Poppers Bestseller wird von manchen Kreisen als ein Heiliges Buch behandelt, das nicht wissenschaftlich kritisiert und dadurch in seinen Ergebnissen fortentwickelt wird. Die Rolle der Kritik wurde vielmehr durch politische Korrektheit ersetzt. Das Zitierkartell Popper-Hayek-Albert-Topitsch-Radnitzky und linientreue Schüler verwischt Unterschiede der persönlich differierenden Lesarten des Kritischen Rationalismus/Neoliberalismus im Stile offizieller Verlautbarungen des damaligen ZKs der KPdSU: Kursänderungen, Revisionen und parteiinterne Differenzen werden kosmetisch wegretuschiert; der Kurs bleibt immer richtig und derselbe! (nur Feyerabend, Spinner, Bartley, Lakatos, Agassi, Wettersten usw. weichen hiervon ab).
Dass Poppers Methodologie und seine Sozialphilosophie eine Einheit bildeten, ist ein unbestätigtes Gerücht. Inwieweit beide kongruente oder inkongruente Züge enthielten, entzieht sich der Gesamtbeurteilung ähnlich wie die Frage, ob ein Glas Wasser halb voll oder halb leer sei. Indes kann man eindeutig die Frage beurteilen, ob die von Popper praktizierte Methodologie seiner deklarierten Methodologie entspreche. Sein geschichtsphilosophisches Traktat deklariert als Methode Fallibilismus und Theorienpluralismus; de facto praktiziert Popper gerade die Methode, die er Platon und Hegel und schließlich auch Marx vorwirft.
Zur intellektuellen Redlichkeit gehören die Mittel, deren Wahl durch den politischen Zweck (Kriegsbeitrag, Krieg der Ideen, psychologische Kriegführung, Antikommunismus, Mont Pélerin Society) geheiligt werden. Die Ergebnisse Poppers geschichtsphilosophischer Spekulation stellen eine moralische Kritik einer angeblichen Beziehung zwischen den Ideen Platons, Aristoteles, Hegels und Marx und dem Entstehen und Wirken des modernen Totalitarismus dar. Diese kommen indes nur dadurch zustande, dass die Gültigkeit dieser Ergebnisse bereits durch das von ihm gewählte Darstellungs-Genre unterstellt sind (vgl. Russell). Poppers Rationalitätsbegriff ist leer und besitzt daher überhaupt keine kritische Trennschärfe (vgl. Feyerabends Kritik an "des Kaisers neuen Kleidern"). So irrtumsunterworfen sich Popper methodologisch gibt, so absolut überzeugt verkündet er im Brustton seine persönlichen politischen Positionen (vgl. Dykes). Auf diese Weise ahmt er in der beabsichtigten politischen Wirkung sein charismatisches Führeridol Churchill nach, dessen geschichtsmächtige Siegermoral aufs Podest gehoben wird.
Die von Popper unterstellte Beziehung zwischen Ideen (und deren Frosch-Mäuse-Krieg) von Philosophen und der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist kein Deut anders oder besser als der Idealismus Platons oder Hegels (in Gegensatz zu Feuerbach oder Marx!). Nirgendwo führt Popper für seine Thesen eine empirische Basis als Beleg an im Sinne einer empirisch bewährten soziologischen Theorie. Es ist sogar fraglich, ob für Popper derartiges überhaupt existent ist, nachdem Hayek eine Soziologie als Wissenschaft explizit bestreitet!
Historizismus: Der Beweis, dass die Zukunft nicht vorausgesagt werden kann, setzt voraus, dass wir die Zukunft kennen, zumindest insofern, was ihren nicht voraussagbaren Charakter angeht. Der Beweis ist also kein 100%ig logischer, sondern basiert auf einer metaphysischen Hypothese (die man einer bestimmten Geschichtsphilosophie einordnen muss), die nicht jeder teilen muss bzw. nicht unbedingt verbindlicher für uns sein muss als irgendeine andere geschichtsphilosophische These.
Sofern Popper in den Chor derer einstimmt, die Hegel Akkommodation an den Staat Preußen vorwerfen, so darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch Popper gerade mit seinem Beststeller seine staatstragende Berufsrolle als Universitätslehrer für Philosophie erfüllt bzw. seine Qualifikation dafür öffentlich demonstriert hat. Muss ein Philosoph Berufsverbot erhalten, damit er als Kritiker glaubwürdig ist?! Der politische und theoretische Stellenwert der Vernunft bzw. Kritik hat Marx in seinen Manuskripten sehr viel deutlicher und dezidierter gekennzeichnet. Eine ausschließlich theoretisch existierende Vernunft, die auch in einer unvernünftigen Wirklichkeit nur das Vernünftige erkennen kann, kann nicht anders als die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verklären: Apologetik im Sinne eines politischen Konservativismus. Da auch Popper die Beweislast für eine politische Veränderung den Veränderern auferlegt (Alternativradikalismus Reform-Revolution im Sinne der sozialdemokratischen Revisionismusdebatte, vgl. Bernstein, Kautsky), bleibt völlig unklar, inwiefern er überhaupt Hegel aus staatstragendem Konservativismus einen Vorwurf machen kann.
Wenn Popper Hegels Dialektik als kontradiktorisch im Sinne der modernen Aussagenlogik expliziert, so vertritt er damit nicht nur eine Katastrophentheorie der Kontradiktion, sondern er verkennt überhaupt die hegelsche Problemstellung. Wenn Hegel die Grundlagen der formal-analytischen wie der Aussagenlogik in Frage stellt, so kommt es einer petitio principii gleich, dieser Kritik eine Exposition gemäß den Regeln der Aussagenlogik als Argument entgegenzusetzen. Popper setzt damit genau das voraus, was Hegel bestreitet. Popper hätte sich schon auf den Boden des Universalienstreits und der philosophischen Grundlagen der Logik bemühen müssen, um sich rational mit Hegel auseinanderzusetzen.
Poppers Logizismus (die Logik ist die Idee dessen, was wahr ist) stimmt in der Kernposition überein mit dem objektiven Idealismus Platons und Hegels. Daher auch bei Popper (in Nachfolge Kants) der "Primat der Theorie". Demgegenüber hat erst Feuerbach den Materialismus geltend gemacht; Marx hat sodann, der Vorherrschaft der Universalien entgegengesetzt, die historisch-singulär existierende, gegenständliche Praxis eingeführt. Universalien existieren in der Gesellschaft als die Gesellschaftsformationen definierende Institutionen (Wert, Geld und Kapital als Formen gesellschaftlicher Beziehungen). Diesem, dem Alltagsbewusstsein natürlichen (verdinglichten) Wertplatonismen steht die historisch-individuelle gegenstandsverändernde Praxis der konkreten menschlichen Individuen gegenüber. Gegenüber den verdinglichten Formen des gesellschaftlich Bewusstseins bilden die praktisch handelnden Individuen die "wahre Existenz" des gesellschaftlichen Seins.