Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Sprechen Hegel und Popper über dasselbe?

Was aus der Thematik der leider begrenzten Aufgabenstellung dieser Arbeit her­ausfällt, ist die Untersuchung nicht nur der deklarierten, sondern der praktizierten Logik sowie eine Kritik der durch die Problematik auf­ge­wor­fenen philosophischen Perspektiven. Es wird da­her auch nicht Hegels Projekt der Di­alektik gegen die ana­lytische Logik der kanti­schen Transzendental­philosophie berücksichtigt. Nicht oh­ne weiteres kann man hier Hegel Absicht und Strategie der Immunisierung unter­stellen.

"Wenn Hegel dagegen eine absurde und widerspruchsvolle Struktur auffindet, versucht er den Grund für die Existenz dieser Struktur in der idealen Realität der reinen Bestimmungen zu entdecken. Der Widerspruch führt also zur Auf­lösung der Erfahrungswelt und zur Untersuchung der Idealität." (Sarlemijn 1971a:29)

Sarlemijn nennt diese Reaktion auf den Widerspruch revolutionär. Nichts­desto­we­niger ver­dankt diese Konzeption vieles der eleatischen Problemstellung [1]) und kann als eine weitere Aus­arbeitung derselben verstanden werden.

Wenn wir Hegels Abweisung der formalen Logik sowie Poppers Re­konstruktion der Dialek­tik mit­tels der aus­sagenlogischen Kontradiktion nebeneinander stellen, so ist dieser Streit minder kon­fus und rätselhaft, wenn wir nicht nur davon aus­ge­hen, dass jeder der beiden Auto­ren auf einem unterschiedlichen Problem­hin­ter­grund argumentierte, sondern von diesem Hin­ter­grund ausge­hend auch die Ge­gen­seite nicht korrekt wahrnehmen konnte bzw. deren Argu­men­te richtig ein­ord­nete. Dies trifft vermutlich in einem so hohen Maße zu, dass man fast sa­gen kann, dass He­gel und Popper von verschiedenen Dingen gesprochen haben und auf diese Wei­se not­wen­dig an­einander vorbeireden mussten. Wie das?

Hegel ging es um eine Alternative zur ana­ly­tischen Logik, und zwar vor allen Din­gen in der Funktion einer philosophischen Logik. Popper jedoch setzt die Ver­bind­lichkeit der symboli­schen Logik voraus, die man als ei­ne Weiter­ent­wick­lung in der Tradition der aristotelischen Syl­logistik und der kantischen ana­ly­ti­schen Logik an­se­hen kann. Mit dieser sucht er auch die Feh­lerhaftigkeit des hegelschen Pro­gramms nachzuwei­sen. Damit wird jedoch der philosophi­schen Auseinanderset­zung ok­tro­yiert, was Hegel gerade als Problem strittig war, nämlich die Allgemein­verbind­lich­keit der analytischen Logik. Popper setzt ein­fach voraus, dass die Be­grün­dung der ana­lytischen Logik mittels der ana­lytischen Logik zu liefern sei. Ins­be­sondere setzt Popper in sei­ner Dialektik-Kritik still­schweigend voraus, dass He­gels Prob­lem mit den Mitteln einer künst­lichen symbolischen Sprache übersetzbar und lösbar sei. Pop­pers Kritik verfuhr also je­den­falls nicht immanent, son­dern setz­te schlicht die Gültigkeit dessen voraus, was von der Ge­gen­seite bestritten wurde. In ähnli­cher Weise weist auch Sarlemijn die formallogischen Kritiken an He­gels Pro­blem­ansatz zurück.[2]) Hegels Logikansatz grün­det gerade auf der grund­sätz­li­chen Wei­gerung, Form und Inhalt des Denkens getrennt zu halten. So­mit ist ein Ver­weis auf einen formallogischen Regelverstoß schon keine immanente Kritik mehr.

Ge­genüber diesem Tatbestand ist es weniger erheblich, inwieweit sich Hegel selbst über die Lei­stungsfähigkeit der symbolischen Logik geirrt hat (was his­to­risch wahrscheinlich der Fall war und sicherlich mit seinem Programm einer speku­lativ-begrifflichen Lo­gik zusam­men­hing). Popper selbst wies immer wie der auf die Grenzen der Methoden der Sprach­analyse oder des Einsatzes künstlicher Sprachen hin. Meinem Eindruck nach hat er diese Zu­rück­haltung in seiner Kritik der Dialektik Hegels ganz abgelegt und argumen­tiert, als ob der Standpunkt der analytischen Lo­gik unangreifbar und absolut gewiss sei. Sprache ist aber mehr als das logische Gerippe, das der Logiker in ihr zu erkennen vermag; sie kann stets auf ver­schie­de­ne Arten re­konstruiert werden (Kainz 1968a). Genauer betrachtet, ist Poppers Fra­ge­stel­lung: „What is di­alectic?“ nicht nur der Form nach essentialistisch. Er identi­fi­ziert dabei näm­lich sei­ne aus­sagenlogische Darstellung als die definitive Darstel­lung des Wesens der Dialek­tik. Damit über­schreitet er aber auch die immanenten Grenzen des sprachanalytischen Ansat­zes, wonach die for­malen Explikationen und Definitionen in der Regel niemals beanspruchen, ein vollständiges Sy­nonym für das Explikandum zu liefern (Hägler 1994a:121). Es kommt ledig­lich darauf an, wel­chen Zweck das Explikat erfüllen soll und ob es dazu adäquat ist. Insofern kann das Explikat mehr oder weniger komplex als das Explikandum sein. Poppers Ex­pli­ka­tion scheitert aber schon daran, dass He­gels Dialektik sich offensichtlich als be­griffslogisch prozes­sierendes Denken versteht. Pop­per mo­delliert sie hingegen als die Kontradiktion von Aussagen. Banalität ist das notwendige Ergebnis er­folgreich durchgeführter Banalisierung. Poppers (1994b) Auffassung von „Kritik“ er­weist sich auch hier als zu eng und zu weit: zu eng, weil sie sich auf den Nachweis ei­nes immanenten formallogischen Widerspruchs reduziert; zu weit, weil bereits die Konstatierung eines Widerspruchs oder die methodologische Funktionali­sie­rung von Kontradiktionen als hinreichend für die völlige Zurück­weisung angesehen wer­den.



[1])

[2]) "Es ist billig, Hegel der Inkonsequenz zu beschuldigen, indem man von ihm fordert, den Ge­setzen einer ihm fremden Methodologie zu folgen." (Sarlemijn 1971a:13)

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