Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

05.07.2007

Poppers Anti-Essentialismus ist selber Essentialismus!

"Alle diese weitreichenden popperizistischen Konsequenzen (...) schlummerten für mehr als zwanzig Jahrhunderte 'verborgen und unentwickelt' in der We­sens­lehre des Aristoteles." (Popper 1980b:14)

"Obwohl der Popperizismus im Grunde seines Wesens antinaturalistisch ein­gestellt ist, lehnt er die Annahme, dass es in den Me­thoden der Naturwissen­schaften und der Sozialwissenschaften ein gemeinsames Element gibt, keines­wegs ab." (Popper 1987a:29)

„Ich habe versucht, die Bedeutung des Popperizismus als faszinierende gei­sti­ge Struktur aufzuzeigen. Ich habe versucht, seine oft subtile, so überzeugende und so trügerische Logik zu analysieren und nachzuweisen, dass sie an einer inhä­ren­ten und unaufhebbaren Schwäche leidet." (Popper 1987a:XIII)

In diesen Passagen bringt Popper eindeutig zum Ausdruck, dass er

  1. selber den Popperizismus es­sen­ti­a­listisch auf­fasse und dass
  2. für diesen gelte, was ansonsten für kein anderes ratio­na­les System von Aussa­gen gilt: Er kann nicht durch Kritik verbessert, hingegen definitiv widerlegt und (wie ein Krebsgeschwür!) aus der Wissenschaft entfernt werden.

Zu 1.):

Diese Auffassung möchte ich als den Anti-Essentialismus bei Popper an­se­hen:

Er sucht den Essentialismus zu bekämpfen, indem er den Essentialismus selbst als ein Wesen betrachtet, geradeso wie ein Essentialist es tun würde, also kurz gesagt:

eine Anwendung des Essentialismus auf sich selbst!

Dieser Anti-Essentialismus ist also genauso essentialistisch wie der attackierte Essenti­alis­mus selbst, wogegen er sich explizit richtet. Er unterscheidet sich nur in der Stoßrichtung,
d.h. wie sich ein Auto, das nach links fährt, sich von einem Auto unterscheidet, das nach rechts fährt.

Poppers Anti-Essentialismus reproduziert einfach den Essentialismus und bezeugt mit dieser begriffslogischen Karikatur (denn der Essentialismus wird von Popper hierbei eher versimpelt und überzeichnet) lediglich seine negative Fi­xierung auf sein philosophiegeschichtliches Feindbild.

Da andererseits Popper explizit den Nominalismus vertritt, fragt man sich, warum er in seiner Kritik an der essentialistischen Philosophie nicht so verfährt, wie der Nominalismus es nahe legt.

Zu 2.):

Hier behauptet Popper nicht nur eine definitive Widerlegbarkeit, sondern auch eine logische Unmöglichkeit, diese wesensgemäß "inhärierende" Kontradiktion asuzuräumen!

>>> Der Anti-Essentialist Popper beweist hiermit einen doppelt verschanzten anti-dogmatisch aufzäumten Dogmatismus!

3. Am Ende ist Popper (1979a) jedoch so frei, einzu­räu­men, dass er selbst einen „mo­di­fizierten" Essentialismus vertrete, da er schon im­mer die These der Gesetzmäßigkeit der Rea­lität verfechte.

Warum dieser ganze Kampf gegen Essentialismus?

Nichts als ein Streit um Worte?!

Der logische Positivismus hatte die Mode eingeführt, Philosophie als Streit um leere Worte bzw. als eine falsche Sprachverwendung zu betrachten.

Wo die Begriffsbildung versagt, wird der Begriff als leeres Wort gescholten.

Schuld ist jedoch nicht das Wort, sondern diejenigen, die es nicht zweckmäßig einzusetzen wissen.

Es herrscht Unklarheit über

  1. das Verhältnis von Metaphysik und Empirie (zur Frage der Existenz theoretischer Entitäten vgl. Feyerabend; Beispiel für Unklarheit Joan Robinson über "Wert" und "Nutzen" usw.);
  2. das Verhältnis Begriff zu Theorie: die theorietragende Funktion des Begriffs;
  3. seine analytische Zergliederung (Mannigfaltigkeit), zu unterscheiden, was bezogen auf die betreffende Problemstellung sachlich unterschieden werden muss;
  4. die Angemessenheit des Begriffs für die Zwecke der Kommunikation in einer Gemeinschaft (Definition, Terminologie, Taxonomie, Thesaurus).


Die Entwicklung der theoretischen Sprache steht immer in Wechselwirkung und erfolgt im Gleichklang mit der Entwicklung der mit ihr abgehandelten Problemstellungen.

1 Kommentar:

meffo hat gesagt…

Die Fruchtbarkeit eines Begriffs (als Beispiel wählt Ernst Cassirer, ECW 19, S. 172) den Atom-Begriff) muss für den Nominalismus ein Rätsel bleiben.

Denn für den Nominalisten ist der Begriff nichts weiter als eine Landkarte, welche die gegebenen Fakten verzeichnet.

Unerklärbar bleiben muss: Wie können durch denselben Begriff neue Tatsachen entdeckt werden?

Ein Begriff ist als Landkarte nicht nur Aufzeichnung oder Vermessung, sondern auch Kompass, der in unerforschtes Land führt.

Ernst Cassirer: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Hamburg 2004