Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Ein toter Hund in Poppers Keller

Wie einstens Spinoza, so wurde Hegel bald nach seinem Tode als ein toter Hund [1]) behandelt. Popper und Albert „folgen der gewöhnlichen Heerstraße des Auffassens“ (Hegel 1930b:10,Anm.1), wenn sie die Philosophie des deutschen Idealismus (Kant ausgenommen, der bei Popper in der Rolle des Ersten Kritischen Rationalisten seit der Antike seinen großen Auftritt hat) - meist immer nur so nebenbei bemerkt - in Bausch und Bogen als Scharlatanerie [2]) verunglimpfen. Popper hat seine Entscheidung, seinen search tree (Barr, Feigenbaum 1981a:59) vor der Analyse des deutschen Idealismus abzubrechen, als Erkenntnis nur maskiert. Ein Urteil, das feststeht, bevor eine Prüfung durchgeführt wurde, heißt „Vorurteil“. Aus einer Entscheidung, die Suche abzubrechen, wird eine Verschanzung zu einem hartnäckig geführten ideologischen Grabenkrieg (vergleichbar dem Artilleriegefecht mit verbalen Platzpatronen, welches Horkheimer und Adorno jahrelang dem Positivismus zu liefern sich bemüßigt gefühlt hatten).

Wie Popper mit Hegel verfahren ist, wurde damit zum angreifbarsten Punkt seiner kritischen Methode, zumindest soweit diese von ihm persönlich praktiziert wurde. Poppers deklarierte Maxime ist, den Gegenstand der Kritik in ihrer bestmöglichen Version zu rekonstruieren. Bei Hegel unternimmt Popper jedoch noch nicht einmal den Versuch einer systematischen Rekonstruktion. Im Gegenteil beschränkt er sich auf punktuelle Kritik (teilweise sogar rein persönlicher oder politischer Natur), wobei die angefeindete Philosophie oft nur als Karikatur im Hintergrund zu erkennen ist. Auch das Argument des genetischen Fehlschlusses ist für Popper bei Hegel außer Kraft gesetzt: Wer sich von der Hegelei anstecken lasse, sei dem Sumpf preisgegeben. Derlei Kritik ist aber unfruchtbar. Wer einem Autor von vornherein nichts als Täuschungsabsicht unterstellt, bezahlt dies mit der eigenen Lernunfähigkeit. Gerade Hegel kann man nicht baden, ohne sich selbst nass zu machen.

Im Sinne der von ihm deklarierten Methodologie eines pluralistischen Fallibilismus erweist es sich ganz im Gegenteil hierzu als unvermeidlich, Hegels Problemstellung und Lösungsversuche zu rekonstruieren und sodann erst mit entsprechenden Alternativen zu konfrontieren. Man muss sogar behaupten, dass Poppers Philosophie geradezu diejenige Hegels als Alternative notwendig erfordere. Hierbei ist unterstellt, dass

o alle philosophischen Systeme notwendigerweise antinomisch aufeinander bezogen sind und

o Poppers und Hegels Philosophien insofern in mindestens einer antinomischen Beziehung zueinander stehen.



[1] ) Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.
Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des »Kapital« ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wieder brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als »toten Hund«. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise,daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.
In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken." (MEW 23:27 ff.)

[2] ) "In der Meinung, ohne strikte Beschränkung auf Tatsachenfeststellung und Wahrscheinlichkeitsrechnung bliebe der erkennende Geist allzu empfänglich für Scharlatanerie und Aberglauben, präpariert es den verdorrenden Boden für die gierige Aufnahme von Scharlatanerie und Aberglauben. Wie Prohibition seit je dem giftigeren Produkt Eingang verschaffte, arbeitet die Absperrung der theoretischen Einbildungskraft dem politischen Wahne vor. Auch sofern die Menschen ihm noch nicht verfallen sind, werden sie durch die Zensurmechanismen, die äußeren wie die ihnen selbst eingepflanzten, der Mittel des Widerstands beraubt." (Horkheimer, Adorno 1998a:3)

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