Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

13.01.2007

Kritik an dogmatischen Verfahren in der ökonomischen Wissenschaft

Modellexogene Annahmen und Hilfsannahmen, von Ökonomen bei der Modellbildung oft als unprüfbare Voraussetzungen oder „Dogmen" (Schumpeter 1965a:38) genommen, werden nicht selten dazu noch zu einer ursprünglichen Erkenntnisquelle (etwa von apriorischer Evidenz) erhoben. Wer Klassiker dogmengeschichtlich betrachtet, erblickt notwendiger Weise in ihnen lediglich eine Sammlung von Dogmen.

Leicht werden aus zweckmäßigen Modellannahmen unter der Hand ontologische Behauptungen und aus einem zuerst bloß instrumentell eingesetzten Rationalismus ein faustdicker Empirismus, oder besser gesagt: Positivismus. Denn aus sprachlich oder logisch zweckmäßigen Festlegungen werden urplötzlich ontologische Schlussfolgerungen gezogen. Eine derartige Ontologisierung wird meist durch die stillschweigende Annahme der an der Debatte beteiligten unterstützt, das jeweils vorliegende Modell sei das einzige, welches ein bestimmtes Gebiet der Realität mathematisch wiederzugeben in der Lage sei (Altschul, Biser 1948a).

Ganz anderes ist aber im Sinne empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnis nach Albert (1954a) angebracht. Man soll die vorliegenden Erkenntnisse der Anthropologie (sprich: Psychologie, Soziologie, ...) gebrauchen und damit die Menschenbilder (= Verhaltensannahmen bezüglich der Akteure) kritisieren, die bei der Modellbildung jeweils unterstellt werden.

Als Gegenargument wurde bezeichnender Weise vorgebracht: "Kein Ökonom hält sich an Poppers Falsifikationismus!" (Müller-Goddefroy 1985a). Wenn die Ökonomen methodologische Kritik nicht beachtteen, so liege das weniger an den Ökonomen, sondern an der Methodologie, die die wissenschaftliche Praxis nicht so nehme, wie sie tatsächlich ist.

Nicht immer wissen auch bekannte Ökonomen aber so genau, was sie tun, insbesondere bei der bei ihnen so beliebten Modellmethode. Geradezu berüchtigt geworden ist aber Friedmans (1953a) "F-Twist"; so wurde sein Schwanken bezeichnet zwischen empirischer und konventionalistischer Auffassung der Annahmen in der ökonomischen Theorie (Musgrave 1981a), der in dem Ausspruch gipfelte, „the more significant the theory, the more unrealistic the assumption" (Friedman 1953a:14). Wir wollen uns hier ersparen, näher zu ergründen, was Friedman damit wohl gemeint haben könnte. Dies haben bereits viele andere versucht (Arni 1989a). Albert (1976a:155f, Anm.98) erblickte hier in der Mehrdeutigkeit von „Annahme" den Ursprung der Konfusion.

Beim ökonomischen Mainstream dominiert eine grundsätzliche Einstellung, wonach die Marktrationalität der Vernunft gleichzusetzen sei; man kann hier in gewisser Weise von "Marktfundamentalismus" sprechen.

Albert (1976a:87) sieht diese Frage vergleichsweise nüchtern: Auch der Preismechanismus des Marktes ist eben nur ein sozialer Mechanismus, dessen Funktionieren von seinem sozialen und kulturellen Umfeld abhängt. Es ist nur ein Wahrnehmungsfehler bestimmter ökonomischer Theorien, dass da, wo ihre ökonomische Perspektive (d.h. die traditionelle Perspektive ihrer Faches bzw. ihrer Fachdoktrin) aufhöre, auch tatsächlich die Grenzen der Erklärung wirtschaftlichen Handelns lägen.

Das Modell der neoklassischen Preistheorie, das bis heute vielen wirtschaftspolitischen Empfehlungen meist zugrunde gelegt wird, weil es innerhalb der Ökonomie als Maßstab effizienter Ressourcenallokation immer noch nicht außer Kurs gesetzt ist, ist grundsätzlich nicht von dieser unserer Welt, weil es die harten Bedingungen dieser einfach nicht zur Kenntnis nimmt (Ablauf in Zeit und Geschichte, Informationskosten, Transaktionskosten usw.).

„Auch die vielfach sich bahnbrechende Erkenntnis von der Irrealität der in so allgemeiner Form behaupteten Gleichgewichtstendenz hat den Glauben an die Optimalität dieses Zustandes naturgemäß nicht beseitigen können." (Albert 1954a:82)

Dies Modell ist schon deswegen vollkommen ungeeignet, einen Maßstab für reale Wirtschaftsprozesse abzugeben, weil es effizient per Definition ist, d.h. schon aufgrund der getroffenen Annahmen ist es logisch unmöglich, dass die Marktteilnehmer sich nicht auf das effiziente Gleichgewicht einstellen. Das heißt in dürren Worten, es ist willkürlich gewählt und vielleicht auf irgendeine Welt anwendbar, gewiss aber nicht auf diejenige, welche wir bislang hier auf Erden gewohnt sind.

Mit bestimmten Sprachen sind immer nur bestimmte Weltanschauungen formulierbar oder Theorien explizierbar (Ajdukiewicz 1934b). So hat die Theorie des ökonomischen Gleichgewichts im Zuge ihrer strikteren Formalisierung zusehends Definitionscharakter gewonnen und damit den einer formalen Sprache. Selbst diese letzte Anwendungsmöglichkeit stößt jedoch auf schwerwiegende Einwände: Sie ist weder eine logisch konsistente Sprache, da sie mit den Paradoxien der vollkommenen Voraussicht belastet ist (Morgenstern 1964a), noch taugt sie zur Beschreibung kausaler Prozesse, da sie den Zeitfaktor grundsätzlich unberücksichtigt lässt (Albert 1954a:60).

Das besagt aber, selbst Sprachen sind in einer gewissen Weise, d.h. indirekt, empirischer Kritik zugänglich. Allerdings ist eine Sprache wesentlich flexibler als eine in ihr formulierte bestimmte Theorie. Außerdem ist eine nicht präzise definierte Sprache in ihren semantischen Bezügen und im Hinblick auf ihre Grenzen zu anderssprachigen Termen weitaus offener.



Literatur:

Schumpeter 1965a: Joseph A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. 1, Göttingen 1965 (zuerst: 1952)

Altschul, Biser 1948a: Eugen Altschul, Erwin Biser, The Validity of Unique Mathematical Models in Science, Philosophy of Science, 15, 1948, pp. 11-24

Albert 1954a: Hans Albert, Ökonomische Ideologie und politische Theorie. Das ökonomische Argument in der ordnungspolitischen Debatte, Göttingen 1954

Albert 1954b: Hans Albert, Tautologisches und Ideologisches, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 90, 1954, S. 219

Arni 1989a: Jean-Louis Arni, Die Kontroverse um die Realitätsnähe der Annahmen in der Oekonomie, Grüsch 1989

Albert 1958a: Hans Albert, Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 114, 1958, S. 273ff

Albert 1959a: Hans Albert, Der logische Charakter der theoretischen Nationalökonomie, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 171, 1959

Albert 1976a: Hans Albert, Aufklärung und Steuerung, Aufsätze zur Sozialphilosophie und zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Hamburg 1976

Friedman 1953a: Milton Friedman, Essays in Positive Economics, Chicago 1953

Musgrave 1981a: Alan Musgrave, Unreal assumptions in Economic Theory: The F-twist untwisted, Kyklos, 34, 1981, pp.26-29, 377-387

Max Albert, 'Unrealistische Annahmen' und empirische Prüfung, Zeitschrift für Wirtschafts- u. Sozialwissenschaften, 116, 1996, S. 451-486

Arndt 1971a: Hans Werner Arndt, Methodo scientifica pertractatum. Mos geometricus und Kalkülbegriff in der philosophischen Theoriebildung des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin New York 1971

Ajdukiewicz 1934b: Kasimir Ajdukiewicz, Das Weltbild und die Begriffsapparatur, Erkenntnis, 4, 1934, S. 259-287

Morgenstern 1964a: Oskar Morgenstern, Vollkommene Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht, in: Albert 1964a, S. 251-271

Albert 1964a: Hans Albert, (Hrg.), Theorie und Realität, Tübingen 1. Aufl. 1964

Müller-Goddefroi 1985a: H. Müller-Goddefroy, Wissenschaftslogik und Wissenschaftsprozeß. Zur Forderung nach Falsifizierbarkeit der Theorien der Nationalökonomie, Jahrbuch für Sozialwissenschaften, 36, 1985, S. 128-148

vgl.
Studienführer Hans Albert,
http://de.wikibooks.org/wiki/Studienf%C3%BChrer_Hans_Albert:_Dogmatismus_der_National%C3%B6konomie

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