Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

18.06.2007

Militarismus bei Hegel und Popper

Während Marx noch gegenüber Proudhon betont hatte, dass Propheten stärker geprüft werden müssen als andere Schriftsteller, so muss man in Bezug auf Popper sagen:

Kritische Rationalisten sollte man strengeren methodologischen Maßstäben unterwerfen als andere.

Doch zeigt sich gerade in Poppers Sozialphilosophie, dass sie schmählich ihre anderen Wissenschaftlern aufgestellten Maßstäbe verfehlt.

Diskrepanz deklarierte und praktizierte Methodologie, müsste Hans Albert diagnostizieren.

Gemäß Poppers kritischer Methode stellte man ein wissenschaftliche Problem möglichst deutlich auf, um es hernach möglichst produktiv mit dem Ziele des Erkenntnisfortschritts zu erörtern.
Vor allen Dingen ignorierte man nicht die Problemstellungen der Autoren, die man abhandelt, und macht man aus ihren Problemlösungen keine Karikaturen oder Popanze!

Popper hingegen liefert hier jedoch noch nicht einmal eine Polemik, sondern vielmehr eine Persiflage.
Denn im Gunde liefert sie genau das, was sie zu bekämpfen vorgibt, aber in einer flacheren und plumperen Fassung!


"Hegel, die Quelle des Historizismus unserer Zeit, ..." (S. 35)

Hingegen ist nach Hegels Konzeption gar keine philosophische Geschichtsprophetie überhaupt denkbar:

"Schon bei Hegel hat der absolute Geist der Geschichte an der Masse sein Material und seinen entsprechenden Ausdruck erst in der Philosophie. Der Philosoph erscheint indessen nur als das Organ, in dem sich der absolute Geist, der die Geschichte macht, nach Ablauf der Bewegung nachträglich zum Bewußtsein kömmt. Auf dieses nachträgliche Bewußtsein des Philosophen reduziert sich sein Anteil an der Geschichte, denn die wirkliche Bewegung vollbringt der absolute Geist unbewußt. Der Philosoph kommt also post festum."

(Hl. Familie, MEW 2:90)

"um den Leser von allem Anfang an zu entmutigen, Hegels schwulstiges und mystifizierendes Kauderwelsch ernst zu nehmen, ..." (S. 36)

Was man nicht versteht, kann man nicht ernstlich kritisieren, sondern davon muss man schweigen.
Es ist unerfindlich, wie man eine Behauptung widerlegen kann, die man nicht einmal versteht.
Oder verfügt Popper etwa über einen exklusiv persönlichen authentischen Zugangs zu Hegels Dialektik?!

"Trotzdem ist es unwahrscheinlich, daß Hegel ohne Unterstützung von seiten des preußischen Staates je zu der einflußreichen Gestalt der deutschen Philosophie hätte emporsteigen können. Wie die Dinge lagen, wurde er der erste offizielle Philosoph des Preußentums, ernannt in einer Periode feudaler 'Restauration' nach den napoleonischen Kriegen." (37)

Popper hat sein Werk durch Hayeks Vermittlung erst veröffentlichen können; denn es wurde vom ersten Verlag abgelehnt, vermutlich wegen seines unwissenschaftlichen Charakters. Da es jedoch zu Beginn des Kalten Krieges dem Geist der Zeit entsprach (zumindest für Freund Hayek), wurde es zu einem Bestseller gemacht und dient manchen Kreisen bis heute als ein Heiliges Buch, das keiner Revision mehr bedarf oder fähig ist.

Wer so im Glashaus sitzt, sollte mit Karrierismus-Vorwürfen gegen frühere Staatsphilosophen zumindest vorsichtiger sein!

"Die Hegelsche Philosophie ist die Renaissance der Ideologie der Horde. Die historische Bedeutung Hegels wird aus dem Umstand klar, daß er gleichsam das 'Bindeglied' ('missing link') ist zwischen Platon und den modernen Formen des totalitären Gedankenguts." (39)


"Die Stellen zeigen, daß der radikale Kollektivismus Hegels ebensosehr von Platon wie von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. abhängt, der in der kritischen Periode während und nach der Französischen Revolution König von Preußen war. Ihre Lehre ist, daß der Staat alles ist und das Individuum nichts; denn es verdankt dem Staat alles, seine physische sowie auch seine geistige Existenz." (40)

vgl. indes zu Hegels Individualismus Haering;
vgl. besser und gründlicher schon als Popper Marxens Kritik an Hegels Rechtsphilosophie


Gehässigkeiten Schopenhauers übernommen (41)

Überhaupt bevorzugt Popper statt philosophische Problem aufzustellen und zu untersuchen den politischen Gegner persönlich zu verunglimpfen und sucht auch sonst allerhand persönliche Anekdoten über Philosophen zum Amüsement des Lesers aufzutischen: Personalisierung anstelle Problemerörterung.

vgl. dazu Kaufmann, (Hegel: Perspektive des Kammerdieners)

S. 75, (a) - (f):

Liste totalitärer Ideen, deren Verbreitung Popper Hegel zurechnet


[Sklaverei entsprach noch der römischen Rechtsauffassung:

"Durch das Völkerrecht verbreitete sich die Sklaverei" (Corpus iuris civilis, zit. in MEW 2,30)]

Popper (Bd.2, 12. Hegel und der neue Mythos von der Horde, S. 92):

"ich sympathisiere völlig mit Kolnais Bemerkung:

'Vielleicht ist es kein Paradox, ... wenn wir uns in unserer Verzweiflung über die deutsche Kultur mit der Überlegung trösten, daß es schließlich neben dem Deutschland der preußischen Denker noch ein anderes Deutschland gibt, das der preußischen Generale."

A. Kolnai, The War against the West, 1938
"Ich habe Kolnais Buch sehr viel zu verdanken; dieses Buch ermöglichte es mir, im restlichen Teil dieses Kapitels eine beträchtliche Zahl von Autoren zu zitieren, die mir sonst unzugänglich gewesen wären." (S. 381)

Nicht zu übersehen, dass es sich beim selbigen Buch Poppers ausdrücklich um seinen eigenen "Kriegsbeitrag" handelt, im "Krieg der Ideen"!

Man beachte zudem die ausdrückliche Bezugnahme schon im Titel auf das Freund/Feind-Denkschema!

vgl. die Kritik Alberts am dogmatischen Denken, politischer Theologie – Manichäismus und Alternativradikalismus;

letzterer allerdings entspringt eher den Kantschen analytischen Dualismen als Hegelscher Dialektik, wo ein Widerspruch stets auch das Gegenteil als aufgehoben enthält – Ironie, aber wahr!


Grundsätzlich ist es verkehrt, wenn Popper wie Hegel gesellschaftliche Wirklichkeiten wie Totalitarismus aus der Geschichte philosophischer Ideen abzuleiten unternimmt:

"Die 'Idee' blamierte sich immer, soweit sie von dem 'Interesse' unterschieden war."

(Heilige Familie, MEW 2:85)

4 Kommentare:

meffo hat gesagt…

Poppers Kant und der Neuplatonismus

Es fehlte noch der Beginn des o.g. Zitats (S. 92):
"Es gibt ein anderes Deutschland, das der gewöhnlichen Leute, deren Gehirne nicht durch ein zerstörendes System höherer Erziehung vergiftet worden sind. Aber dieses 'andere' Deutschland ist sicher nicht das seiner Denker. Es ist wahr – Deutschland hatte auch einige 'andere' Denker (unter ihnen vor allem Kant)."

Kant wird somit zum 1. Kritischen Rationalisten hochstilisiert.
Dass er in anderer Weise wie die anderen Philosophen des deutschen Idealismus seine Philosophie absolut zu begründen versuchte, was man wie alle anderen auch fallibilistisch reinterpretieren kann – davon keine Notiz.

Wie Delekat, S. 94 überzeugend nachweist, tritt bei Kant an die Stelle der schöpferischen Anschauung Gottes (die theologische Deduktion der principia mathematica Newtons) die produktive menschliche Einbildungskraft; d.h. es wird aus der theologischen Voraussetzung eine anthropologische Voraussetzung der Transzendentalphilosophie.
Die Erkenntnistheorie Kants suchte nicht weniger als diejenige Hegels theologische Probleme mitzulösen, die aus der neuplatonischen Tradition mitübernommen waren.
Es bleibt daher Poppers großes und bestgehütetes Geheimnis, warum Kant zu den "Guten", hingegen Hegel zu den "Bösen" gehört.

Friedrich Delekat, Immanuel Kant. Historisch-Kritische Interpretation der Hauptschriften, Quelle & Meyer Heidelberg 1963

meffo hat gesagt…

Ihr Vorurteil aber müssten sie fahren lassen, wenigstens s lange, als sie mit dieser Untersuchung zubrächten; denn ihr vorgefasste Meinung ist Ursache, dass sie sich betrügen. Bevor sie noch die Historie zu Rate ziehen, stehen sie schon in der Einbildung, dass gewisse Monate und gewisse Zahlen zu wichtigen Begebenheiten bequemer sind als andere. Wenn sie also die Geschichte untersuchen, so geschieht es nicht sowohl deswegen, damit sie sähen, ob ihre Einbildung wahr sei; und man kann nicht beschreiben, wie das die Sinne und den Verstand betrügt. Es folgt wirklich daraus, dass man die Sachen, die man gerne finden möchte, leichter bemerkt als andere und die Beschaffenheit der Begebenheiten nach seiner vorgefassten Meinung entweder vergrößert oder vermindert.

Pierre Bayle, Verschiedene Gedanken über einen Kometen, Leipzig1975, S. 77 f.

Bei Popper tritt hinzu, dass er sich Zitate aus dem Kontext heraus zusammenklaubt und sie ohne Rücksicht auf diesen nach seinen vorgefassten Zwecken interpretiert!

Man sieht daraus, dass die Gelehrten zuweilen eine ebenso ungewisse Bürgschaft leisten wie der gemeine Mann, und dass eine durch ihr Ansehen bestärkte Sage deswegen doch noch falsch sein kann. Durch den Namen und den Titel eines Gelehrten muss man sich daher nicht blenden lassen. Was wissen wir, ob jener große Doktor, der einen gewissen Lehrsatz für wahr ausgibt, mehr Umstände gebraucht hat, sich davon zu überzeugen, als ein Ungelehrter, der denselben angenommen hat? Hat der Doktor dieses letztere getan, so gilt seine Stimme nicht mehr als des Ungelehrten seine. Denn das Zeugnis eines Mannes hat um so viel mehr oder weniger Gültigkeit, je größer oder kleiner die Gewissheit ist, welche er sich durch völlige oder schlechte Nachricht einer Sache zuwege gebracht.
(Bayle, S. 116)

Ich bleibe dabei: Man muss die Stimmen nicht zählen, man muss sie abwägen. Diejenige Art, eine Streitigkeit durch die meisten Stimmen auszumachen, ist so vieler Unbilligkeit unterworfen, dass nur die Unmöglichkeit, anders zu verfahren, sie in gewissen Fällen für billig erklären kann. Sie sehen mehr als zu wohl, wie diese Unmöglichkeit entstehen kann. Niemand in der Welt besitzt das Vermögen, richtig zu bestimmen, um wieviel eine Stimme die andere überwiegt. Man hat auch das Recht und die nötige Einsicht nicht, die Meinung einer Gesellschaft jede nach ihrem Wert zu beurteilen. Und so ist es denn notwendig, dass man in gewissen Fällen eine Stimme so viel gelten lassen muss wie die andere. Da aber die philosophischen Streitigkeiten von der Art nicht sind, so kann es uns kein Mensch verdenken, wenn wir den Beifall unzähliger leichtgläubiger und abergläubischer Leute für nichts rechnen und vielmehr die Gründe einer kleinen Anzahl Philosophen gelten lassen.
(Bayle, S. 117)

meffo hat gesagt…

During the twenties and thirties, Kolnai, born a Jew who converted to Catholicism under the influence of G.K. Chesterton, read extensively in the German language fascist and national socialist literature. The book compiles and critiques the anti-Enlightenment works of Nazi writers themselves. Kolnai's study was the first comprehensive survey in English of Nazi ideology as a counter-revolution against, what German thinkers saw as, the materialistic, rootless civilizations dominated by comfort-addicted, money-and-security-centered, liberal bourgeois and rootless cosmopolitan Jews; the antithesis of the heroic model of more vital civilizations, prepared to risk their lives, to die for ostensibly "higher" ideals. It is a devastating critique that argues that Nazi ideology is alien to the West and profoundly disturbing and dangerous.

Kolnai saw the war against the West as, in essence, a war of paganism against Christian civilization. In citations from Hitler, Goebbels, and others, Kolnai sought to expose what he saw as "the obsessive Nazi effort to replace Christianity with a crude and barbaric form of pagan religion, to twist the cross of Christ into a swastika."

http://en.wikipedia.org/wiki/The_War_Against_the_West

meffo hat gesagt…

Identifies the two outstanding figures who have contributed to the rise of National Socialism as a creed, as Friedrich Nietzsche ("perhaps the greatest Satanist of all times") and Stefan George.

Author's Foreword,
http://en.wikipedia.org/wiki/The_War_Against_the_West

Nietzsche und Stefan George hat Popper wohl übersehen
(passen schlecht in seinen Stammbaum Platon-Aristoteles-Hegel-Marx-Hitler!)