Läufer schneller sei als eine Schild­krö­te. Das Problem des Schwimmenlernens besteht hauptsächlich darin, die Furcht un­ter­zu­ge­hen bzw. die Angst vor dem Wasser zu überwinden. Die Lösung besteht also im Sprung ins Was­ser, und zwar dass dieser unter solchen Bedingungen erfolge, dass der Handlungsvollzug nicht durch plötzliche Einwirkung von außen sein abruptes Ende finde. Wo man ins Wasser springt, ist vergleichsweise belanglos (die Stelle muss nur entsprechend tief genug sein). Wichtig ist, dass man sich für eine gewisse Dauer über Wasser hält - ein strömungstechnisch keineswegs trivi­ales Problem. Nun ist zwar wenig darüber bekannt, ob Hegel ein guter Schwimmer war, obzwar er an den Gestanden des Neckar ) aufgewachsen sein soll. Dass Hegel sich aber trotz solch möglicher Einsichten mit der Frage des Anfangens weiterhin herumgeplagt hatte, deutet an, dass er sich von dem Rettungsring der Rechtfertigungsstrategie letzten Endes doch nicht los­zureißen vermochte.

4 Kommentare:

meffo hat gesagt…

"Descartes was perhaps the first to say that everything depends upon the security of our starting-point." (Popper 1973a:35)
Von der universalen Skepsis führt kein Weg zurück. Dies ist, so verstehe ich es, Kants Ansatzpunkt, und es ist schon bei Spinoza da, wenn er Descartes' Zweifel verwirft, indem er sagt: 'Wer weiß, weiß, dass er weiß.' Anders gesagt: wenn einer zweifelt, ob er sieht, was er sieht; hört, was er hört; oder ob er richtig addiert hat, so gibt es keinen radikal anderen Weg, seinen Zweifel zu bestätigen oder zu beseitigen: man kann nur nochmals schauen, nochmals hören, nochmals rechnen oder einen andere bitten, dies zu tun." (Rickman 1974a:110)

meffo hat gesagt…

"Die Wirklichkeit der Alltagswelt wird als Wirklichkeit hingenommen. Über ihre einfache Präsenz hinaus bedarf sie keiner zusätzlichen Verifizierung. Sie ist einfach da - als selbstverständliche, zwingende Faktizität. Ich weiß, dass sie wirklich ist. Obgleich ich in der Lage bin, ihre Wirklichkeit auch in Frage zu stellen, muss ich solche Zweifel doch abwehren, um in meiner Routinewelt existieren zu können. Diese Ausschaltung des Zweifels ist so zweifelsfrei, dass ich, wenn ich den Zweifel einmal brauche - bei theoretischen oder religiösen Fragen zum Beispiel, eine echte Grenze überschreiten muss. Die Alltagswelt behauptet sich von selbst, und wenn ich ihre Selbstbehauptung anfechten will, muss ich mir dazu einen Stoß versetzen. Die Verwandlung der natürlichen Einstellung in die theoretische des Philosophen oder Wissenschaftlers ist ein Beweis dafür." (Berger, Luckmann 1980a:26)

meffo hat gesagt…

"Wenn der Wilde aufhört, an seinen hölzernen Gott zu glauben, heißt das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass Gott nicht aus Holz ist." (Tolstoj, zit. nach Lüke 1997a)

meffo hat gesagt…

Methodischer Zweifel