Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

11.08.2007

Dialektik für Popper

4 Kommentare:

meffo hat gesagt…

zu (9) "marxscher Ökonomismus":

Während Marx grundsätzlich mit dem Standpunkt des methodologischen Individualismus die An­nah­me teilt, dass die Geschichte durch die Menschen gemacht wird (MEW 21:296), lässt sich für ihn diese doch nicht ausschließlich auf allgemeinste Gesetze des Individualverhaltens zu­rück­füh­ren. Somit besagt Marxens ökonomischer Determinismus nichts anderes als dass es Ge­setze gibt, die außerökono­mi­sche Entwicklungen unter Bezugnahme auf ökonomische Faktoren erklären (Addis 1968a:333), wo­bei die Produktionsweise als geschlossen erklärbares System ge­nommen wird.

Marxens Darstellung legt ähnlich wie Poppers „Situationslogik" auf die Objek­ti­vität der Situation den größten Nachdruck:

"Es gibt aber Verhältnisse, welche sowohl die Handlungen der Privatleute als der einzelnen Behörden bestimmen und so unabhängig von ihnen sind als die Me­thode des Atemholens. Stellt man sich von vornherein auf diesen sachlichen Standpunkt, so wird man weder den guten oder den bösen Willen weder auf der einen noch auf der anderen Seite voraussetzen, sondern Verhältnisse wir­ken sehen, wo auf den ersten Blick nur Personen zu wirken schei­nen." (MEW 1:188)

Es ist also die Annahme, dass die Systemelemente der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Makro-Variablen gebildet werden, die sich als System gegenüber dem Individualverhalten ab­schlie­ßen lassen (Addis 1968a:328). Daher kommen für die politische Ökonomie dreierlei Arten von Gesetzen in Frage (Lange 1963a:61):

1. Gesetze, die technische Zusammenhänge und Materialbilanzen betreffen,

2. Gesetze über individuelles Verhalten und

3. Gesetze über das Zusammenwirken der Handlungen einer Vielzahl von Indi­vi­duen.

Wenn ein nach Gesetzen verlaufender Makro-Prozess auf der Ebene der Produktionsverhält­nisse behauptet wird, schließt dies keineswegs aus, dass er prinzipiell in Merkmalen und Relati­o­nen von Individuen formulierbar ist.

Wenn auch vielleicht "holistische" Begriffe im Grunde für die Wissenschafts­sprache überflüssig erscheinen mögen, ist doch festzuhalten, dass sie als Be­standteile von Ideologien zum Objektbereich der Sozialwissenschaften und damit in ihre Ob­jekt­sprache Eingang finden. Eine dialektische Gesellschaftstheorie, die bisheriges Erfah­rungs­wissen durch immanente Kritik über­schrei­ten will, muss zuvor an diesen vorgegebenen dogma­tischen Formen ansetzen. Andererseits, wäre zu bedenken, ob nicht auch das Ziel von Ideolo­gie-Kritik, nämlich eine völlige Freiheit von Ideologie, seinem Charakter nach utopisch ist.

meffo hat gesagt…

zu 4.):
Hegels Polemik gegen die Logik des Verstandes ist darauf gerichtet, die Beschränktheiten derselben gegenüber der spekulativen Methode der Vernunft aufzuweisen (Adolphi 1989a:70f). Sie darf also nicht schlichtweg als Zurückweisung der Prinzipien der formalen Logik gebucht, sondern sollte als ein Kritikversuch derselben gewertet werden.

Wie etwa Bartley (1987a:147) gezeigt hat, ist ein solcher Versuch durchführbar, trifft jedoch auf gewisse Schwierigkeiten, die man aber ggf. überwinden kann.

meffo hat gesagt…

Doppelt verschanzter Dogmatismus

Dem "doppelt verschanzte Dogmatismus" Hegels tritt Popper entgegen, aber wie?
In dreifach selbstwidersprüchlicher Weise:

1. Doppelt verschanzter Dogmatismus ist nach Popper doppelt verschanzt, weil er jede Kritik unmöglich macht.
Ist Poppers Kritik an Hegel demnach logisch unmöglich?!
Poppers Handeln widerlegt sein eigenes kritisches Argument.

2. Gemäß dem Fallibilismus sind keine definitivern Widerlegungen möglich.
Popper will Fallibilist sein; er hält aber seine Hegel-Widerlegung für endgültig.
Amen!

Das kommt von:
Popper ist Fallibilist; aber ein Fallibilist mit festen Überzeugungen.
Was dem Fundamentalisten seine Dogmen sind, das ist Popper seine lautstark polemisierende moralische und politische Überzeugtheit.
Wofür Rechtfertigungsstrategen meistens noch glauben, die Logik bemühen zu müssen, das tut für den vorgeblichen Fallibilisten apologetisch angewandte Rhetorik, axiomatisch verbunden mit "gesunden" und politisch korrekten Vorurteilen.

3. Popper will Nominalist sein.
Dennoch weiß er ganz genau, was das Wesen des Aristotelismus oder der Dialektik ist (bzw. welche üble Konsequenzen "darin schlummern").
Anders gesagt: Poppers Anti-Essentialismus ist (in negativer Formulierungsweise) ebenfalls Essentialismus.

meffo hat gesagt…

Poppers Selbstverstrickungen in Widersprüche lassen sich auflösen, wenn erkannt wird, dass "Dogmatismus" und "Kritikfähigkeit" sich nicht anhand von Form und Inhalt von Aussagen (oder Aussagesystemen) diagnostizieren lassen, sondern die Art und Weise betreffen, wie Menschen mit Aussagen (gleichwie formuliert) umgehen.
Anders gesagt:
Jede Aussage (gleich welcher Form oder welchen Inhalts) kann kritisch oder dogmatisch benutzt werden.

(Das ist ja die Krux der Theologen: Viele Aussagen der Bibel können so interpretiert werden, dass sie empirisch falsifiziert werden können; oder sind kontradiktorisch, so dass kritische Argumentation nötig wird, zumindest für vernünftige Leute. Eine andere rage ist, ob deswegen die Bibel ein Lehrbuch empirischer Wissenschaft ist, oder auch nur eine Bibel des Kritischen Rationalismus darstellt.).

Auch dabei geht es bei Popper "durcheinander, wie Mäusedreck und Koriander" (Hegel):

1. Ist Kritik eine Qualität von Aussagen?
2. Eine moralische Forderung an den Wissenschaftler (oder jeden Leser kritischer Broschüren)?
3. Ein Postulat der Wissenschaftsmethodologie?
4. Eine in der Wissenschaftsgeschichte zu beobachtende Regelmäßigkeit?
5. Eine wissenschaftspolitische Zielsetzung, wie Wissenschaft optimal zu organisieren sei?

Die wahre Kritik analysiert nicht die Antworten, sondern die Fragen, weil nicht die Antworten, sondern die Fragen die Hauptschwierigkeiten bilden (Marx, Ergänzungsband, I, S. 379).
So wäre es schön gewesen, wenn Popper zuerst hinreichend geklärt und dem Leser dargestellt hätte, welche Fragen seine "Logik der Forschung" überhaupt stellt.